Hajo Bolling ist Jahrgang 1963 und führt in Bonn ein Fahrradgeschäft. Wir haben ihn kennengelernt, als er in der Redaktion wegen eines in RHEINexklusiv veröffentlichten Fotos anrief. Es zeigte ihn beim Bonn Marathon: konzentriert, angestrengt, zielstrebig. Während des Telefonats erzählte Hajo Bolling, dass der Marathon Bestandteil seiner Vorbereitungen für den Ironman auf Mallorca gewesen sei, der im September stattfindet. Wir haben den Triathleten zu einem Gespräch eingeladen und außerdem beim Training besucht.
Interview: Susanne Rothe
Wie sind Sie zum Triathlon gekommen?
Durch zwei Zufälle: Ich habe ursprünglich schnelle Kraftsportarten betrieben – Kraftdreikampf und ein bisschen American Football. Meine Frau ist viel gelaufen und hat mich dann irgendwann einmal aufgefordert, mit ihr zu laufen. Das Ergebnis: Sie hat mich in Grund und Boden gelaufen. Bereits nach zehn Minuten war mit mir nichts mehr anzufangen. So habe ich das Laufen trainiert. Der zweite Zufall bestand darin, dass meiner früherer Arbeitgeber seine Mitarbeiter jedes Jahr zum Triathlon nach London eingeladen hat. Dort bin ich dann vor mehr als zehn Jahren zunächst als Läufer in der Staffel gestartet. Im folgenden Jahr habe ich den ganzen Triathlon (olympische Distanz) mitgemacht.
Was ist für Sie die große Herausforderung bei dieser Sportart?
Mittlerweile bin ich beim Triathlon bei den langen Distanzen angekommen. Die kann man nicht mehr einfach runterlaufen. Man muss sehr konzentriert und zielstrebig darauf hinarbeiten. Die große Herausforderung besteht für mich jedoch darin, dass man am Tag des Wettkampfes nicht weiß, ob es trotz des aufwendigen Trainings ein guter Wettkampf wird und ob man die Ziellinie trifft. Es gibt kernige Sprüche wie: „Aussteigen ist keine Option“, aber ich bin schon ausgestiegen.
Woran denkt man im Wettkampf? Denkt man überhaupt?
Man ist lange ausschließlich mit sich selbst beschäftigt und da denkt man natürlich. Alles was passiert, hat nur mit einem selbst zu tun. Um mir da zu helfen, habe ich mir vor Jahren einen Tipp zu Herzen genommen. Ich hole mir in schweren Phasen schöne Erlebnisse aus dem Training in Erinnerung. Das kann ein toller Lauf gewesen sein oder irgendetwas anderes. Diese Erlebnisse rufe ich während des Wettkampfes in schwierigen Situationen ab. Ich tauche dann für einen kurzen Moment in die Erinnerung ein und hole mich damit aus dem Schmerz, den ich gerade erlebe, wieder heraus.
Das heißt, körperliche Stärke alleine reicht nicht aus?
Man muss, um eine Langdistanz zu bestehen, auch mental sehr stark sein. Die Stärke, die man dabei entwickeln muss, verteilt sich bei mir auf ein Drittel Kopf, ein Drittel Körper und ein Drittel äußere Einflüsse. Ich persönlich kann nicht trainieren, wenn es in meinem Umfeld nicht stimmt.
Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Das ist eigentlich kein Geheimnis. Man muss beim Wettkampf bereit sein, Grenzen zu überschreiten. Sonst geht es nicht.
Was ist Ihr persönliches Ziel?
Ich verfolge einen 5-Jahres-Plan. Ich glaube, das man fünf Jahre – fünf Langdistanzen – braucht, in denen man Fehler machen kann, aus denen man lernt, um dann eine Langstreckendistanz gut zu machen. Das ganz große Ziel ist natürlich auch für mich der Ironman auf Hawaii. Aber das ist heute noch keine Option. Ich bin Realist und es wäre derzeit vermessen, es anzustreben.
Warum?
Ich bin noch eine Stunde zu langsam. Die muss ich mir noch erarbeiten, um in die Nähe eines Starts zu kommen.
Wo stehen Sie jetzt in Ihrer 5-Jahres-Planung?
Mallorca ist nach Roth und Frankfurt meine dritte Langdistanz. Ich habe gelernt: Die Ziele, die man sich setzt, müssen erreichbar sein. In meinem Alter sind alle diejenigen unterwegs, die den Triathlon groß gemacht haben. Das sind die früheren Profis, die heute natürlich keine Profis mehr sind, aber immer noch sehr gut dabei sind. Solange diese Sportler bei der Stange bleiben, ist es für mich schwierig. Mallorca ist daher für mich auch ein Stückchen Taktik. Der Triathlon findet dort erst zum zweiten Mal statt und hat noch nicht diese Präsenz wie zum Beispiel Frankfurt. Mallorca ist zudem ein sehr schwerer Triathlon. Beim Fahrradfahren bewältigt man 2.000 Meter Höhenunterschiede. Das heißt: Man quält sich immer wieder steile Berge hoch und hat dann scharfe Abfahrten. Das ist schon sehr anspruchsvoll. Daher wird auf Mallorca möglicherweise nicht so die Masse am Start sein.
Wie bereiten Sie sich auf diesen Ironman vor?
Für dieses Jahr habe ich einen Trainer. Wir haben im Internet ein Portal, auf dem mein Trainingsplan liegt. Das ist immer ein Wochentrainingsplan, den arbeite ich ab und fülle ihn meinerseits mit Informationen zum Training, beispielsweise wie ich mich gefühlt habe. Hinzu kommen die Daten aus meinen Trainingsgeräten wie Puls und so weiter. Wir telefonieren immer montags über die vergangene Woche. Der Trainer kennt mein Ziel, meine Wettkämpfe auf dem Weg dahin und baut von Woche zu Woche meinen Trainingsplan auf.
