Silke Hildebrandt erzählt gerne Geschichten. Man kann sie nicht lesen, nicht im Fernsehen oder Kino anschauen, man kann sie „nur“ hören. Silke ist Regisseurin für Hörspiele und -bücher und arbeitet vor allem für die ARD. Ein Hörspiel ist für sie wie Kino ohne Bilder – „nur viel emotionaler, denn Bilder lenken ab“. Silke Hildebrandt lebt mit ihrer Familie in Bonn. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit, gute Hörspiele und die „Generation Kassette“ gesprochen.

Interview: Susanne Rothe

 

Sind Hörspiele noch zeitgemäß?
Es geht beim Hörspiel darum, Emotionen zu erzeugen. Anders als beim Film oder Fernsehen, bei denen Augen und Ohren für das Erlebnis eine Rolle spielen, kommt das Hörspiel ohne Bilder aus. Dadurch wirkt es viel unmittelbarer und schneller in unseren Reaktionen, fast unkontrolliert. Und ein Hörspiel ist mobil, es verlangt nicht, dass man an einem bestimmten Ort sein muss, zu einer bestimmten Zeit. Insofern ist das Hörspiel für mich sehr zeitgemäß.

Was unterscheidet das Hörspiel vom Hörbuch?
Das Hörspiel ist eine inszenierte Welt, die ein Regisseur erschaffen hat, und für die der Hörer im Kopf seine eigenen Bilder entwickeln kann. Der Text ist lediglich das Medium, um die Welt zu erzählen. Beim Hörbuch steht der Text im Mittelpunkt. Er ist die Nummer eins. Es gibt weniger Interpretationsmöglichkeiten – außer durch die Stimme des Schauspielers.

Wie muss man sich deine Arbeit vorstellen?
Die Hauptarbeit ist die Akquise. Ich lese sehr viel, vor allem Bücher, die noch nicht auf dem Markt sind. Hier arbeite ich eng mit Verlagen zusammen und suche bei ihnen nach Themen und Stoffen, die sich für ein Hörspiel eignen. Wenn ich etwas lese, versuche ich es direkt auch zu hören. Höre ich nichts, befasse ich mich mit dem Buch nicht weiter. Habe ich etwas Geeignetes gefunden, schlage ich es einem der Redakteure beim Sender vor. Sind sie einverstanden, arbeite ich das Buch zu einem Hörspiel um.

Wie lange arbeitest du an einem Hörspielskript?
Im günstigsten Fall benötige ich für die erste Fassung netto etwa zehn bis fünfzehn Tage. Dann geht es an den Redakteur zurück und es wird verhandelt.

Verhandelt?
(schmunzelt) Ja. Auch die Redakteure haben das Buch gelesen und eine eigene Vorstellung vom Hörspiel entwickelt. Haben wir unterschiedliche Sichtweisen, verhandeln wir darüber – jeder mit guten Argumenten. Wenn das Skript endgültig steht, geht es ans Besetzungsbüro, mit denen ich die Besetzung der Schauspieler bespreche, die sie dann buchen.

Was ist bei deiner Arbeit die große Herausforderung für dich?
Mein Anspruch ist es immer, die Qualität und den Kern des Buches zu erhalten. Ich muss das Gefühl haben, dem Autor gerecht zu werden – und bringe sein Buch trotzdem in eine andere Kunstform.

Hast du Kontakt zu den Schriftstellern?
Oh ja! In den letzten Jahren hatte ich oft das Glück, mit zeitgenössischen Autoren zu arbeiten. Wenn ich beispielsweise etwas nicht verstehe, halte ich Rücksprache. Manchmal entwickelt sich erst durch das Gespräch ein Gefühl dafür, was für den Schriftsteller Priorität hat. Für mich ist dabei die spannende Herausforderung, meine eigene Vorstellung vom Hören zu erhalten.

Wie sieht es mit den Buchrechten aus?
Die werden vom Sender mit den Verlagen verhandelt. Bei den Amerikanern ist das sehr schwer, weil sie alle Verwertungsrechte als Paket abgeben. Daher geben sie sie sehr ungerne an ein deutsches Hörspiel ab, denn sie hoffen natürlich, dass Hollywood anruft.

