Wenn es um neue Trends, visionäre Entwicklungen und modernste Technologie in der Kommunikation geht, schauen die Menschen ehrfürchtig ins kalifornische Silicon Valley. Doch warum in die Ferne schweifen? Die Kommunikation von morgen wird auch im Rheinland gestaltet – und setzt unter anderem den heimischen Kühlschrank in Szene.
Ein Kühlschrank ist ein Kühlschrank ist ein Kühlschrank. Ein Küchenmöbel, das in jedem Haushalt anzutreffen ist. Eine Notwendigkeit, um Nahrungsmittel frisch zu halten. Aber ist das alles? Ist damit das Potenzial eines Kühlschranks erschöpft? Ist es einfach nur ein großes, mehr oder weniger gut designtes Möbel, dessen Äußeres dazu dient, lustige Magnete, Einkaufzettel oder selbst geschriebene Nachrichten, Einkaufslisten und Andenken aufzunehmen?
Informationstechnologie tiefgekühlt
Sicherlich nicht, sagten sich die Vordenker der Deutschen Telekom. Nahmen die mit Magneten angehefteten Notizen von der Front des Kühlschranks und machten ihn zu dem, was er eigentlich ist oder sein kann: zum Zentrum der Kommunikation. Denn er ist der Ort, dem sich jedes Familienmitglied, jeder Mitbewohner mindestens einmal am Tag zuwendet, um frische Milch für seinen Kaffee zu finden, die Reste des Mittagessens aufzubewahren oder den Weißwein für den Abend zu kühlen. „Warum also nicht den Kühlschrank zu einer Kommunikationszentrale machen?“, fragt Stephan Althoff von der Deutschen Telekom. Rhetorisch. Denn die Vordenkerinnen und Vordenker des Unternehmens haben das bereits getan und zeigen auf, wohin und wie sich die Kommunikation in den kommenden Jahren verändern wird. Wichtigster Trend dabei: Die Kommunikation wird dem Menschen folgen, nicht mehr der Mensch der Kommunikation. Gemeint ist, dass jeder an jedem Ort dieser Welt auf seine persönliche Kommunikation zugreifen, diese abrufen und weiterführen kann. Seien es umfassende Dateien für den beruflichen Gebrauch oder Filme, die man sich am Abend zuvor auf der heimischen Couch – unweit des Kühlschranks – angeschaut hat und am nächsten Tag nach dem Geschäftstermin in einer fremden Stadt auf dem Fernseher im Hotelzimmer zu Ende genießen möchte. Möglich machen dies sogenannte Cloud-Dienste. Das bedeutet, dass Software und persönliche Daten in der Wolke (Cloud) liegen, dass Smartphone oder der heimische Rechner nur noch zu einem bloßen Darstellungsgerät werden, dass sich aus der Cloud sowohl der Software nach Bedarf bedient als auch die entsprechenden Daten erst dann abruft, wenn sie tatsächlich benötigt werden.
„Es geht in erster Linie darum, den Menschen bei dieser Entwicklung mitzunehmen, seinem Verhalten und seinen Wünschen, seinen Anforderungen und seinen Bedürfnissen nach Kommunikation zu entsprechen“, erklärt Althoff. Damit zurück zum Kühlschrank. Geht es nach den Entwicklungsforschern der Telekom, werden Küchenbesucher nicht mehr auf eine Front schauen, sondern auf ein Display, auf welchem virtuelle Notizzettel oder Einkaufszettel angeheftet werden können, was an sich nicht sonderlich innovativ ist. Visionär aber ist der „Umgang“ mit diesen Notizen: „Schreibt man beispielsweise einen Einkaufszettel an den Kühlschrank, wird der automatisch mit einer zuvor definierten Benutzergruppe geteilt. Fällt also dem Ehemann auf, dass für das Abendessen noch Reis fehlt, schreibt er dies auf die Liste. Die Liste wird mit seiner Familie geteilt und sind Sohn oder Tochter im Supermarkt und kaufen das Produkt, wird es automatisch von der Liste gelöscht.“ Selbstredend ist das Display auf dem Kühlschrank mit dem Internet vernetzt, kann so Rezeptvorschläge zu den gekühlten Zutaten machen, kennt den Wetterbericht und informiert über alles Wichtige – schon früh am Morgen, beim Griff nach der Milch für den Kaffee.
