Rüdiger Strempel wuchs auf vier Kontinenten auf, spricht mehrere Sprachen, studierte Jura in Bonn und Speyer und ist seit fast zwei Jahrzehnten in verschiedenen Funktionen für internationale Organisationen tätig. Derzeit ist er Excutive Secretary HELCOM – Baltic Marine Environment Protection Commission und arbeitet in Helsinki. Arne Molfenter ist hauptberuflich Pressesprecher der Vereinten Nationen in Deutschland. Zuvor arbeitete er als Redakteur, Reporter und Korrespondent, u. a. für den BBC World Service, die ARD und Die Zeit. Gemeinsam schreiben sie Bücher über zeithistorische Themen und Biografien besonderer Menschen, die es mit ihrer Geschichte verdienen, in die Öffentlichkeit geholt zu werden. Wir haben mit Strempel und Molfenter über ihre Leidenschaft zu schreiben, ihre besondere Themenauswahl und Recherche sowie über ihr jüngstes Buch über 14 Spitzenforscherinnen aus aller Welt gesprochen.
Ihr habt beide sehr spannende Lebensläufe. Wie kam es, dass ihr nebenbei Bücher und Artikel schreibt?
Strempel: Schreiben hat mir – ebenso wie Übersetzen – immer Freude bereitet, schon als Kind und Teenager. Das fing also früh an, unter anderem mit Schüler- und Fakultätszeitschriften. Später habe ich dann den Journalismus für einige Jahre zum Hauptberuf gemacht. Noch später kamen dann die Bücher. Wenn ich nicht schreiben könnte, würde mir etwas im Leben fehlen.
Molfenter: Ich habe vorher viele Jahre als Journalist bei Zeitungen, TV und Hörfunk gearbeitet, insofern war Schreiben immer etwas Natürliches. Aber vor der langen Form eines Buchs hatte ich immer sehr viel Respekt und mich lange da nicht herangetraut.
Wie habt ihr euch kennengelernt?
Strempel: Wir haben lange Jahre gleichzeitig – wenn auch bei unterschiedlichen Dienststellen – bei den Vereinten Nationen in Bonn gearbeitet. Dort haben wir uns kennengelernt.
Ihr habt 2014 das erste gemeinsame Buch geschrieben. Was war der Auslöser?
Molfenter: Ich hatte Rüdiger mein noch nicht veröffentlichtes Manuskript gegeben, er war der erste Testleser. So kam die Idee einer Zusammenarbeit zustande. „Über die weiße Linie“, das erste gemeinsame Buch, handelt von einem irischen Priester, der im von den Nazis besetzten Rom Tausenden Menschen Unterschlupf im Vatikan bietet. Davon erfahren hatte ich, als ich in Irland war und dort in einem kleinen Dorf für diesen Priester ein Denkmal errichtet wurde. Das Thema hat uns dann beide sehr schnell gefesselt.
In euren Büchern geht es um beispielsweise den gerade erwähnten irischen Priester und die ebenso wahre Geschichte der Vera Atkins und ihrer Agentinnen der britischen Spezialeinheit SOE im Zweiten Weltkrieg. Habt ihr euch darauf gezielt verständigt, die Biografien unbekannter oder vergessener Helden und Heldinnen auszugraben?
Strempel: Eigentlich nicht. Aber wir sind halt beide sehr geschichtsinteressiert und stoßen einfach immer wieder auf faszinierende Personen und Storys dieser Art, die aus unserer Sicht nicht vergessen werden sollten. Nicht zuletzt, weil sie meist eine Lehre auch für uns und unsere Zeit enthalten. Tatsächlich drehen sich ja auch die Bücher, die wir nicht im Duo geschrieben haben, um solche Biografien. Was aber nicht heißt, dass wir nicht auch anders können. Schaun wir mal, was das nächste gemeinsame Buch bringt!
