Tom Gerhardt hat als Mopedrocker Tommie das erste Mal in den 1990er Jahren die Bühne erobert. Eine Karriere, die so nicht geplant war. Studiert hat er Germanistik und Philosophie, heute hätte er nichts dagegen, einmal den Adam in Kleists „Zerbrochenem Krug“ zu spielen. Wir haben mit dem Komödianten über alte und neue Projekte, den Fluch des Dackels, seine Zeit als Journalist und die Verbundenheit zu Köln gesprochen.

Wir treffen Tom Gerhardt in seiner Garderobe im Contra-Kreis-Theater in Bonn. Es ist Donnerstagabend und in anderthalb Stunden steht er als Matthias Bommes in dem Stück „Dinner für Spinner“ auf der Bühne. „Diese Hose habe ich mir extra für die Rolle gewünscht“, ist das erste, was Tom Gerhardt sagt, und hält strahlend ein beiges Exemplar aus grobem Kord in die Höhe. An den Knien ist sie schon leicht dünn. Die Hose ist tatsächlich der Hit – für das Stück. Garniert wird sie mit einem himmelblauen Pullover. Die Schuhe: grob und abgewetzt. Von der großen Ablage vor dem Spiegel starrt uns eine Nerdbrille an. Tom Gerhardt ist völlig begeistert. Die Kleidung passt genau zu dem Typ Mensch, den er gleich verkörpert: „Genau so einen hatte früher jeder in der Klasse. Bei den Partys hat der die Würstchen gegrillt, während die anderen geknutscht haben“, lacht er. Das erste Mal steht der Mann, der durch Kinofilme wie „Voll normaaal“, „Ballermann 6“ und „Siegfried“ bekannt geworden ist, in einem Theaterstück im Contra-Kreis auf der Bühne. „Als ich hereinkam, habe ich mich gewundert, wie klein es ist. Es ist klein und fein, ein liebevoll und gut geführtes Theater, in dem ich sehr gerne spiele“, betont Gerhardt, der zuvor im Theater am Dom den Bommes darstellte. Seit der Fernseh-Sitcom „Hausmeister Krause“ genießt der Kölner Kultstatus, wird immer wieder in der Rolle nachgeahmt, aber nie erreicht. Bei unserem Gespräch über dieses und vieles mehr zeigt sich Tom Gerhardt sehr offen, entspannt, locker und sympathisch – weit entfernt von Krause.

Sie haben als Matthias Bommes insgesamt rund 200 Mal auf der Bühne gestanden, sagen aber, Sie seien kein normaler Schauspieler. Was hat Sie zu einem „unnormalen“ Schauspieler gemacht?
Als ich mit der Uni fertig war, wusste ich eigentlich nichts so richtig mit mir anzufangen. Ich war ein verbummelter Student, der irgendwann gemerkt hat, dass es eng wird. Während ich noch auf einem Mofa fuhr, hatten meine Kameraden schon einen Mittelklassewagen.

Tom Gerhardt
Tom Gerhardt

Wie haben Sie gelebt?
Ich habe in einer Mansarde mit Kohleofen gewohnt und musste die Kohle aus dem Keller hochschleppen. Geduscht habe ich im Schwimmbad. Das war mir mit Anfang 20 total egal. In dem Alter ist man noch von jugendlichem Elan beseelt. Ein paar Jahre später sah das anders aus. Als ich 26 war und die ersten Freunde fragten: „Da wohnst du“?, änderte sich meine Einstellung und ich merkte: Um Geld zu verdienen, muss man sich richtig etwas einfallen lassen. Ich habe dann bei der Kölnischen Rundschau in Leverkusen für Zeilenhonorar gearbeitet. Das war mühsam verdientes Geld. Ich bin mit meinem Mofa von Termin zu Termin gefahren. Dort bin ich auf die Vereine gestoßen: Dackelzuchtverein, Kaninchenzüchterverein … Letztendlich hat mir der Job also doch etwas gebracht. Dann wurde ich Papa und bin zum Kölner Express gewechselt.

