Das renommierte Dernauer Weingut Meyer-Näkel liegt fest in Winzerinnenhand. Die Schwestern Meike und Dörte Näkel lieben und leben in fünfter Generation die Tradition des Weinbaus. Sie erzeugen Topweine, die ihre Herkunft nicht verleugnen können und das einzigartige Terroir der Lagen an der Ahr widerspiegeln. Es geht um Qualität und Authentizität. Die Diplom-Önologinnen folgen den Spuren ihres Vaters, „Rotweinpapst“ Werner Näkel, und schreiben dabei mit großem Erfolg ihre eigene Rotweingeschichte. Ende vergangenen Jahres wurde der in der Flutkatastrophe 2021 nahezu komplett zerstörte Familienbetrieb vom Vinum-Weinguide zum Weingut des Jahres 2024 gekürt: „(…) Umso außergewöhnlicher ist es, dass sie ausgerechnet mit 2021 den vielleicht besten Jahrgang ihres bisherigen Schaffens hinlegten“, hieß es unter anderem in der Begründung. Meike und Dörte Näkel über die Nacht, in der sie fast alles verloren, die Kraft des Weins sowie ihre Stärken als Schwestern und Winzerinnen.
Die große Flut liegt etwa drei Jahre (14. Juli 2021) zurück. In Dernau wird nach wie vor am Wiederaufbau gearbeitet. Welche Erinnerungen haben Sie an die Katastrophe?
Dörte: Seit der Flut hat sich das Leben im Tal komplett verändert. Daher werden wir jeden Tag an sie erinnert. Als Sie eben gekommen sind, haben Sie ja gesehen, wie es im Ort immer noch aussieht. Einfache Hochwasser kennen wir, aber das, was wir vor drei Jahren erlebt haben, war zerstörerisch. Wir hatten mit einem „normalen“ Hochwasser gerechnet, aber was dann kam …
Meike: In Dernau sind 90 Prozent der Haushalte von der Flut betroffen. Je enger das Tal ist, desto größer war die Zerstörung. Die meisten Dernauer hatten sich darauf vorbereitet, dass der Keller vollläuft, doch dann reichte das Wasser plötzlich bis unter das Dach. Darauf konnte sich keiner vorbereiten und so sind viele Menschen überrascht worden und gestorben. Es kann sich niemand von unserer Familie daran erinnern, dass in unserem Gut jemals Wasser stand – jetzt ist es zerstört.
Sie konnten sich auf einen Baum retten und haben dort triefnass acht Stunden verbracht. Was haben Sie in dieser Zeit gedacht?
Meike: Was das Nasse betrifft: Es war zum Glück Sommer. Wir sahen, welche unglaubliche Kraft das Wasser hatte: Autos wurden an uns vorbeigetrieben, Bäume, ganze Container. Nachbarn saßen auf ihren Dächern, es war dunkel. Niemand wusste, ob das Wasser noch weiter steigen und ob wir überleben würden. Irgendwann fing das Gedankenkarussell an, sich zu drehen. Wir hatten genug Zeit zum Grübeln, denn es war klar, dass wir von dem Baum alleine nicht mehr wegkämen und dort ausharren müssten. So haben wir darüber nachgedacht, wie es unseren Familien, Mitarbeitern, Freunden geht. Irgendwann kamen wir zu dem Ergebnis, dass alles hin ist. Und dann kam die Frage: Was jetzt?
„Wir möchten die Ahr im Gespräch halten. Nicht nur wir, sondern die ganze Region produziert fantastische Spätburgunder.“
Hat diese gemeinsame Erfahrung Ihre Verbindung als Schwestern beeinflusst?
Meike: Dadurch, dass wir gefühlt Tag und Nacht zusammen sind …
Dörte (schaltet sich ein): Wir sind ein Familienbetrieb und haben schon vorher viel Zeit miteinander verbracht. Das macht im Innenverhältnis einen großen Unterschied zu Familien aus, die sich vielleicht nur an Weihnachten treffen.
Meike: Alle Befindlichkeiten mussten und haben wir schon viel früher ausgeräumt.