Molfenter: Ich bin immer wieder erstaunt, über wie viele historische Figuren noch nicht geschrieben worden ist. Und es ist in den letzten Jahren viel einfacher geworden, auf solche Themen und Figuren zu stoßen. Musste man früher für Recherchen große Reisen unternehmen, ist inzwischen vieles digital machbar. Ein Beispiel: Das britische Nationalarchiv hat inzwischen alle seine Dokumente digitalisiert. Das sind Milliarden Seiten Papier. Eine unfassbare Fundgrube, die von zu Hause aus nutzbar ist.
Wie gestaltet sich so eine Duo-Zusammenarbeit? Gibt es einen gemeinsamen Arbeitsprozess? Oder teilt ihr auf, was jeder schreiben muss?
Strempel: Der gestaltet sich bei uns höchst problemlos und unkompliziert. Dabei gibt es sowohl einen gemeinsamen Arbeitsprozess bei der Entwicklung und Ausgestaltung des Themas als auch eine Aufteilung der einzelnen Kapitel. Am Ende fügt sich dann alles zusammen.
Molfenter: Wir teilen die Arbeit auf, das große Ganze wird gemeinsam erarbeitet, geschrieben wird getrennt und jeder hat seinen Freiraum dabei.
Wie aufwendig ist die Recherche?
Strempel: Das kommt auf das Thema an. Die Recherche zu meinem Buch über Stefan Lux („Lux – Gegen den Nationalsozialismus und die Lethargie der Welt“) zum Beispiel war extrem aufwendig, weil es wenig Quellen und Material gibt. Was aber auch wiederum einen Teil des Reizes ausmacht und den detektivischen Spürsinn weckt. Manche der Personen, mit denen wir uns befassen, sind aber besser dokumentiert als andere. Bei unserem neuesten Buch, das ja 14 Kurzbiografien umfasst, war das sehr spürbar. Was aber in jedem Fall extrem hilfreich ist, ist das Internet. Vor dreißig Jahren wäre das Aufspüren der Quellen deutlich schwieriger und zeitraubender gewesen.
Molfenter: Manchmal wird es mühsam, und manchmal wird es überraschend. Für mein Buch „Garbo der Spion“ hatte ich monatelang recherchiert, ob noch irgendwo Familienmitglieder einer der Hauptfiguren zu finden sind, die ich interviewen könnte. Dieser Mann war Offizier und im Widerstand gegen Hitler. Monatelang blieb diese Suche erfolglos. Über einen riesigen Zufall erfuhr ich dann, dass die Tochter dieses Hauptcharakters in Bad Godesberg lebt, nur zwei Kilometer entfernt von meinem Büro. Ich habe sie dann kontaktiert, und sie hat mir nicht nur das Leben ihres Vaters erklärt, sondern auch das Familienarchiv geöffnet. Das war eine unermessliche Fundgrube.
Wo findet ihr eure Themen?
Strempel: Ich glaube fast, die Themen finden uns … Jedenfalls begegnen uns – teilweise bei der Recherche zu unseren Büchern, teilweise in ganz anderen Zusammenhängen – immer wieder weitere Geschichten, die uns so fesseln, dass wir sie unbedingt verarbeiten und einem breiteren Publikum bekannt machen wollen. Was wahrscheinlich hilft: Wir schreiben nicht nur, wir lesen auch viel.
Im Fokus eures aktuellen Buchs stehen 14 Spitzenforscherinnen aus aller Welt, die ihre Wissenschaft in einer männerdominierten Welt betrieben haben. 14 Porträts zu recherchieren und zu schreiben – wie sehr hat euch das beansprucht?
Molfenter: Die Frauen in „Einmischung unerwünscht“ waren sehr fordernd. Sich in Themen einzuarbeiten – von Radioastronomie über Embryologie bis zur Frage, wie eine der Frauen die Kunstfaser Kevlar entdeckt hat, hat einige Recherche gebraucht. Spitzenforschung erst einmal selbst zu begreifen und sie dann korrekt, aber vor allem für alle Leserinnen und Leser gut verständlich in ein Buch zu bringen, war der ebenso arbeitsreiche Schritt. Viele Experten und Expertinnen haben uns dabei geholfen, das fehlerfrei zu transportieren.