Du arbeitest am liebsten mit Theaterschauspielern. Warum?
Wir haben beim Hörspiel keine wochenlangen Proben. Wir sind also auf Schauspieler angewiesen, die Emotionen sofort abrufen können, ohne dass man sie sieht und die sich in ihren emotionalen Bandbreiten ständig weiterentwickeln. Das können Theaterleute. Fernsehschauspieler haben andere Anforderungen. Das große Glück der ARD ist es, dass sie beinahe alle Schauspieler Deutschlands, Österreichs und der Schweiz bekommt. Wir können bei allen anfragen, auch bei den großen Namen. Die Arbeitszeit ist sehr kurz, im Schnitt nur ein bis zwei Tage. Das kann fast jeder einrichten.

 

„In den letzten Jahren hatte ich oft das Glück, mit zeitgenössischen Autoren zu arbeiten.“

 

Das ist schnell.
Wenn man von einer Stunde Spielzeit ausgeht, dann haben wir etwa drei Tage reine Wortaufnahmen. Im Vorfeld unterteilen wir die Dialoge in bestimmte Abschnitte und die Schauspieler sprechen sie dann nicht in der richtigen Reihenfolge, sondern so wie es am besten passt. Die Skripte bekommen sie vorher zugeschickt, das heißt, die Schauspieler reisen immer perfekt vorbereitet an. Sind die Wortaufnahmen beendet, mischen wir ohne Schauspieler die einzelnen Szenen mit Sprache, Musik und Geräuschen. Da ich jemand bin, der lieber emotionale als reale Räume inszeniert, setze ich viel Musik ein.

Was ist deine Idee von Regieführung?
Mein Ziel ist es immer, eine Arbeitsatmosphäre im Team zu schaffen, in der jeder das Beste aus sich herausholt. Ich arbeite selbst lieber in einer lässig konzentrierten Atmosphäre, in der jeder seine Qualitäten einbringt. Ich kann aber auch deutlich werden, wenn es eng wird und in die falsche Richtung läuft.

Passiert es, dass ein Schauspieler eine Szene noch einmal nachsprechen muss?
Während der Wortaufnahmen machen wir von den Szenen im Regelfall immer mehrere Takes, aber nach Ende der Wortaufnahmen darf nichts fehlen. Ansonsten wäre es der Supergau! Das muss in jedem Fall verhindert werden, allein wegen der Kosten.

 

„Mein Stil ist, dass mein Klangkonzept zum Text passt und nicht umgekehrt. Das heißt, ich passe meine Klangvorstellungen den Gegebenheiten des Textes an und nicht den Text an eine vorbestimmte Klangvorstellung.“

 

Das Hörspiel muss aber noch abgenommen werden.
Natürlich, der Redakteur hört es sich an. Manchmal muss man noch Kleinigkeiten ändern, aber das hatte ich eher selten. Wenn ein Redakteur mit mir zusammenarbeitet, weiß er, wie ich klinge.

Eine interessante Wortwahl …
Wir haben alle einen eigenen Stil.

Wie klingst du?
Grundsätzlich arbeite ich viel mit Musik und weniger mit Geräuschen. Mein Stil ist, dass mein Klangkonzept zum Text passt und nicht umgekehrt. Das heißt, ich passe meine Klangvorstellungen den Gegebenheiten des Textes an und nicht den Text an eine vorbestimmte Klangvorstellung. Das klingt logisch, ich habe aber durchaus Kollegen, die immer das gleiche Konzept haben und dann klingen alle Stücke gleich.

Was zeichnet ein gutes Hörspiel aus?
Das ist Geschmackssache. Es gibt kaum objektive Kriterien für die Qualität eines Hörspiels. Aus meiner Sicht muss ein gutes Hörspiel immer eine Haltung haben und den Text in interessanter Weise ergänzen und interpretieren. Ich selbst bin Hörspielregisseurin geworden, weil ich gerne Geschichten erzähle. Wenn wir etwas hören, reagieren wir auf Emotionen, es gibt keine Bilder, die ablenken. Das macht es so unmittelbar.

