„Man kann nichts falsch machen, außer man macht nichts!“ Kaum jemand kann noch Erste Hilfe. Man lernt sie für den Führerschein und dann vergisst man das Wissen wieder. Doch was ist, wenn plötzlich ein Mensch auf der Straße oder gar zu Hause mit akuten Herz-Kreislauf-Problemen umfällt? Ein Thema, das gerne ignoriert wird – aus Angst, das Falsche zu tun, weil der Rettungsdienst sowieso kommt, und auch aus Interesselosigkeit. „Viele Menschenleben könnten gerettet werden, wenn mehr Menschen bereit wären, Erste Hilfe zu leisten“, sagt Christiane Puck. Ihrer Meinung nach ist es höchste Zeit, dass sich etwas ändert, denn unser Gesundheitssystem ist genug gefordert. Die Notärztin hat ein Projekt initiiert, in dem Kinder von Kindern Erste Hilfe erlernen. „Doc Puck zeigt es“ setzt auf die Lebensretter von morgen. Das Ziel: Erste Hilfe soll Schulfach werden.
Doc Puck

Christiane, wie bist du auf die Idee gekommen, „Doc Puck zeigt es“ zu gründen?
Als Notärztin habe ich schon oft die Erfahrung gemacht, dass Menschen anderen Menschen in akuten Notsituationen nicht mehr helfen. Dafür gibt es drei Gründe: 1. Unwissenheit und Angst, 2. sie verlassen sich auf den Rettungsdienst, 3. Notfälle werden oft nicht einmal mehr wahrgenommen. Notfälle passieren in unserer digitalisierten Welt virtuell und nicht mehr reell. Man schaut sie sich weit weg vom Geschehen auf irgendeinem Social-Media-Kanal einfach an. In den skandinavischen Ländern können 78 % der Bevölkerung Erste Hilfe leisten. Die Menschen dort sind aufgrund der Struktur der Länder mehr aufeinander angewiesen. Die Kinder haben schon in der Grundschule Erste Hilfe als Schulfach und lernen die vier Säulen: Notruf absetzen, stabile Seitenlage, Herzdruckmassage und AED (Automatisierter Externer Defibrillator). In Deutschland können das nur 20 bis 30 % der Laien. Bei uns muss dringend ein Umdenken erfolgen und das können wir nur über die Kinder erreichen, sonst ist irgendwann niemand mehr da – denn unser Gesundheitssystem kann das nicht mehr lange leisten.

Warum ist die Erste Hilfe so wichtig?
Über 30.000 Menschenleben könnten jedes Jahr in Deutschland gerettet werden, wenn bei akuten medizinischen Notfällen, die zu 70 % im heimischen Umfeld geschehen, direkt Erste Hilfe geleistet würde. Der Rettungsdienst benötigt acht bis zwölf Minuten, bis er vor Ort ist. Wenn es sich um einen akuten Herz-Kreislauf-Stillstand handelt, ist der Mensch bis dahin tot. Der Körper hat in der Regel nur noch Sauerstoff für drei bis fünf Minuten im Blut, bis die ersten Gehirnzellen absterben. Wenn man also nicht direkt mit der Herzdruckmassage beginnt, stirbt der Mensch oder er ist behindert. Der Rettungsdienst kommt zu spät.

Du sprichst Kinder im Grundschulalter an. Warum so junge Menschen?
Wenn man Erste Hilfe bereits im Kindesalter lernt, behält man das Wissen wie Fahrradfahren und Schwimmen. Das ideale Alter ist acht bis zwölf Jahre. Im frühen Alter Erlerntes behält man fürs Leben (Anm. d. Red.: Siehe auch Resuscitation, Lukas et al., 2016). Außerdem sind Schulkinder wunderbare Multiplikatoren und Mediatoren. Wir sagen ihnen daher immer, dass sie ihr Wissen an Eltern, Großeltern und Geschwister weitergeben sollen. Kinder sind so begeisterungsfähig, dass sie andere damit anstecken. Kinder sind außerdem sehr mutig. In den skandinavischen Ländern werden, seitdem es dieses spezielle Schulfach gibt, mehr als 10.000 Menschenleben pro Jahr gerettet. 

Wann hast du den Verein gegründet?
Den Verein habe ich vor einem Jahr gegründet. Auslöser war, wie schon gesagt, meine Erfahrung als Notärztin, aber auch meine persönliche Geschichte. Ich habe erlebt, wie man behandelt wird, wenn man gemeinsam mit einem kranken Menschen weiter am sozialen Leben teilnehmen will. Man ist eigentlich ein Störfaktor und nur die wenigsten helfen. Das heißt, ein wesentlicher Aspekt unseres Engagements ist ebenfalls, das soziale Bewusstsein zu schärfen. Und auch damit kann man nicht früh genug beginnen.