Strempel: Ja, das war nicht ohne. Auch wenn jede der Einzelbiografien nur relativ kurz ist, mussten sie ja alle sorgfältig recherchiert werden, und das in einer breiten Auswahl wissenschaftlicher Disziplinen. Manchmal kam es mir so vor, als würden wir vierzehn Bücher gleichzeitig schreiben.
Welche der Frauen hat euch am meisten fasziniert?
Molfenter: Für mich persönlich war Jocelyn Bell Burnell eine der herausragenden Figuren dieses Buchs, die wir auch interviewt haben. Sie hat als junge Frau eine neue Sternengalaxie entdeckt, ihr Doktorvater erhielt für ihre Entdeckung den Nobelpreis, sie ging leer aus. Wie sie über all das berichtet hat und dabei keineswegs verbittert ist, fand ich sehr beachtlich. Wobei sie sich in ihrer Laufbahn getröstet hat: Außer dem Nobelpreis hat sie eben später alle anderen wichtigen Wissenschaftspreise dieser Welt gewonnen.
Strempel: Da kann ich mich eigentlich nur schwer festlegen. Jede dieser Biografien ist einzigartig und jede der porträtierten Frauen auf ihre Weise faszinierend und inspirierend. Deshalb haben wir sie ja ausgesucht. Was mich bei allen beeindruckt hat, ist aber, dass sie sich nicht haben beirren lassen und ihren Weg nicht nur gegen erhebliche Widerstände, sondern oftmals auch trotz schwerer Schicksalsschläge konsequent gegangen sind.
Könnt ihr euch eine Fortsetzung vorstellen?
Strempel: Absolut! Dieses Buch hätte theoretisch auch mindestens doppelt so lang werden können. Es gibt unzählige weitere Forscherinnen, Wissenschaftlerinnen und Erfinderinnen, über die es sich zu schreiben lohnen würde.
Habt ihr schon neue Buchideen?
Strempel: Und ob! In diesem Jahr erscheint ja auch noch je ein Buch von jedem von uns. Und eine Kooperation wird es sicher auch wieder geben. Aber dazu verrate ich noch nichts.
Gibt es eine Person, lebend oder schon tot, über die ihr unbedingt noch schreiben möchtet?
Molfenter: Ja. Und ich habe mir einen dieser Wünsche gerade erfüllt und hatte das schon lange vor. Im Herbst erscheint ein neues Buch über zwei reale Vorbilder für Ian Flemings Romanfigur James Bond. Beide hatten sich an der Universität Freiburg kennengelernt Mitte der 1930er-Jahre. Beide werden zu besten Freunden, beide werden zu Doppelagenten für den deutschen und britischen Geheimdienst und einer von beiden erleidet ein grausames Schicksal.
Strempel: Da gibt es auch für mich einige. Ich habe zum Beispiel gerade eine illustrierte Kurzbiografie von Varian Fry abgeschlossen, der ja dieses Jahr durch eine Netflix-Serie einer breiteren Öffentlichkeit näher gebracht wurde, mit dem ich mich aber schon seit einigen Jahren beschäftige. Wie schon gesagt, es gibt unendlich viele Menschen, deren Lebensgeschichte erzählenswert ist, und ich kann Arne nur zustimmen – es ist verblüffend, wie viele dieser Geschichten nie erzählt oder, wenn doch, rasch wieder vergessen wurden.
Ihr schreibt auch jeder für sich Bücher, und zwar Kriminalromane. Bietet das einen Ausgleich zu der sehr strengen Recherche der Sachbücher?
Strempel: In gewisser Hinsicht vielleicht. Das ist halt ein ganz anderes Schreiben, bei dem man auch der Fantasie freieren Lauf lassen kann. Wobei wir auch bei den Kriminalromanen nicht unbedingt ohne Recherche auskommen.
