„Ein Ding ist bestimmt durch sein Wesen. Um es so zu gestalten, dass es richtig funktioniert – ein Gefäß, ein Stuhl, ein Haus –, muss sein Wesen zuerst erforscht werden; denn es soll seinem Zweck vollendet dienen, das heißt, seine Funktion praktisch erfüllen, haltbar, billig und ‚schön‚ sein.“
Walter Gropius, Bauhausgründer, 1925
Das Bauhaus wird 2019 hundert Jahre alt. Seine Ideen sind noch heute gültig. Geht man durch Neubaugebiete, findet man immer mehr Häuser, die kubisch gebaut sind, mit flachen Dächern und einer schnörkellosen Architektur. Auf einen ersten Blick erinnern sie an die Ästhetik dieses bedeutenden Stils des vergangenen Jahrhunderts. Auch im Wohnbereich lassen sich seine Einflüsse finden. Lampen, Stühle, Tische – zeitloses Design und sachliche Formensprache sind gepaart mit hoher Funktionalität. Ist das Bauhaus wieder da?
Was ist dran am Mythos Bauhaus? Wir haben mit dem Architekten und Hochschuldozenten Professor Benedikt Stahl über die in Weimar gegründete Kunstschule gesprochen, die es gerade einmal 14 Jahre gab. Doch ihr Geist lebt weiter.
2019 jährt sich die Geschichte des Bauhauses zum hundertsten Mal. Wie aktuell ist die Bauhausästhetik in der heutigen Architektur?
Um diese Frage zu beantworten, würde ich gerne den Begriff der „Bauhausästhetik“ etwas näher beleuchten. Das Bauhaus ist zunächst einmal eine Idee. Den Gründern, Lehrern und Lernenden ging es in ihrer Arbeit darum, die Baukunst mit bildender und darstellender Kunst zu verbinden und in diesem Kontext Konzepte für die Zukunft menschlicher Lebensräume zu entwickeln. Das Erfinden von Räumen und Dingen sollte als ganzheitlicher Prozess verstanden werden, womit die Lehre im Grunde auch an die Zeit der großen Architekturepochen von Renaissance oder Barock anknüpfte. Ich würde das vor allem im zeitlichen Zusammenhang betrachten: In der bildenden Kunst war man mit den Strömungen des Expressionismus, des Kubismus und der gegenstandslosen Malerei auf dem besten Weg, der Moderne eine eigene Sprache zu geben. Musik, Mode, Design erneuerte sich grundlegend. Man probierte, was man nicht kannte, war mutig, zuversichtlich, weltoffen, hoffnungsvoll und wollte sich zugleich gegen konservative und althergebrachte Lebensweisen und -formen absetzen.
Wie würden Sie die daraus resultierenden Merkmale beschreiben?
Es ist eine Zeit des Aufbruchs, des Sich-finden-Wollens in einer neuen Welt, in der eine demokratisch organisierte Gesellschaft entscheidet, wie sie leben will. Die damit verbundene Formensprache hat in der Architektur sehr viel auch mit technischen Errungenschaften zu tun, die schon im Zeitalter der Industrialisierung vorbereitet wurden. Neue Konstruktionsideen vor allem mit Stahlbeton boten auf einmal ganz andere Möglichkeiten. Frei tragende Decken konnten weit gespannt werden, große horizontale Öffnungen und Glasflächen wurden baubar, die Räume damit heller, klarer, offener.
Für uns scheinen solche Bilder wie die des Bauhauses in Dessau heute nicht sonderlich aufregend zu sein, wir sind diese Sprache gewohnt. Sieht man das aber mal in der zeitlichen Nachbarschaft zu Gründerzeit-Häusern und wilhelminischen Neobarock-Fassaden ist es, glaube ich, nicht schwer sich vorzustellen, welche Aufregung das erzeugt haben muss und wie revolutionär dieser Ansatz gewesen ist. Die Architektur hat sich seitdem immer weiter entwickelt und verändert und der Einfluss des Bauhauses und seiner Formensprache spielt dabei eine sehr prägende Rolle. Das Ästhetische daran ist aus meiner Sicht mehr ein Lebensgefühl als eine Form!
Das Bauhaus-Gebäude in Dessau
Das Bauhaus ist zum Inbegriff moderner Architektur geworden. Warum?
Sehen wir das Ganze auch einmal mit einem etwas kritischen Blick. Moderne Architektur ist bei Weitem nicht immer gleichbedeutend mit guter Architektur.
