Johannes Kuchta ist in der Bonner Musikszene bekannt. Erst vor wenigen Wochen konnte man ihn beim Jazzfest Bonn zusammen mit dem Marcus Schinkel Trio hören. Musik gehört zu seinem Leben. Er betreibt sie professionell und mit Leidenschaft – genauso wie seinen eigentlichen Beruf als Neurochirurg. Wir haben Johannes Kuchta in seinem Tonstudio hoch über dem Rheintal gesprochen.

Erst müssen wir an dem Mops vorbei. Tito sitzt im Eingang und benimmt sich, als wäre er in Wirklichkeit ein Löwe. Ein tierisches Täuschungsmanöver. Mutig gehen wir auf ihn zu und siehe da, er streckt sich uns entgegen und fordert Streicheleinheiten. Kein Problem. Herrchen Johannes Kuchta kann warten, erst ist Tito dran. Das halbrunde Tonstudio liegt hoch über dem Rheintal und wenn die schallschluckenden blauen Vorhänge aufgezogen sind, hat man einen wunderbaren Blick nach draußen. Eine Wand besteht nur aus Regalen mit Metern von Büchern. Ein Flügel steht in der Mitte des Raumes, daneben thront eine Mops-Lampe auf einem Sockel. Hinter dem Mischpult hängt eine riesige Karte von Australien und Ozeanien. Keyboards, Gitarren, Percussioninstrumente, ein Koffer mit einer Wasserharfe – es ist wie in einem kleinen Museum, nur dass die Instrumente benutzt werden. 

Johannes Kuchta
Johannes Kuchta
Johannes Kuchta im Gespräch

Hat Musik dich schon immer begeistert?
In der Schule hatte ich eine Sechs in Musik. Das lag am Quintenzirkel, den wollte ich nicht lernen. Dann kam noch eine Sechs in Latein hinzu und ich bin von der Schule geflogen. Auf der neuen Schule war ich plötzlich motiviert, zu arbeiten und auch etwas in Richtung Musik zu machen. Neunzehnhundert-irgendwas hatte ich auf dem Katholikentag meine erste Band. Mit 16 Jahren habe ich dann mein Zimmer in der Mitte mit einem Vorhang geteilt. In der einen Hälfte standen mein Bett, Schreibtisch und der Schrank. In der anderen Hälfte gab es nur meine Musikinstrumente. Seitdem hat sich mein Zugang zur Musik immer weiter entwickelt.

Du spielst nicht nur sehr viele Instrumente, sondern singst auch noch. Hattest du in allem Unterricht?
Ich hatte immer etwas Klavier-, Bass- und Schlagzeugunterricht. Ich bin aber in der Theorie nicht sehr gut. So kann ich Noten nur sehr schlecht lesen. Ich höre besser. Das Singen gehört für mich einfach dazu. Beim Singen gibt es zwischen dem Ton und mir selbst nur wenig Distanz. Wenn ich beispielsweise Schlagzeug spiele, gibt das Instrument den Ton ab. Beim Singen ist das anders, da erzeuge ich den Ton und führe mein Instrument immer bei mir.

Wo liegt dein musikalischer Schwerpunkt?
Mein Schwerpunkt ist es, Stücke zu schreiben. Man kann also sagen:
Ich bin Songwriter. Ich mag eine klassische Songstruktur mit Strophen und Refrain. Früher habe ich immer versucht, alles alleine zu machen. In letzter Zeit macht mir das Zusammenspielen und auch das Ideenentwickeln mit befreundeten Musikern am meisten Spaß. Da gibt es dann je nach Projekt ganz unterschiedliche Rollen, die man einnehmen kann.

Wo kommen die Ideen für die Songs her?
Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Projekte, an denen ich über Jahre arbeite, und die wahrscheinlich nie fertig werden. Andere wiederum gehen ganz schnell. Ein Beispiel: Einer meiner Songs heißt: „Träumen Sie von was Schönes“. Er ist als Geschenk für einen Freund entstanden, der als Anästhesist arbeitete und aufhörte. Ursprünglich wollte ich nur die Sätze, mit denen er seine Patienten immer in die Welt des Schlafes hinübergeleitet hat, als Erinnerung aufnehmen und habe mein Handy neben das Kissen gelegt, wenn er eine Narkose einleitete. Als ich die Aufnahme angehört habe, habe ich festgestellt, dass er die Sätze immer in einem bestimmten Rhythmus gesprochen hat. Den Rhythmus habe ich übernommen und ein paar Akkorde daruntergelegt. So ist in ein paar Minuten ein Lied daraus entstanden, das jetzt fast am häufigsten von meinen Songs im Internet gehört wird.