Am Strom der Telekommunikation
Telekommunikation und Bonn. Das gehört zusammen. Nicht nur weil mit der Deutschen Telekom eines der größten europäischen Telekommunikationsunternehmen seinen Sitz in Bonn hat, sondern weil das Rheinland ein visionärer Ort in Sachen Kommunikation ist. So wurde beispielsweise die App, mit der heute Smartphone-Besitzer auf eine Vielzahl nützlicher Programme und Anwendungen zurückgreifen, von einem Bonner erfunden: Tobias Kollmann, der vor elf Jahren die Mini-Programme für Mobiltelefone erfunden hat, wurde in Bad Godesberg geboren und hat an der Universität Bonn Volkswirtschaftslehre studiert. Heute arbeitet er als Experte für E-Business an der Universität Duisburg-Essen. Mittlerweile ist die Informationstechnologie ein bedeutsamer Wirtschaftszweig für die Region. Allein in Bonn gibt es 9.700 Beschäftigte in der IT, weitere 4.000 sind es im Rhein-Sieg-Kreis. Die meisten davon arbeiten im Bereich Programmiertätigkeiten. Eine besondere Arbeit in diesem Bereich erledigt die Bonner Axxessio in Zusammenarbeit mit „Innocence in Danger“, einem weltweit agierenden Verein gegen sexuellen Missbrauch von Kindern. Die App „Clever im Netz“ ist immerhin die erste vom TÜV zertifizierte Applikation in Deutschland – und stammt aus Bonn.
Der Standortvorteil ist die enge Vernetzung mit einer Vielzahl von Firmen und Institutionen in verwandten Bereichen, die im Rheinland ihren Sitz haben: etwa das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) in Sankt Augustin. Es forscht und arbeitet im Themenfeld Nutzung von Geoinformationen im Marketing und strategischer Unternehmensführung. Hinzu kommen auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln und das Amt für das militärische Geoinformationswesen in Euskirchen. Im Zusammenspiel mit der Kreativwirtschaft, so hat die Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg im aktuellen Branchenreport festgestellt, ergibt sich so ein interessanter Effekt für Entwicklungen und Visionen.
Vier Punkt Null
Doch nicht nur Apps und Hardware verändern sich, sondern auch die Art und Weise wie wir arbeiten. Denn Arbeit ist längst nicht mehr an einen Ort und eine Zeit gebunden, sondern wird durch das Internet zeitlos und ungebunden. Hier arbeitet das Bonner Unternehmen Scopevisio an neuen Trends. „Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt enorm“, fasst Michael Rosbach, Vorstand von Scopevisio, zusammen. In der Industrie spreche man bereits von einer „vierten industriellen Revolution“, die „Smart Factories“ hervorbringt, in denen Maschinen miteinander kommunizierten und sich weitgehend selbst organisierten. Gleiches gelte für den Dienstleistungssektor. „Gerade Technologien wie Cloud Computing eröffnen dabei ein derart großes Innovationspotenzial, dass wir ein Cloud-Wirtschaftswunder für möglich halten“, so Rosbach weiter. Doch dazu sind Werkzeuge notwendig, die das Arbeiten in der Cloud ermöglichen. Scopevisio entwickelt solche Cloud-Unternehmenssoftware. Im Einzelnen sind dies Anwendungen für CRM, Abrechnung, Projekte, Finanzen und Dokumentenmanagement, die in Kombination eine integrierte Komplettlösung für kleine und mittelständische Firmen ergeben. Ohne, dass diese eigene Server vorhalten. Der Anwender mietet die Software und braucht sich um den „Rest“ – also um Wartung, Administration oder Updates – nicht zu kümmern. Das neueste Produkt von Scopevisio erlebt im März auf der diesjährigen Cebit seine Premiere: PROJEKTE2GO. Dabei handelt es sich um eine Anwendung für Tablets, die Projektmanagement und Zeiterfassung von unterwegs ermöglicht. So kann der Nutzer von seinem Tablet aus auf Kundendaten, Dokumente, Aufgaben, Kalender und andere projektrelevante Informationen zugreifen. Integriert ist außerdem eine Zeiterfassung. Rosbach: „Scopevisio partizipiert als Pionier und Vordenker in Sachen Cloud-Software eher an der Digitalisierung im Allgemeinen als von Web 4.0 im Speziellen. Wir geben Unternehmen, die den digitalen Wandel für sich nutzen wollen, die passenden Werkzeuge für die Unternehmenssteuerung an die Hand.“
Das Internet der Dinge
Web 4.0. Für manche noch ein Ding der Zukunft, für viele Rheinländer bereits Alltag. Web 4.0 beschreibt das Internet, in dem reale und virtuelle Welt verschmelzen. Ein Schlagwort ist in diesem Zusammenhang die „Augmented Reality“, bei der zum Beispiel online auf dem Smartphone – oder zukünftig vielleicht auch in Google Glass – die passenden Informationen zur realen Welt eingeblendet werden. In der Industrie sind viele Anwendungsmöglichkeiten für Web 4.0 denkbar: Ein Mechaniker erhält Zusatzinformationen zum Gerät, das er reparieren soll. Dazu braucht er nicht per Computer im Internet suchen, sondern seine Datenbrille erkennt das gesuchte Teil und blendet alle relevanten Informationen ein. „Schon jetzt sind wir von ‚intelligenten Dingen‘ umgeben“, sagt Michael Rosbach. „Man denke etwa an Heizungen oder Rollläden, die per Fernwartung gesteuert werden können. Die elektronische Vernetzung von Alltagsgegenständen wird weiter zunehmen. Die Entwicklung vollzieht sich schleichend.“ Das könne soweit gehen, dass ein Auto selbstständig Daten über seine Bauteile sammelt und eine Mitteilung an die Werkstatt losschickt, wenn eine Inspektion notwendig ist.