Molfenter: Im Sachbuch muss man sich strikt an die Fakten halten und genau recherchieren. Im Krimi kann man selbst bestimmen, was der rote Faden ist, was und wie ich es als Autor haben möchte. Das macht es nicht unbedingt weniger anspruchsvoll.
Ich kann mir vorstellen, dass dies alles zusammengenommen ein immenses Arbeitspensum neben eurer hauptberuflichen Tätigkeit ist. Wie ist das überhaupt zu schaffen?
Strempel: Das frage ich mich manchmal auch. Aber irgendwie passt es dann doch immer. Wobei ich schätze, es wäre nicht zu schaffen, wenn es keine Freude bereiten würde.
Molfenter: Die Teamarbeit ermöglicht das, ansonsten würde ich vieles gar nicht erst in Angriff nehmen.
Ihr habt euch in der Regel ernste Themen vorgenommen. Seid ihr selbst auch ernste Menschen?
Strempel: Mal mehr, mal weniger, würde ich sagen. Auf jeden Fall können wir auch lachen – was die Arbeit, und natürlich auch die
Zusammenarbeit, sehr erleichtern kann.
Molfenter: Die Themen sind häufig ernst, und trotzdem gibt es in all diesen Leben oft auch sehr unterhaltsame, manchmal auch lustige Momente. Woher diese Vorliebe für das Dramatische, manchmal auch Tragische kommt, ist mir auch nicht ganz klar. Aber grundsätzlich gilt der alte Leitsatz bei vielen Biografien: Schlechte Entscheidungen führen zu interessanteren Geschichten.
(Susanne Rothe)
MINT-Pionierinnen
Die Antwort auf die Frage nach einer berühmten Spitzenforscherin lautet oft: Marie Curie. Was vor allem daran liegen mag, dass die polnisch-französische Physikerin mit dem Nobelpreis bedacht wurde. Unzähligen anderen Wissenschaftlerinnen aber blieb diese Auszeichnung – und häufig überhaupt die gebührende Anerkennung – vorenthalten. Viele von ihnen sind heute nahezu unbekannt, obwohl sie in ihren jeweiligen Fachbereichen herausragende oder gar bahnbrechende Leistungen erbrachten. Vierzehn dieser Spitzenforscherinnen haben Arne Molfenter und Rüdiger Strempel nun in ihrem neuesten Buch porträtiert. Das Autorenduo, das sich in seinen Büchern darauf spezialisiert hat, aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwundene, aber dennoch bedeutende Persönlichkeiten der jüngeren Geschichte aus dem Dunkel des Vergessens zu befreien, spannt dabei einen Bogen vom 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit. Gewohnt lebendig und kenntnisreich schildern sie, welche Hindernisse diese mutigen und entschlossenen Frauen überwinden mussten, um ihren Traum von einem Leben im Dienst der Wissenschaft überhaupt verwirklichen zu können, wie sie um Anerkennung kämpfen mussten und von einem männlich dominierten Wissenschaftsestablishment häufig bewusst blockiert, marginalisiert oder sogar um die Früchte ihrer Arbeit betrogen wurden. Die hier porträtierten Persönlichkeiten sind so unterschiedlich wie die wissenschaftlichen oder technischen Disziplinen, in denen sie sich auszeichneten. Ihnen allen gemeinsam ist aber, wie das Buch eindrücklich zeigt, der Wille, neue Wege zu gehen, unkonventionelle Denkansätze zu verfolgen und sich von Widerständen nicht entmutigen zu lassen, sondern sie als Herausforderung zu bezwingen. Ein spannendes, unterhaltsames und zugleich inspirierendes Leseerlebnis für Wissenschaftsbegeisterte, Geschichtsinteressierte, Biografiefans – und all jene, die noch immer daran zweifeln, dass Frauen für die MINT-Fächer geeignet sind.
Arne Molfenter/Rüdiger Strempel, Einmischung unerwünscht: Spitzenforscherinnen in einer männerdominierten Welt, Osburg Verlag, Hardcover, 260 Seiten, ISBN: 978-3-95510-329-3, 22 Euro