Jetzt bist du im Rahmen des Bonner Jazzfestivals mit dem Marcus Schinkel Trio aufgetreten …
Ja, das ist etwas völlig anderes. Marcus steht für sehr ausgefeilte Musik mit vielen Harmoniewechseln, angelehnt an Modest Mussorgsky. Bei unserer Zusammenarbeit ist es eher mein Job, das alles einfacher zu machen und zu erden. Ich suche Klänge, an denen man sich mit den Ohren festhalten kann und versuche meinen kleinen Teil zum Ganzen beizutragen.

Da du gerade von Job sprichst: Bist du in erster Linie Arzt und dann kommt erst die Musik oder ist es eher umgekehrt?
Die Priorität wechselt. Ich hatte Zeiten in meinem Leben, da habe ich mehr Musik gemacht als Medizin. In der meisten Zeit mache ich allerdings mehr Medizin. Mir macht beides viel Spaß. Ich merke bei beidem nicht, wie die Zeit vergeht.

Warum bist du Neurochirurg geworden?
Mich hat immer das Gehirn interessiert, weil es das wichtigste und menschlichste Organ ist. Man erfährt dabei sehr viel über sich selbst. Jeder möchte wissen, wo er herkommt und wie er funktioniert. Die Grundlage dafür ist, immer erst einmal zu schauen, wie das physiologisch aussieht. Also: die Hardware zu betrachten, die man so mit sich schleppt. Das Gehirn ist das Denkorgan und macht den Menschen zum Menschen. Das hat mich immer mehr als irgendwelche Blasenfunktionen interessiert. Die sind natürlich auch wichtig, für mich aber nicht so faszinierend.

Aber du hast dich jetzt auf Wirbelsäulenoperationen spezialisiert.
Ja, aber eher aus praktischen Erwägungen. Ich habe über das Thema Hörprothetik habilitiert und es dann aber nicht mehr groß verfolgt, weil man damit immer an eine große Universität gebunden ist. Mit meiner Wirbelsäulenspezialisierung bin ich freier und selbstständiger als in einer großen Uniklinik. Für Wirbelsäulenspezialisten ist einfach der Bedarf da. Es haben mehr Menschen Probleme mit der Wirbelsäule, als sie welche mit einem durchtrennten Hörnerv haben. Das bietet mir auch mehr Möglichkeiten und Freiheiten, um Musik zu machen. Musik ist mein zweiter Job.

Hattest du noch nie den Wunsch, nur noch Musik zu machen?
Die meisten Leute, mit denen ich Musik mache, sind Profimusiker. Das heißt, ich erlebe es mit, wie es bei ihnen ist. Meistens bin ich dann ganz froh, dass ich nicht mit Musik meinen Lebensunterhalt verdienen muss. Ich kenne ein paar Berufsmusiker, bei denen ich denke: super. Zum Beispiel Till Brönner. Mit ihm habe ich ganz früher einmal zusammen Musik gemacht. Das war in einer meiner ersten Bands. Wir brauchten damals einen Bläsersatz und haben ihn gemeinsam gespielt. Wir waren beide noch ganz jung, aber es hat mich sehr beeindruckt, dass er damals schon ganz genau wusste, wo er als Musiker einmal hin möchte. Da ist er jetzt auch, aber das ist nicht jedem so gegeben.

Johannes Kuchta, Jazzmusiker und Neurochirung aus Bonn

Was hat sich, seitdem du Musik machst, verändert?
Die Musikbranche hat sich geändert. Es gibt beispielsweise mit wenigen Ausnahmen kaum noch CD-Verkäufe. Alan Parsons ist eine solche Ausnahme. Bei ihm habe ich vor kurzem einen Workshop in den Kölner Maarwegstudios besucht. Er hat dabei erzählt, er verkaufe noch ganz viele CDs. Das liegt natürlich daran, dass er superbekannt ist und seine Altersklasse auch noch CD-Player hat. Ich kenne jedoch zunehmend Leute, die gar keinen CD-Player mehr haben. Heute wird Musik fast nur noch über Streaming gehört. Die ganze akustische Welt liegt einem zu Füßen, aber die Künstler verdienen kaum mehr etwas damit.

Wusstest du schon als Jugendlicher, dass du Arzt werden möchtest?
Nein, ich hatte, was meinen Berufswunsch betrifft, drei Abstufungen. An erster Stelle stand ein Filmmusikstudio. Der zweite Platz gehörte der Neurochirurgie und der dritte Berufswunsch war Lehrer. In meiner Familie sind eigentlich alle Lehrer – außer mir. Ich habe immer geglaubt, dass ich mich für einen Berufsweg entscheiden muss. Aber jetzt ist alles parallel möglich. Ich gebe Vorlesungen, bin in der Ausbildung von Medizinstudenten tätig, arbeite als Neurochirurg und mache Musik mit eigenem Studio. Man muss versuchen, seine Interessen zu leben.