Das hat nur wirklich nichts mit Schauspielerei zu tun …
Nein, ich war dort etwa anderthalb Jahre und war denkbar schlecht geeignet, denn mein ganzer Kopf war noch total vergeistigt. Ich musste unter anderem lernen, dass beim Boulevard auch das Eheleben von Howard Carpendale von größter Wichtigkeit ist. Das wollte ich damals noch nicht so recht einsehen …

Wann sind Sie dann bei dem gelandet, was Sie heute machen?
Vom Express bin ich zum Westdeutschen Rundfunk gegangen. Dort habe ich für Jürgen von der Lippe als Rechercheur gearbeitet. Währenddessen habe ich mich als Hobby mit Bühnenstücken beschäftigt. Wobei ich nie daran gedacht habe, dass ich einmal davon leben könnte. Kurz bevor ich beim WDR arbeitslos geworden wäre – die Show lief aus –, hatte ich mit einem Stück Erfolg. Ich erhielt nach einem Auftritt bei Jürgen von der Lippe so viel Zuspruch, dass es immer weiter aufwärts ging. Das ist alles sehr glücklich gelaufen. Allerdings habe ich mich nicht nur aufs Glück verlassen, sondern habe vieles selbst dazu getan. Ich habe die Leute animiert, in das Stück zugehen, habe selbst Plakate geklebt. Es war viel Ackerei.

Jetzt hatten Sie großen Erfolg im Contra-Kreis-Theater und zuvor schon im Theater am Dom.
Ja, das Stück ist sehr gut angekommen. Der Autor Francis Veber ist ein Weltautor, der auch schon La Cage aux Folles (ein Käfig voller Narren) geschrieben hat. Er würde sicherlich staunen, wenn er es jetzt sehen würde, wie wir – René Heinersdorff und ich – das Stück für die Bühnen in Köln und Bonn bearbeitet haben.

Sie spielen einen sehr schrägen Typen.
Ich spiele mal wieder einen Volltrottel. Das ist bei mir ja nichts Neues, aber dieses Mal ist es nicht so ein Draufgänger wie mein Tommie mit der Pudelmütze oder die Dumpfbacke von Hausmeister Krause. Bei Bommes haben wir es zwar auch mit einem schlichten Geist zu tun, aber er ist ein sehr liebenswerter Mensch, der immer nur das Gute möchte, aber – sozusagen in einer Umkehrung von Mephisto – immer nur das Schlimme schafft. Wie heißt es noch einmal bei Goethes Faust: „»Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.« Bommes möchte das Gute, erschafft den Schrecken und geht dabei immer wieder dem wirklichen Bösewicht auf den Leim. Als er das böse Spiel erkennt, verzeiht er dem Bösewicht, erhebt sich, obwohl er ein schlichtes Gemüt hat, über dessen Intellekt und beschämt ihn sehr. Letztendlich ist es eine sehr liebenswerte Komödie mit vielen Pointen, reichlich Slapstick und dennoch trägt sie eine Botschaft und ich glaube, das ist es, was die Zuschauer rührt.

Tom Gerhardt
Das Ensemble: Steffen Laube, Stephan Schleberger, Tom Gerhardt, Stefan Preiss (2. Bild von oben, v. l.) und Tina Seydel (Bild unten)

Sie sprechen so voller Begeisterung von Ihrer Rolle, ist es nicht wahnsinnig anstrengend, jeden Abend punktgenau auf der Bühne den Trottel mimen zu müssen?
Nein, man hat ja immer ein neues Publikum, und das sitzt mit einer Erwartungshaltung da. Es ist eigentlich so, dass ein Stück, das gut eingespielt ist, sich besonders angenehm spielen lässt. Man weiß genau, an welchen Stellen die Wirkung einsetzt. Es ist außerdem ein großer Vorteil, wenn man sich auf einen Erfolg stützen kann, dann spielt man mit noch mehr Freude auf. Man weiß genau, wenn ich diesen Satz jetzt bringe, liegen die Zuschauer flach.