Neun Fässer mit neun verschiedenen Pinots noir aus Spitzenlagen sind alles, was vom 2020er-Jahrgang übriggeblieben ist. Unerwarteterweise, muss man dazu sagen. Was verbinden Sie mit den „Lost Barrels“-Weinen?
Dörte: Für diese Weine haben wir ein ganzes Jahr gearbeitet. Das waren wahnsinnig viele Stunden im Weinberg und im Keller. Diesen ganzen Jahrgang zu verlieren, war zunächst ein großer Schlag. Als die neun Fässer nach und nach gefunden wurden, waren das kleine Lichtblicke und ein Kraftschub in einer Situation, in der zunächst alles weg zu sein schien. Wir hatten hier kriegsähnliche Zustände; viele aus dem Dorf hatten nur noch das, was sie am Körper trugen. Wir haben immer weitergearbeitet, Schlamm und Schutt weggeräumt. Plötzlich kamen die ersten Nachrichten von den Fässern. Unglaublich. Die Straßen waren noch kaputt, so lief die Rettung der Fässer sehr spektakulär ab. Schweres Gerät war notwendig, das jedoch gleichzeitig für die Aufräumarbeiten benötigt wurde. Da es sehr heiß war, mussten wir die Fässer schnellstmöglich holen. Das war ein Wettlauf mit der Zeit.
Wie ist es Ihnen gelungen, den Wein aus den neun Fässern auf Flaschen zu ziehen? Ihr Weingut hat doch nicht mehr existiert.
Dörte: Wir haben die Fässer zunächst ins Kloster Marienthal gebracht, das von der Flut nicht betroffen war. Nachdem wir hier aufgeräumt hatten, haben wir sie wieder zurückgeholt. Parallel dazu haben wir die anstehende Weinlese vorbereitet. Die Flut war ja im Juli und wir haben im September geerntet. Für die Lese und Weiterverarbeitung mussten Maschinen geliehen und gekauft sowie neue Fässer angeschafft werden. Kollegen aus allen deutschen Weinbaugebieten haben uns damals ausgeholfen, trotzdem war es ein wahnsinniger Kraftakt. Dagegen war das Abfüllen des Weins aus den Lost Barrels gar nichts. Wir verstehen unser Handwerk und müssen nicht unbedingt die neueste Technik einsetzen, um einen grandiosen Wein herzustellen. Das haben wir mit den Lost-Barrels-Weinen gezeigt.
Sie sind mit 2.600 Flaschen Ende vergangenen Jahres auf Reise gegangen. Was steckte dahinter?
Meike: Fast unser ganzer Wein war weg. Wir hatten bis Mai 2023 keinen Wein zu verkaufen. Weder an Privatkunden noch an Gastronomen und Weinhändler. Meyer-Näkel verschwand von Weinkarten und Listen. Wir hatten das Glück, dass sich in den Lost Barrels nur Weine großer und erster Lagen befanden. Die Idee war daher, die aus diesen Lagen stammenden hochwertigen und außergewöhnlichen Weine auf besonderen Veranstaltungen international zu präsentieren und zu zeigen: „Wir sind wieder da.“ Gleichzeitig wollten bzw. möchten wir die Ahr im Gespräch halten. Nicht nur wir, sondern die ganze Region produziert fantastische Spätburgunder. So kam die Idee zur Weltreise zustande.
Wo waren Sie überall?
Dörte: Wir haben den Anfang in Berlin bei Tim Raue gemacht. Danach waren wir bei Mathias und Thomas Sühring (Restaurant Sühring**) in Bangkok. Wir haben den Gästen, vielen Multiplikatoren die Geschichte der Fässer erzählt, während die Partnerköche passend zu den Weinen einzigartige Gerichte kreiert haben. Im Februar sollte New York die nächste Station sein, das musste aber verschoben werden. Derzeit sind wir mit Partnern in London und Amsterdam im Gespräch.
Jeder, der an einem Fluss wohnt, kennt Hochwasser und lebt in der Regel damit. Haben Sie nach diesem Ereignis besondere Konsequenzen gezogen?