„Wenn man Erste Hilfe bereits im Kindesalter lernt, behält man das Wissen wie Fahrradfahren und Schwimmen.“

Welches Konzept steckt hinter „Doc Puck zeigt es“?
Unser Konzept ist einfach. Das Motto lautet: „Man kann nichts falsch machen, außer man macht nichts.“ Wir haben vier Schulungsfilme, entsprechende Flyer und erarbeiten gerade ein Notfallhandbuch. Wir sind auf YouTube und Instagram präsent und entwickeln unsere Homepage docpuckzeigtes.de zu einer kindgerechten Online-Lernplattform für Erste Hilfe. Alles basiert darauf, dass Kinder lieber von anderen Kindern lernen. Sehr dabei geholfen, hat mir ein Stipendium von startsocial, das „Hilfe für Helfer“ bietet. Dabei geht es nicht um die einmalige finanzielle Förderung einzelner Projekte, sondern um den Wissenstransfer und die Vernetzung zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Erfahrene Fach- und Führungskräfte geben Feedback und Anregungen zur Weiterentwicklung von Initiativen. Die startsocial-Coaches unterstützen durch Beratung und Hilfestellung vor Ort bei relevanten Entwicklungsfeldern wie beispielsweise Organisationsentwicklung, Finanzplanung und Projektmanagement. Unsere Coaches waren Matthias Körnich, WDR-Redakteur für die „Sendung mit der Maus“, und Marc Lehnen von der Allianz.

Erste Hilfe

1.

Die Person ansprechen:
„Hören Sie mich?“
An den Schultern schütteln.
Reagiert die Person?
Auf die Atmung achten: Keine Atmung oder keine normale Atmung?

2.

Die 112 wählen.

3.

Wichtig: Direkt mit der Herzdruckmassage anfangen.
Dafür legt man die Hände auf die Mitte des Brustkorbs. Dann fest und schnell ca. 100 x pro Minute drücken.
Die sofortige Herzdruckmassage verdoppelt bis verdreifacht die Überlebenschance. Auch schon vor Covid-19 galt: Eine Atemspende
(Mund-zu-Mund- bzw. Mund-zu-Nase-Beatmung) durchzuführen, ist für Laien nicht zwingend erforderlich.

Wie geht ihr konkret vor?
Zunächst stellen wir das Konzept den Lehrern online vor. Dafür ist kein Vorwissen notwendig. Dann werden mit ihnen Termine für zwei Projekttage in den Schulen ausgemacht. In vier Schulungsvideos lernen die Kinder von Kindern, wie Erste Hilfe funktioniert. Zu jedem Thema – Notruf absetzen, stabile Seitenlage, Herzdruckmassage und AED – bieten wir ein eigenes Konzept zur Umsetzung an. Im Anschluss an den Schulungsfilm wird der jeweils dazugehörige kindgerechte Flyer an die Schüler verteilt. Dann geht es darum, das Gesehene praktisch anzuwenden und zu üben. Dazu erhalten die Schulen einen Schulungs-AED sowie die Schulungspuppen „Little Anne“. Ein Motivationsvideo macht klar, dass jedes Kind es schaffen kann. Das Konzept ist so einfach, dass die Lehrer es nach dem ersten Mal selbst durchführen können. Sollten dabei Fragen auftauchen, können wir per Zoom oder Telefon dazugeschaltet werden.

Sind Kinder so kräftig, dass die Herzdruckmassage effektiv ist?
Nicht jedes Kind. Aber Kinder sind stärker, als man denkt. Wir wollen jedoch vor allem erreichen, dass man überhaupt etwas macht. Und vielleicht erreichen wir ja über die Kinder die Erwachsenen.

Was sind eure aktuellen Ziele?
Zunächst sollen Bad Honnef und Bonn Projektstädte werden. Die Stadt Bad Honnef sponsert die Ausstattung ihrer Grundschulen mit den Übungspuppen und den Übungs-AEDs. Mittlerweile ist das Projekt hier in der Region bekannt. Unser großes Ziel ist es, Erste Hilfe bundesweit in die Schulen zu bringen. Unterstützt werden wir unter anderem von der Firma Merlin, einem der größten Anbieter von therapeutischem Lern- und Bewegungsmaterial in Europa. Wir liefern das medizinische Know-how und Merlin entwickelt mit uns das Online-Schooling für Erste Hilfe. Starmedic Medical Solutions and Services ist im Bereich Medizintechnik tätig. Das Unternehmen mit Sitz in Brühl bei Köln hilft uns bei der Produktion unserer Druckunterlagen und stellt uns Übungsmaterialien wie AEDs und Puppen zur Verfügung. Bis Ende 2022 wollen wir in NRW in etwa 200 Grundschulen Thementage zur Ersten Hilfe einführen.

Der Verein ist auf Spenden angewiesen. Was passiert mit den Geldern?
Damit finanzieren wir z. B. die Filme und die Flyer, die wir mit Profis realisiert haben. Außerdem werden Übungspuppen und AEDs gekauft.

Kann man euch auch anders unterstützen?
Wir brauchen viele freiwillige Helfer, die uns bei den Veranstaltungen unterstützen, bei denen wir unser Projekt vorstellen. Wir sind ein junger Verein mit vielfältigen Aufgaben, für die wir Unterstützung brauchen.
(Susanne Rothe)

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