Haben Sie ein Abo auf solche schrägen Typen?
Sie kennen doch den Spruch: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“ Ich habe da nichts mehr zu retten, insofern sage ich jetzt: „Gebt mir die Rollen, die ein anderer nicht anrühren möchte.“ (lacht) Bommes ist der absolute Antisextyp. Wohl habe ich manchmal ältere Damen im Publikum, die sagen „Ohhh, der Arme“. Die Leute mögen ihn und freuen sich diebisch, wenn der andere einen auf den Deckel bekommt. Aber Bommes ist der „unsexiest man alive“.

Kann ja sexy sein, so etwas zu spielen.
Ja, man muss nur Mut dazu haben. Er ist nicht wie damals Marty Feldman eine Schreckensfigur. Bommes hat etwas Kindliches und Unschuldiges in dieser Interpretation. Außerdem ist er der totale Nerd.

Sie haben über Nikolaus Cusanus eine Arbeit geschrieben, wie kommt man dann zu solchen Rollen?
Nikolaus Cusanus war ein Sprachphilosoph. Als ich mich mit ihm beschäftigt habe, hat mich das zu der lustigen Einsicht geführt, dass auch ein Mensch mit einem äußerst bescheidenen Wortschatz einen Platz auf dieser Erde verdient hat. Das habe ich teilweise mit meinen Figuren verwirklicht.

Sind Sie persönlich ein humorvoller Mensch?
Eher ja. Es ist natürlich immer schwer, sich selbst zu beurteilen. Im normalen Alltagsleben kann ich ebenfalls dröge sein. Es wohnen auch die schlechten Seiten von Hausmeister Krause in mir, nicht nur die guten, von denen es bekanntlich nur wenige gibt. (schmunzelt)

Ihre Typen sind sehr spießig.
Ja, Bommes ist sehr spießig. Tommie mit der Pudelmütze war allerdings überhaupt kein Spießer, der war eher ein Anarcho.

Was ist für Sie der Oberbegriff an Spießigkeit?
Hausmeister Krause stand sehr für Spießigkeit. Allerdings für eine sehr alte, beinahe schon nostalgische Spießigkeit. Solche Typen sind Ausnahmen. Heute ist der Spießer kein verknöcherter Rechter mehr, sondern der moderne Spießer ist links-liberal. Spießer ist der Typ von Mensch, der sich mit dem Instinkt des Herdentiers im Zentrum des Mainstreams bewegt und sich dort feist und unbelehrbar seinen Platz sucht – immer mit dem Gefühl, dass er von der schützenden Meute umgeben ist. Krause war ein bösartiger Spießer.

Sie haben Angst vor Spießern?
Wahrscheinlich, sonst würde ich mich nicht auf humoristische Art mit ihnen auseinandersetzen?

Wen würden Sie denn gerne einmal spielen?
Ich werde im Mai wahrscheinlich in dem sehr verrückten spanischen Spektakel „The Hole“ auftreten. Da bin ich genau das Gegenteil vom Bommes. Ich spiele einen sehr dekadenten Master of Ceremonies, der sich in eine lebende Ratte verliebt hat, nachdem er ein dreckiges Leben hinter sich hatte. Das ist auch comedyhaft und wird in der Show als eine Mischung aus Playboy-Gründer Hugh Hefner und Frank N. Furter aus der Rocky Horror Picture Show beschrieben. „The Hole“ ist eine Kombination aus Burlesque, Theater, Zirkus, Musik und Humor. Für die Rolle trage ich die Ratte auf der Schulter und muss in Spanien ein eigenes Rattentraining absolvieren. Das wird dann das exakte Gegenteil von Bommes sein, darauf freue ich mich schon. Diese Rolle wird mir bestimmt Spaß machen. Und ansonsten würde ich sehr gerne einmal den absoluten Klassiker, den Dorfrichter Adam im „Zerbrochenen Krug“, spielen. Am liebsten in einer modernen Gestaltung. Wer würde ihn nicht gerne spielen, das ist einfach ein herrlicher Charakter. Aber ich bin, wie gesagt, kein normaler Schauspieler.