Welche Musikrichtung ist denn deine oder gibt es auch hier nicht nur eine?
Ich fang einmal so an: Früher habe ich immer gesagt, dass ich Countrymusik überhaupt nicht mag. Aber das könnte ich jetzt auch nicht mehr sagen. Wenn man in Amerika Auto fährt, hört man ständig Countrymusik und dann ist das total super. Die Musik, die ich in der Vergangenheit hauptsächlich gemacht habe, kann man als „adult contemporary europop“ bezeichnen. Doch das fasst es sicher nicht so ganz. Allerdings – wenn man eine Schublade haben muss, dann wäre das die Schublade. Wenn ich musikalische Vorbilder nennen müsste, dann wären das meist Engländer und meist etwa 15 Jahre älter als ich: Peter Gabriel, Phil Collins, Sting usw. haben mich schon geprägt. Heute mag und mache ich auch schrägere Sachen.

Du hast auch ein eigenes Label.
Das war ebenfalls immer ein Traum von mir. Ich wollte gerne, mit Freunden oder auch mit Menschen, die ich durch die Musik kennenlerne, Stücke produzieren und Grafik und Gestaltung beeinflussen.

Kommen wir zu einer anderen Seite von dir: Du erfindest Dinge.
(lacht) Das sollte man nicht zu hoch aufhängen. Ich war immer voller Ideen, die ich aber nicht realisiert habe, weil ich mich mit der praktischen Umsetzung nicht auskannte. Dann habe ich in meiner Praxis zwei Erfinder kennengelernt, die mir erklärt haben, wie man Patente anmeldet und solche Sachen. Meine Erfindungen sind jetzt angemeldet und liegen trotzdem in den Schubladen, weil ich nicht weiterkomme.

Kannst du ein Beispiel für deine Erfindungen nennen?
Ich habe im medizinischen Bereich einen Vagusstimulator entworfen. Der Vagusnerv bildet mit dem Sympathikus das vegetative Nervensystem, über das die lebenswichtigen Funktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung und Stoffwechsel kontrolliert und gesteuert werden. Der einzige Punkt am Körper, an dem das Nervensystem herauskommt, ist der Gehörgang. Das habe ich genutzt, um eine Art In-ear-Kopfhörer zu entwickeln, über den man Musik hören kann und der gleichzeitig das Nervensystem stimuliert.

Der Raum hier ist voll mit Büchern und Instrumenten, bald musst du anbauen.
Ich habe noch Instrumente in einem anderen Raum untergebracht. Die Bücher sind natürlich zum Lesen da, dienen aber auch als Schallschutz.

Was sind das für Instrumente?
Hauptsächlich Percussioninstrumente und Keyboards. Keyboards habe ich viele klassische, beispielsweise einen Moog-Synthesizer. Hier an der Wand steht ein Harmonium, das ich für 50 Euro bei ebay gekauft habe. Ich habe die Tastatur herausgesägt und eine eingebaut, mit der man auf dem Computer spielen kann.

Auftritt: Johannes Kuchta mit dem Marcus Schinkel Trio
Auftritt: Johannes Kuchta mit dem Marcus Schinkel Trio

Hast du ein Lieblingsinstrument?
Klavier, glaube ich. Das ist am vielfältigsten. Andere Instrumente sind spannend und haben einen schönen Klang, mit ihnen kann man aber nicht unbedingt neue Stücke schreiben oder in viele Richtungen spielen.

Was ist wichtig, um gute Musik zu machen?
Das ästhetische Klangempfinden und das selbstkritische Zuhören. Jeder kann Musik machen und aufnehmen. Man benötigt heute nur bestimmte Programme. Aber wenn das ästhetische Grundempfinden fehlt und man sich von der Technik bestimmen lässt, bleibt es meist platt. Wichtig ist es auch zu merken, wenn man besser mal ruhig sein sollte.

Wie findest du das Bonner Jazzfestival?
Das finde ich super. Ich finde auch, dass es der künstlerische Leiter, Jazzfestgründer Peter Materna, ganz toll macht. Es ist schade, dass er im Moment selbst nicht spielt, sondern „nur“ organisiert. Er ist beinahe mein Lieblingssopransaxofonist in Deutschland. Ich habe in Amerika gelebt und war entsetzt, wie wenige Menschen sich im Mutterland des Jazz für Jazz interessieren. Die Szene in Deutschland ist sehr weitreichend und gut vernetzt. Bonn ist ein schönes Beispiel. 
(Susanne Rothe)

Fotos: Johannes Kuchta (1), P. M. J. Rothe (1), Holger Thomson (2), Dennis Schneider (2)