Dörte: Eine Konsequenz betrifft unsere Standorte. Wir haben zwei. Da ist das alte Weingut im Ort selbst, in dem schon unser Großvater Wein gemacht hat. Es wurde irgendwann zu klein und unser Vater kaufte das Grundstück, wo wir uns gerade befinden. Das alte Gut blieb aber das Herzstück des Betriebs – bis zum Tag der Flut. Es war leider nicht zu retten, der alte Charme hätte sich nicht wiederherstellen lassen. An dem aktuellen Standort bleiben wir nur vorübergehend. Die Produktionshalle muss komplett abgerissen werden. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden: Wenn wir schon neu bauen müssen, dann auch an einem Standort, der nicht durch Hochwasser gefährdet ist.
Meike: Wir hatten Glück und haben ein passendes Grundstück gefunden, das oberhalb von Dernau auf dem Berg liegt. Genau am Übergang von den Weinbergen zum Wald. Wir errichten dort ein komplettes Weingut und hoffen, im Herbst 2026 den ersten Wein zu machen. Das ist sehr ambitioniert, wäre aber toll. Das neue Gebäude soll so gut wie möglich in die Natur integriert werden und auf keinen Fall störend wirken. Den vorhandenen Baumbestand wollen wir so weit wie möglich erhalten.
Weg von der Katastrophe und ihren schlimmen Folgen. Immer mehr Frauen bestimmen, wie der Wein schmeckt. Warum sind Sie Winzerinnen geworden?
Meike: Ich glaube, dass schon immer Frauen beim Weinmachen mitgearbeitet haben. Sie standen nur nicht so im Vordergrund. Das hat sich geändert. Heute machen Frauen die Ausbildung zur Winzerin und/oder studieren Weinbau. Bei uns lag die Prägung von zu Hause vor, doch wir haben uns für diesen Beruf selbst entschieden. Es war sogar eher so, dass unser Vater erstaunt war, dass wir beide den Beruf ergriffen.
Ist Winzerin für Sie nur ein Job, der nahelag, oder mehr als das?
Dörte: Es ist mehr. Das hängt damit zusammen, dass Wein bei uns ein Familienthema ist. Wir unterhalten uns sogar noch beim Mittagessen über Wein. Unser Vater hat uns vorgelebt, wie schön es ist, viel Freude am Beruf zu haben.
Meike: Winzerin ist ein ganzheitlicher Beruf. Wir haben draußen den landwirtschaftlichen Teil. An den Reben ist das ganze Jahr vegetationsbedingt etwas zu tun. Kein Jahr ist gleich, Wetter und Klima sind immer anders. Nach der Ernte werden die Trauben von uns zu Wein verarbeitet und in Flaschen abgefüllt – auf die wir unseren eigenen Namen schreiben. Zum Schluss wird der fertige Wein von uns verkauft. Marketing gehört also auch zu unserer Jobbeschreibung dazu.
Wie ist es, wenn man als Schwestern gemeinsam ein Weingut leitet?
Dörte: Ich denke, es ist ganz gut, als Familie zu arbeiten. Man ist offener zueinander und sagt sich eher, was man denkt. Unser Qualitätsanspruch ist gleich. Auch was den Geschmack angeht, sind wir ähnlich. Das ist wichtig, damit man das gleiche Ziel hat.
Haben Sie die Arbeit aufgeteilt?
Meike: Wir machen vieles zusammen, aber nicht immer alles. Dann hätten wir ja nichts gewonnen.
Dörte: Unsere Zusammenarbeit hat sich entwickelt und ist gewachsen. Meike ist seit 2005 im Betrieb, also drei Jahre vor mir eingestiegen. Wir sind sehr verschieden, was sehr gut ist. Jede von uns hat ihre eigenen Stärken und Schwächen. Wir sind ein kleiner Familienbetrieb und unser Vater hat immer gesagt: „Seht zu, dass jede alles kann.“ Er hatte die Erfahrung gemacht, wie es ist, alleine zu sein, und wollte, dass wir uns gegenseitig ersetzen können. Und so läuft es bei uns beiden gut. Für den Außenbetrieb haben wir Angestellte, die schon zum Teil seit ihrer Lehre bei uns sind. Für den Keller haben wir ebenfalls Mitarbeiter. Wir machen nicht alles alleine.