Wie würden Sie sich beschreiben?
Ich bin ein Komödiant, das würde es ganz gut treffen. Der Bezeichnung Comedian – nicht dem Menschen – haftet für mich immer etwas Affiges an. Komiker klingt so nach Witzeerzähler. Ich bin ein Komödiant.

Haben Sie sich ganz von Film und Fernsehen verabschiedet?
Ich habe fünf Mal die Hauptrolle in abendfüllenden Filmen gegeben. Wenn ein Angebot kommt, das gut passt, würde ich mir das natürlich anschauen. Aber es ist eher selten, dass man ein tolles Drehbuch erhält und dann sagt: „Boa, was ist das für eine Rolle!“ Ich bin nun mal kein klassischer Schauspieler. Wenn sich ein Regisseur Gedanken über die Rollenbesetzung macht, dann denkt er bei mir sicherlich erst einmal daran, dass das Publikum in mir den Hausmeister Krause sehen könnte. Die Rolle habe ich mehr als zehn Jahre gespielt. Das wird man nicht los.

Der Fluch des Dackels?
Ich spreche bei „Dinner für Spinner“ nur einen Satz, in dem ein Dackel eine Rolle spielt, und die Zuschauer prusten jedes Mal los.

Würden Sie den Hausmeister Krause noch einmal aufleben lassen?
Wenn, dann muss es wirklich mit einer neuen Idee sein. Die Kids sind jetzt erwachsen, da kann man nicht einfach weiterspielen, als ob nichts passiert wäre. Ich würde, wenn es dazu einmal kommen sollte, Hausmeister Krause und die nächste Generation als Idee aufnehmen. Krause, mit einer neuen Idee, frisch präsentiert, wäre immer noch für eine Staffel gut. Kein Sender würde sich damit ein Ei legen. Aber ich bin natürlich auch froh, dass ich jetzt einmal etwas anderes machen kann.

Hausmeister Krause hat in Köln-Kalk gespielt. Sie leben in Köln. Was gefällt Ihnen an der Stadt?
Köln ist locker. Die Kölner haben einen guten Mutterwitz und sind sehr assoziativ. Sie sind Improvisationskünstler. Das liegt auch daran, dass sie „Schlampen“ sind und ihre Improvisationskunst immer wieder brauchen, wenn der Karren einmal wieder im Dreck steckt. Sie sind mäßig effektiv, was inzwischen bekannt ist. Was immer wieder reizvoll ist, ist die ganz eigene Patina, die Köln hat. Danach sehnt man sich, wenn man einige Zeit nicht mehr dort war.

Können Sie sich vorstellen, woanders zu leben?
Jetzt würde man natürlich als erstes sagen: in einem klimatisch angenehmeren Raum mit Blick aufs Meer und einem warmen Wind, der einen das ganze Jahr über streichelt. Diese Idee vor Augen, würde ich sagen: Wenn ich immer weg wäre, würde mir Köln fehlen. Ich könnte Köln jeden zweiten oder dritten Tag entbehren, aber es ist immer wieder schön, zurück in Köln zu sein.
(Susanne Rothe)

Das Contra-Kreis-Theater ist das älteste und größte Bonner Privattheater. Es wurde 1950 mit „Hamlet” eröffnet, musste 1966 dem neuen Stadthaus weichen und hat nun seit mehr als 40 Jahren seinen Platz neben der Universität. Bis 15. Mai steht der „Pantoffel-Panther“ mit Jochen Busse, Billie Zöckler, René Toussaint, Marko Pustisek, Mia Geese und Raphael Grosch auf dem Spielplan. Regie führt Horst Johanning.

Fotos: Steffi Henn (1), Contra-Kreis-Theater (5)