Arbeitest du ausschließlich für die ARD?
Nein, ich arbeite auch für Verlage, allerdings nur im Bereich Hörbuch. Für die ARD mache ich fast nur Hörspiele, hin und wieder auch ein Feature, also eine Sachsendung.

Wie bist du Hörspielregisseurin geworden?
Durch Zufall. Ich habe Geschichte und Philosophie studiert, war fertig und habe mich gefragt, was aus mir werden soll. Dann bekam ich den Tipp, dass der WDR Regieassistenten sucht. Ich habe mich beworben, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was auf mich zukommt. Ich habe dann bei einem Stück angefangen, dass ich innerhalb einer Woche übernehmen musste, weil die eigentliche Assistentin krank wurde. Das bedeutete für mich den Sprung ins eiskalte Wasser. Ich hatte das große Glück, daß ich einem sehr guten Regisseur begegnete, der mir alle Grundlagen beibrachte. Das war für mich eine Initialzündung und mir war klar, dass ich nichts anderes mehr machen möchte. Als ich das erste Mal im Studio die Stimmen der Schauspieler gehört habe, war ich gefangen.

Früher hat man beim Stichwort Hörspiele immer nur an Kinderhörspiele wie „Die drei ???“ gedacht. Doch es werden zunehmend Hörspiele für Erwachsene produziert. Woran liegt das?
Weil die Generation der „drei ???“ jetzt erwachsen ist. Sie ist mit Hörspielen aufgewachsen und dies hat nachhaltige Folgen. Ich habe auch so angefangen. Ich habe als Kind Hörspiele gehört und fand es immer toll. Bis heute.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung für das Hörspiel oder -buch?
Für die Verbreitung ist es natürlich ein Gewinn. Früher gab es nur Kassetten, die man sich, wenn es möglich war, kopierte. Heute ist das Hörspiel länger existent und immer wieder hörbar. Das Hörspiel wird seit 50 Jahren totgesagt und doch gibt es kaum etwas, was so stabil ist, wie das Hörspiel. Die größte Schwierigkeit für uns an der Digitalisierung ist die Urheberfrage und die Bezahlung, die ist oft ein Problem.

Hörspiel hat also Zukunft?
Auf jeden Fall. Es bleibt eine unserer Kunstformen. Sie schafft andere „Räume“ in einer von Bildern überfluteten Welt. Man kann es überall hören und es erlaubt, dass wir einen Moment „aussteigen“.

Ein Schauspieler erhält Beifall, der Regisseur eines Films bekommt auch Feedback. Wie sieht das bei dir aus?
Wir bekommen so etwas fast nicht. Manchmal landen Rückmeldungen von Hörern bei den Redakteuren und die teilen uns das mit. Meistens erhält man aber erst eine Rückmeldung, wenn etwas schiefläuft. Eine Ausnahme sind die ARD-Hörspieltage in Karlsruhe. Als ich da im Wettbewerb war vor ein paar Jahren, lief mein Stück öffentlich mit Publikum und ich konnte mir zum ersten Mal hautnah die Reaktionen anschauen und anhören, das war sehr spannend.

Woran arbeitest du gerade?
Momentan bearbeite ich eines meiner persönlichen Lieblingsbücher: „Die Nacht von Lissabon“ von Erich Maria Remarque. Ich wollte daraus schon immer ein Hörspiel machen und jetzt wird es ein Zweiteiler.

Hörst du noch entspannt Hörspiele?
Außer den Kinderhörspielen meines Sohnes höre ich kein Hörspiel entspannt und selbst die oft nicht. Ich achte immer darauf, ob ich die Stimme gebrauchen kann, ob Szenen funktionieren, wie die Musik eingesetzt worden ist. Ich kann zu den meisten Geräuschen die Nummer der CD nennen, auf der es sich befindet. Aber ganz gleich, wie professionell ich ein Hörspiel höre, ich werde immer noch von Stimmen getroffen und ich höre immer noch einfach gerne zu.

 

Foto: P. M. J. Rothe