„Es geht uns beim wein um die Herkunft, die soll man herausschmecken.“
Machen Frauen andere Weine als Männer?
Meike: Nein, glaube ich nicht. Wein hat zwar etwas mit Emotion und Geschmack zu tun. Aber letztendlich steckt ein Handwerk dahinter. Wenn man in ein Restaurant essen geht, kann man auch nicht sagen, ob eine Frau oder ein Mann gekocht hat.
Wer kocht denn bei Ihnen?
Meike: Bei uns koche ich, bei Dörte ihr Mann.
75 Prozent Ihrer Rebflächen sind mit dem ahrtypischen Spätburgunder bestockt. Was ist das Besondere an Ihrem Wein?
Meike: Wir versuchen, sehr viel von der Ahr in unseren Spätburgundern zu zeigen – das Wachsen der Weine in Steillagen und auf Schieferböden. Es geht uns um die Herkunft, die soll man herausschmecken.
Was macht für Sie einen guten Wein aus und muss er teuer sein?
Meike: Für uns persönlich kann ich sagen, dass wir einen Wein gut finden, in dem sehr viel Arbeit steckt, wo eventuell Erträge stark reduziert wurden, damit er gehaltvoll ist und Charakter hat. Diese Weine liegen in der Regel aufgrund des Arbeitsaufwands und einer herausragenden Lage in einem gehobenen Preissegment. Andere Weine sind unkompliziert, kosten dadurch weniger, aber schmecken auch. Sie sind jedoch nicht mit einem Lagenwein vergleichbar.
Dörte: Bei jedem Produkt muss man unterscheiden, ob es in Handarbeit oder industriell gefertigt wurde. Das wirkt sich auf den Preis aus. Bei Wein ist es noch komplizierter. Es gibt unterschiedliche Stufen: Wir haben unsere Basisweine, unkompliziert und „trinkig“, aber dennoch auf ihre Herkunft verweisend. Dann gibt es die Ortsweine, die ein bisschen spezifischer sind, und schließlich die Lagenweine, die ganz deutlich ihre Herkunft repräsentieren. Alles hat seine Berechtigung und seinen Preis.
Haben Sie einen Lieblingswein?
Meike: Das ist formabhängig. Gestern habe ich unsere „Illusion“, den Blanc de Noir, getrunken. Das lag aber daran, dass ich Besuch hatte, dem ich den Wein präsentieren wollte. Ich trinke ganz selten eigene Weine. Die habe ich so lange begleitet, dass ich sie kenne. Ich bin einfach neugierig auf die Weine anderer Winzer.
Was erwarten Sie vom aktuellen Wein, der jetzt noch hier in seinen Fässern lagert?
Meike: Weil wir immer erst nach anderthalb Jahren abfüllen, liegen hier im Moment zwei Jahrgänge: 22 und 23. Der 22er wird jetzt abgefüllt. Er hat extreme Hitze und Trockenheit abbekommen. Wochenlang hatte es nicht geregnet, und plötzlich auf der Zielgeraden gab es immer weiter Regen. Das hat die Reife gebremst und die Säure hinten schön gehalten. Eine sehr attraktive Kombination. Wir sind sehr gespannt. Der 23er Wein ist viel ausgeglichener. Wir bekommen zwei ganz unterschiedliche Jahrgänge.
(Susanne Rothe)
Dörte Näkel (41) und Meike Näkel (43) leiten in Dernau gemeinsam das renommierte Weingut Meyer-Näkel und bewirtschaften 21 Hektar Rebfläche. Beide haben an der Hochschule Geisenheim Weinbau und Önologie studiert und als Diplom-Önologinnen abgeschlossen. Meike stieg 2005 in den elterlichen Betrieb ein, Dörte folgte 2008. Im Juni 2019 wurde Meike Näkel als erste Frau in der über 100-jährigen Geschichte in das Präsidium des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) gewählt.