Wie aufwendig ist das Training?
Eine Woche besteht aus sechs Trainingstagen und ein bis zwei Einheiten pro Tag.
Was ist Ihre stärkste Disziplin?
Das Laufen am Schluss. Ich komme nach dem Schwimmen in die Wechselzone und dann wird es schwierig für mich, denn dann sind alle schon weg. Ich bin kein guter Schwimmer. Beim Laufen hole ich das Feld dann wieder ein. Ich schaue beim Laufen auch nicht auf die Uhr. Ich laufe immer so gut es geht. Wenn es sich nicht gut anfühlt, bin ich langsam und andersherum bin ich schnell.
Mit welchem Ziel vor Augen startet der Realist in Ihnen auf Mallorca?
Ich möchte unter elf Stunden ins Ziel kommen. Mit der Summe aller meiner Einzelleistungen könnte ich das schaffen. Das wäre in meiner Altersklasse auch die Grenze, innerhalb derer die Plätze für Hawaii vergeben werden. Wenn also das Feld beim Mallorca-Triathlon nicht so gut besetzt ist, könnte ich Glück haben, und einen der Plätze nach Hawaii bekommen. Wenn aber zehn Ex-Profis am Start sind, dann nützt mir auch eine Zeit unter elf Stunden nichts. Ich bleibe realistisch und starte daher nur mit dem Vorsatz: Sub 11h!
Wie wichtig ist beim Triathlon gutes Equipment?
Sehr wichtig. Ob ich in der Liga, in der ich spiele, ein Carbonrad fahren muss oder eine elektronische Schaltung brauche, sei mal dahingestellt. Aber ich kann mit einem Tourenrad oder einem Mountainbike keinen ambitionierten Triathlon bestreiten. Ich baue mir meine Fahrräder beispielsweise selbst und lege dabei sehr großen Wert auf eine gute Qualität. Ich habe drei Fahrräder, die im Laufe des Trainings zum Einsatz kommen. Das ist im Winter das Mountainbike, im Frühjahr und Sommer das Rennrad. Und wenn ich mich dem Wettkampf nähere, gewöhne ich mich an das Triathlonrad mit seiner extremen Sitzposition.
Wann heißt Ihr Ziel Hawaii?
Eventuell 2017 oder 2018. Ich bin mir nicht sicher, ob ich kommendes Jahr wieder so intensiv trainiere. Dieses Jahr ist schon sehr extrem. Daher ist es durchaus möglich, dass ich 2016 Luft hole, trainiere, aber ohne dahinter ein Langdistanzziel zu haben. Ich muss mich wieder einmal selbst erden.
Gibt es einen Triathlon, an dem Sie teilgenommen haben, an den Sie sich besonders gerne erinnern?
Alle hatten etwas Besonderes. Roth war der erste, das ist natürlich etwas ganz Besonderes. In Roth erinnere ich mich auch an ein ganz tolles Publikum. Auf der Laufstrecke hatte ich etwas im Schuh und bin kurz zur Seite gelaufen. Da kam sofort ein Zuschauer, fragte: „Kann ich dir helfen?“ und zog mir den Schuh aus. Ich wäre in dem Moment auch gar nicht mehr runtergekommen. In Frankfurt waren zum ersten Mal meine Frau und meine Tochter dabei, darüber habe ich mich sehr gefreut und es hat mich aufgebaut. Meine Frau wird jetzt auch mit nach Mallorca fliegen.
Haben Sie neben dem Training noch Zeit für andere Dinge?
Aber ja, ich bin, wie gesagt, verheiratet und habe noch zwei weitere Kinder. Der Älteste ist schon ausgezogen und schreibt gerade seinen Bachelor. Unsere mittlere Tochter arbeitet an ihrem Abi und die Jüngste kommt in die sechste Klasse. Meine Frau ist als Tagesmutter tätig und arbeitet abends als Fitnesstrainerin. Ich muss natürlich auch meinen Teil zur Familie beitragen. Ich gehe auch nicht Rennradfahren, wenn die Familie in dem Moment viel lieber etwas gemeinsam unternehmen möchte.
Können Sie ohne Sport leben?
Nein, das ist als würde man mir die Beweglichkeit nehmen. Es muss nicht immer der extreme Ausdauersport sein, aber ich muss mich bewegen.
Haben Sie ein sportliches Vorbild?
Andreas Niedrig. Er war einer der besten Triathleten der Welt und hat ein Buch schreiben lassen: „Vom Junkie zum Ironman“. Dort wird seine Geschichte geschildert, wie er über den Sport die Drogensucht besiegt hat. Leider bin ich ihm persönlich noch nie begegnet.
Sehen wir Sie kommendes Jahr wieder beim Bonner Marathon?
Auf jeden Fall!
Der Ironman ist eine Langstreckendistanz im Triathlon. Der erste Wettbewerb über die Langdistanz fand 1978 auf Hawaii statt. Ein Ironman besteht aus einer Schwimmdistanz von 3,86 km, einer Radfahretappe von 180,2 km und einem Marathonlauf (42,195 km). Alle drei Disziplinen werden direkt hintereinander ausgetragen. Im Rahmen der Ironman-Triathlon-Weltserie über die Ironman- und über die Half-Ironman-Distanz (1,9 km Schwimmen, 90 km Radfahren, 21,1 km Laufen = Ironman 70.3) werden jedes Jahr die ca. 1.800 Startplätze für die Weltmeisterschaft Ironman Hawaii vergeben. Die Profis müssen bei bis zu fünf Ironman-Rennen und drei Half-Ironman-Rennen Punkte sammeln.
Fotos: P. M. J. Rothe