Auch wenn es viele hervorragend gebaute Beispiele aus dem Bauhaus und unter dessen Einfluss gibt, so sind leider weitaus mehr Bauwerke entstanden, die die Zeichen der Zeit anders interpretiert haben.
Insbesondere im Städtebau der Nachkriegsjahre ist vieles falsch gelaufen. In den stark zerstörten Metropolen hat man die Möglichkeit genutzt, die neuen Städte ganz im Sinne der vielversprechenden Moderne neu aufzubauen und sie vor allem autogerechter zu machen. In rasender Geschwindigkeit sind binnen weniger Jahre ganze Stadtviertel neu entstanden und in bester Absicht „modern“ angelegt worden. Das Ergebnis ist bekannt: Riesige Verkehrsadern zerteilen Stadtgrundrisse, schneiden das Leben von Flussufern oder Grünzügen ab und erzeugen unmenschliche Szenarien. Unwirtliche Freiräume bestimmen die Stadtlandschaften und lieblose, allzu schnell errichtete Häuser säumen deren Ränder. Das ist die Kehrseite vor allem der Nachkriegsmoderne: Indem sie die kostbaren Schätze unserer Baugeschichte ignoriert und zerstört, kreiert sie das Gegenteil von dem, was die Bauhausväter und -mütter dereinst im Sinn hatten: die Gestaltung einer lebenswerten neuen Welt mit brauchbaren guten Dingen, schönen Wohnungen und menschlichen Umgebungen. Natürlich gibt es auch bis heute sehr viele Häuser und Gegenstände, die seit damals nichts von ihrer Schönheit eingebüßt haben und deshalb ist das Bauhaus auch weiterhin ein Inbegriff dieser Bewegung.
Welche Rolle spielen moderne Materialien in der Realisation des Bauhausstils?
Unter modernen Materialien verstehe ich in diesem Zusammenhang den eben schon erwähnten Stahlbeton und Glas. Neue Konstruktionsmethoden führten zu neuen Formen. Flachdächer, Grundrisse ohne tragende Wände, große Spannweiten und so weiter. Besonders spannend und oftmals kaum beachtet ist allerdings auch die Materialvielfalt, mit der am Bauhaus gearbeitet und experimentiert wurde. Keramik, Textilien, Porzellan, Holz in Kombination mit Stahl, neue Holzverarbeitungsmethoden, Leder, Kunststoffe, Farben, Lacke, Leuchten, Stühle, Sessel, Wohnmöbel und Accessoires, Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände, all das hat zu neuen Erfindungen geführt, die sehr stark auch dadurch gefördert wurden, dass in der Grundlehre des Bauhauses die verschiedenen Materialien ausprobiert und damit gearbeitet wurde. Handwerk und Baukunst fanden hier zusammen und konnten sich frei entfalten.
Lässt sich der Bauhausstil noch perfektionieren?
Was heißt perfektionieren? Gerne stelle ich mir vor, wie es weitergegangen wäre, wenn das Bauhaus im Jahr 1933 nicht von den Nazis geschlossen worden wäre. Ich bin sicher, sein Einfluss auf die moderne Kunst und Architektur wäre noch viel bedeutender gewesen und es hätte mehr Zeit gegeben, den vorhin angesprochenen Missverständnissen wie zum Beispiel im Städtebau vorzubeugen und die guten Ideen weiter auszuformulieren.
Können Sie Bauhaus-Beispiele aus Bonn und Umgebung nennen?
Ganz authentische Beispiele in der Bonner Umgebung zu nennen, fällt mir schwer. Sicher sind jedoch eine ganze Reihe bedeutender Bauwerke in Bonn zu finden, die unter dem Einfluss der Bauhaus-Architektur entstanden sind. Dazu gehört der Kanzler Bungalow von Sepp Ruf, die Beethovenhalle von Siegfried Wolske, die Bonner Oper, das Frankenbad, das Bundeshaus von Hans Schwippert und viele mehr. Auch das nicht gerade sehr geliebte Stadthaus der Stuttgarter Architekten Heinle, Wischer und Partner darf hier nicht unerwähnt bleiben, ist es doch im Stadtbild sehr präsent und ein Kind modernen Städtebaus. Ich persönlich mag dieses Gebäude zwar nicht besonders, doch hat es seinen Rang in der Stadtgeschichte und bevor man so etwas irgendwann einmal einfach abreißt, sollte man auf jeden Fall darüber nachdenken, wie man es möglicherweise neu nutzen und umbauen könnte. Das ist sowieso eine gute Haltung: offen und mit Respekt auf Dinge (und Menschen!) zugehen, auch wenn man sie nicht so mag, und überlegen, was daraus werden könnte. Im Übrigen würde ich Interessenten für moderne Bonner Baugeschichte eine Führung mit der Werkstatt Baukultur in Bonn empfehlen. Deren Mitglieder kennen sich bestens aus und haben sicher noch manchen Schatz in ihrer Sammlung.