Stichwort Connected Car: Die Anforderungen einer möglichst umfassenden Vernetzung mit dem Internet, dem Hersteller, anderen Autos oder der Umwelt werden die Automobilindustrie noch vor besondere Herausforderungen stellen. Bereits jetzt ist es aber schon mithilfe einer Smartwatch möglich, verschiedene Statusinformationen des Autos abzufragen oder Navigation und Klimaanlage zu regeln.
Web 4.0 gilt vielen auch als „Internet der Dinge“. Die Frage dabei bleibt, ob alles was möglich ist, sich auch durchsetzen wird. Die Vernetzung von alltäglichen Dingen kann das Leben erleichtern, gleichzeitig macht sie den Menschen immer abhängiger von Technik. Der Scopevisio-Vorstand dazu: „Die spannende Frage lautet: Wer steuert wen? Die Zukunft wird zeigen, ob und wie die Menschen die neuen Möglichkeiten annehmen wollen. Es ist allerdings anzunehmen, dass Technologien, die mehr Bequemlichkeit verheißen und den Komfort erhöhen, sicherlich Einzug in den Alltag halten werden.“ Ähnlich sieht es Stefan Althoff von der Deutschen Telekom: „Wichtig ist dabei jedoch, den Menschen bei all diesen Neuerungen mitzunehmen, seinen Bedenken etwa in Richtung Sicherheit im Netz Rechnung zu tragen.“
Doch Entwicklungen aus dem Rheinland verändern nicht nur die Kommunikation zwischen Menschen, sondern bringen auch Innovationen in nicht ganz naheliegende Bereiche und zeigen so, wie weit das „Internet der Dinge“ inzwischen das Leben beeinflusst. Auch in ganz unerwarteten Bereichen: In der Agrartechnologie beispielsweise ist dieser Trend als Farming 4.0 oder Precision Farming, zu übersetzen mit „Präziser Landwirtschaft“, bekannt. Er setzt auf satellitengestützte Telekommunikation. Der Hintergrund: Maschinen verbessern selbstständige Arbeitsprozesse und entlasten so ihre Bediener. Dabei werden beispielsweise alle in landwirtschaftliche Prozesse eingebundenen Arbeitsgeräte miteinander vernetzt. Unter Verwendung von Geodaten lassen sich so detaillierte Karten von landwirtschaftlich genutzten Flächen erstellen, die dem Agronomen aufzeigen, wo etwa im kommenden Jahr mehr Düngemittel eingesetzt werden muss, um einen möglichst gleichmäßigen Ertrag zu erzielen, oder wo auf deren Einsatz verzichtet werden kann. Selbstfahrende Traktoren und Arbeitsgeräte bringen folglich – gelenkt über GPS-Systeme – Düngemittel nur dort auf, wo sie wirklich benötigt werden. Der Effekt: Die Umwelt wird entlastet. Ganz nebenbei wandelt sich das Bild vom Landwirt: Sein Beruf kommt längst der Arbeit in einem Hightech-Büro gleich, statt an staubige, erdige, urgewaltige Landwirtschaft zu erinnern. Alle im Prozess benötigten Geräte sind miteinander vernetzt, übertragen Daten und stimmen sich laufend untereinander ab. Der „Fahrer“ nutzt dabei Tablets mit ständig sich aktualisierenden Darstellungen.
Weltweites Farming
Die entsprechende Mobilfunk-Technologie der Deutschen Telekom hat beispielsweise in den Traktoren, Mähdreschern und Erntemaschinen von Claas bereits Einzug gehalten. So weiß der Mähdrescher etwa, wann der Korntank voll ist und ruft automatisch über das Mobilfunknetz den Traktor mit Überladewagen. Der lenkt sich selbst, kennt aufgrund der genutzten Geodaten das Gelände sowie die Maschinenstandorte und sucht den besten, schnellsten und effektivsten Weg zum Drescher, dabei achtet er selbsttätig darauf, den Boden so wenig wie möglich zu belasten. Im Mähdrescher wurde mittlerweile die Qualität des Getreides automatisch analysiert und an den Hof gemeldet und es wurden neue Wetterdaten empfangen. In drei Stunden soll es regnen. Der Drescher ändert seine Strategie und setzt auf maximale Geschwindigkeit statt minimalem Verbrauch. Die in den Ernteprozess eingesetzten Maschinen werden synchronisiert und der Acker vor den ersten Regentropfen abgeerntet. Das zugrundeliegende Forschungsprojekt wird von der Bundesregierung gefördert. Es soll die Landwirtschaft zu einer intelligenten Fabrik machen, in der Maschinen und Geräte miteinander vernetzt sind und selbsttätig über das „Internet der Dinge“ miteinander kommunizieren. Ziel ist die sogenannte Informatisierung der Industrie, an der auch im Rheinland gearbeitet wird.
Fotos: LG Electronics, Michael Sondermann/Bundesstadt Bonn, BMW Group (2), Deutsche Telekom AG, Claas (2)