Warum haben die Ideen der kleinen Bauhaus-Kunstschule kaum an Bedeutung eingebüßt?
Es ist sicher in erster Linie dem Gründer des Bauhauses, Walter Gropius, zu verdanken, dass diese, wie Sie sagen, „kleine Kunstschule“ überhaupt zu dem werden konnte, was sie war. Seine Weitsicht und Ideen für das Lehrkonzept, seine glückliche Hand in der Wahl und Zusammenstellung der Bauhauslehrer, vor allem aber auch seine Hartnäckigkeit im späteren Aufbau und in der Pflege des Bauhaus-Archives haben es möglich gemacht, dass diese „kleine Schule“ auch heute noch weltweit bekannt ist und nach wie vor mit Ausstellungen, wie sie gerade hier in Bonn zu sehen ist, viel Publikum anzuziehen vermag.
Was ist das Typische am modernen Bauhaus?
Das sind viele Merkmale, aber ganz besonders: sein freier Geist!
Es gibt viele Fertighausanbieter, die auch Häuser im Bauhausstil im Portfolio haben, was halten Sie davon?
Gar nichts. Das ist ebenso unsinnig wie das Verkaufen von Nägeln und Schrauben unter diesem Namen, es zeugt von ungebildeter Ignoranz!
Die Architektur war anfangs vielen geradezu verhasst, woran lag das Ihrer Meinung nach?
Die Moderne war vielen verhasst, das war es. Der Wunsch einer neuen Generation nach eigenen Ideen, nach einer Erneuerung der Gesellschaft, das war vielen verhasst, die lieber beim Alten bleiben wollten und gerne weiter unter ihrem Kaiser gelebt und ihm gedient hätten. Einer meiner Lieblingsromane, „Der Untertan“ von Heinrich Mann, schildert sehr eindringlich diese Stimmung und lässt ahnen, auf welche Katastrophe diese Zeit zulief. Die Nazis haben das dann dankend aufgegriffen und nicht nur dem Bauhaus, sondern auch gleich der gesamten modernen Kunst den Garaus gemacht und eine Vernichtungsmaschine in Gang gesetzt, unter der wir bis heute leiden. Zum Glück hat es die neue Zeit jedoch einigermaßen geschafft, an das verloren Gegangene anzuknüpfen und eigene Wege zu gehen. Dennoch ist Wachsamkeit angebracht. Auch heute noch gibt es allzu viele Unverbesserliche und Unbelehrbare, die wider besseren Wissens nach alten Mustern rufen und gegen alles was fremd ist, durch die Straßen ziehen. Gerade hierzulande ist das mehr als erschreckend!
Bauhaus sollte das Labor für ein besseres Leben sein. Was hat sich davon aus architektonischer Sicht bis heute durchgesetzt?
Vor allem die Experimentierlust der Architekten ist spätestens seit der Bauhaus-Zeit ungebrochen. Das geht bei Weitem nicht immer gut aus. Dennoch möchte ich viele bedeutende Bauwerke der letzten Jahrzehnte nicht missen, die mit Mut und innovativen Ideen unsere Baukultur krönen. Die Liste, die hier zu nennen wäre, würde den Rahmen sprengen. Aber stellen Sie sich mal vor, unsere Hochschulen und Universitäten würden sich nicht auch als Labore für neue Lebensideen verstehen, wofür bräuchten wir sie dann?
Interdisziplinäres Arbeiten würde man neuzeitlich dazu sagen, was den Bauhausgründern vorschwebte. Was halten Sie als Architekt und Dozent davon?
Sehr sehr viel! Ich arbeite und unterrichte nun seit zehn Jahren an der Alanus Hochschule in Alfter, direkt am nördlichen Bonner Stadtrand. Auch diese sehr „kleine Kunstschule“ hat sich das Zusammenwirken von Kunst und Wissenschaft im Austausch aller damit zusammenhängenden Disziplinen nicht nur auf die Fahne geschrieben, sondern praktiziert das tatsächlich! Bildende Kunst, Schauspiel, Eurythmie, Architektur, Bildungswissenschaften, Kunsttherapie, Wirtschaft und weitere Fachgebiete gehören zum Lehrprogramm unserer Hochschule, die daran interessiert ist, gesellschaftsrelevante Fragen mit künstlerischen Ideen zusammenzubringen und neue Möglichkeiten zur Gestaltung lebenswerter Gemeinschaften und Räume zu erfinden. Angehende Wirtschaftler arbeiten dort mit Malern und Bildhauern, Pädagogen tauschen sich mit Therapeuten aus und Architekten haben Schauspielunterricht oder lernen etwas von Tänzern über Bewegung im Raum. Alles querbeet sozusagen und mit vielen sehr engagierten Mitarbeitern, Lehrern und Lernenden, denen diese Arbeit sehr viel Freude macht.
Bauhaus hatte das Image einer nüchternen Architektenschule, aber angestrebt war eine ganzheitliche Bildung der Studenten, die tief in das Privatleben hereinreichte. Was halten Sie davon und wie realistisch ist das heute?
An unserer Hochschule arbeiten wir unablässig daran, die gemeinsamen Themen zu diskutieren, tauschen uns dazu aus und versuchen, Fragen zu formulieren, vielleicht sogar Antworten zu finden. Dafür ist es unerlässlich, sich auch persönlich zu äußern, Stellung zu beziehen. Neben der klassischen Architekturlehre unterstützen wir in unserem Fachbereich die Studentinnen und Studenten im Laufe ihres Studiums dabei, eigene Haltungen zu finden und diese auch mit Lust vertreten zu können. In einer anonymen Masse ist das kaum möglich und die Arbeit in kleinen Gruppen, so wie wir das pflegen, fördert das sehr. Voraussetzungen dafür sind Offenheit, Mut, Respekt und Vertrauen. Natürlich feiern wir auch gemeinsame Feste, Studienbeginn oder -abschluss, Weihnachtsfeiern oder sonstige besondere Ereignisse und wir sehen uns ja beinahe jeden Tag. Dass man dabei nicht unpersönlich bleiben kann und will, liegt auf der Hand. Ich denke, so ähnlich wird das auch am Bauhaus gewesen sein und ich glaube, dass das zur Idee einer ganzheitlichenLehre einfach dazu gehört.
Wie wir leben wollen, spielte für die Bauhäusler eine große Rolle. Wie würde das Bauhaus diese Frage heute für unsere digital lebende Gesellschaft beantworten?
Glücklicherweise leben wir ja noch nicht digital, sondern echt, in Fleisch und Blut. Die Ideen von damals sind, das können Sie zum Beispiel in jedem guten Einrichtungshaus sehen, immer noch so gefragt wie zur Bauhaus-Zeit. Denken Sie zum Beispiel an den berühmten Freischwinger von Marcel Breuer oder seinen Wassily Stuhl. Würden die Bauhäusler jener Zeit uns heute einmal einen Tag lang besuchen, wären sie wahrscheinlich sehr erstaunt und neugierig auf alle technischen Errungenschaften, die durch die zunehmende Digitalisierung unserer Welt möglich geworden sind und möglich werden. Vielleicht würden sie uns aber auch, alt und weise wie sie nun mal wären, davor warnen und uns empfehlen, gut darauf aufzupassen, dass alle diese unglaublichen Entdeckungen am Ende nicht Geister sind, die wir nicht mehr loswerden und die das Menschliche an unseren Zukunftsideen zunehmend in den Hintergrund drängen.
(Susanne Rothe)
Professor Benedikt Stahl, *1960, lebt und arbeitet als Architekt in Düsseldorf und Alfter. An der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Bonn ist er Leiter des Fachbereichs Architektur und vertritt dort das Lehrgebiet Architektur und Stadtraum. Mit dem Atelier Fritschi + Stahl in Düsseldorf entstanden in den vergangenen 25 Jahren zahlreiche ausgezeichnete Projekte in den Bereichen Städtebau, Wohnen, Schulen, Verwaltung und Kultur. Als Mitglied des Deutschen Werkbunds sowie in Gestaltungsbeiräten der Städte Bonn, Wuppertal und Neuss engagiert sich Benedikt Stahl für Baukultur und ist als leidenschaftlicher Zeichner und Maler ebenso gerne auf Reisen wie in seinem Atelier.
Fotos: Edina Grabecz (5)