Als ich mir Gedanken machte, was ich über Adrian Plonka – von seinen Kunden „Addi“ genannt – und seinen Lenné Snack in der Bonner Südstadt schreiben sollte, wollte ich ihn eigentlich in seinem Imbiss auf der Lennéstraße ein einziges Mal für ein Interview besuchen. Dies führte zu einer unvorhergesehenen größeren Feldstudie vor Ort: Drei Abende hintereinander saß ich bei Addi, schlemmte mich durch die Speisen und unterhielt mich dabei mit ihm. Nun weiß ich, was die Menschen so magisch an diesen Ort zieht.
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Lenné Snack. Der Imbiss in der Bonner Südstadt

„Die Leute kommen nicht nur wegen mir, sondern auch wegen des ganzen Teams. Alleine funktioniert das nicht – ohne mein Team bin ich gar nichts“, betont Addi. Mit einigen arbeitet er seit fast dreißig Jahren zusammen. Dass er selbst mittlerweile Kultstatus erlangt hat, kann er sich nicht richtig erklären: „Vielleicht ist es so, weil ich stets ehrlich bin oder eben ein einfacher und normaler Mensch.“ Ein Student, der am Tresen lehnt, fügt hinzu: „Das ist der beste Mann in dieser Straße.“

Wenn Addi morgens um 7 Uhr als Erster die Arbeit beginnt, trinkt er erst mal einen Espresso Macchiato und raucht eine Zigarette. Danach macht er die Vorarbeit für den Tag: Er füllt frische Ware in die Theke, schneidet Gemüse und bereitet Soßen zu. Der Lenné Snack hat kein Lager und nicht sehr viel Platz. Das Imbiss-Restaurant ist gerade mal ca. 70 Quadratmeter groß und hat etwa 30 Sitzplätze. Der Außenbereich ist dank einer Markise, Heizstrahlern und Decken auch bei Regen und kühlerem Wetter nutzbar. „Um halb elf muss alles stehen“, erklärt Addi. Voll tätowiert, mit Brille, in Harley-T-Shirt und Schürze, empfängt er dann mit einem breiten Lachen seine Gäste. Der Imbiss hat von 11 bis 21 Uhr geöffnet, außer sonn- und feiertags. Ein Arbeitstag endet für Addi allerdings nie vor 23 Uhr, denn es gibt immer noch etwas zu tun.

Das Team im Lenné Snack besteht aus Addis Lebensgefährtin Anna Kaczmarek (43), Sylvia Kuo Karasiewicz (38), Basia Kauczor (65) und Franek Jez (51). Mit Anna ist Addi seit sieben Jahren zusammen, vor 18 Jahren hat er sie selbst eingestellt. Die Trennung von Privat- und Arbeitsleben funktioniere sehr gut, bemerken beide. Addi ist es wichtig, seine Beschäftigten alle gleich zu behandeln. Doch eines ist klar: Er ist der Chef. Sylvia, fast elf Jahre bei Addi tätig, stellt fest: „Die Chemie im Team passt.“ Basia hat die Zusammenarbeit sogar so gut gefallen, dass sie aus dem Ruhestand wieder zurückgekommen ist. Franek hilft Addi bei schweren Arbeiten und in der Küche.

 

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Das Team im Lenné Snack. Franek Jez, Sylvia Kuo Karasiewicz, Adrian Plonka, Anna Kaczmarek und Basia Kauczor

 

Addi wurde am 2. Juli 1962 in Polen geboren. 1974 wanderte er mit der Familie nach Deutschland aus. Nach drei Tagen im Auffanglager in Friedland bei Hannover war die erste Station Recklinghausen, wo bereits Addis Großeltern lebten. Zwei Jahre zuvor war in Bonn durch die Eheleute Löhrer der Lenné Snack gegründet worden. Sieben Jahre später übernahm die Familie Braun das Geschäft. Bis Addi ins Spiel kam, dauerte es noch ein bisschen.

Nach zwei Ausbildungen – die eine zum Metzger im ehemaligen Fünf-Sterne-Hotel InterContinental in Köln, die andere zum Koch in der Kölner Wolkenburg – schlug Addi einen anderen Weg ein: Kurz vor seiner Abschlussprüfung machte er sich 1981 mit seinem ersten eigenen Imbiss namens „Addi“ auf der Kölner Hornstraße selbstständig. Zwei Jahre später übernahm er an der Ecke Ehrenstraße/Friesenwall in Köln einen Imbiss mit integrierter Metzgerei. „Ich wollte ursprünglich ein Hotel Garni in der Eifel eröffnen. Stattdessen kam ich zu meinem zweiten Imbiss und nannte ihn ‚Beim Addi‘“, berichtet er stolz. Schnitzel, Frikadellen und Currywurst standen auf der Speisekarte. „Das ist mein Leben! Ich stehe nicht so sehr auf Luxus“, ergänzt er. Die Original-Aufschrift „Addis Ecke“, die die rechte Ecke eines der Fenster im Lenné Snacks schmückt, stammt noch von seinem zweiten Kölner Imbiss. „Auch deswegen nennt jeder den Lenné Snack ‚Addi‘“, erklärt er.

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Quartier. Treffpunkt des Karnevalvereins „Alkoholisierte Funken“

Eine Empfehlung brachte Addi schließlich nach Bonn. In Köln lief sein Mietvertrag ab und er war auf der Suche nach etwas Neuem. Von seinem Elektriker erfuhr er dann, dass in Bonn ein Geschäft frei werden würde. Addi erinnert sich: „Kurz vor Weihnachten 1984 habe ich mir die Bonner Südstadt und den ehemaligen Imbiss von Harald Braun auf der Lennéstraße 57 angeschaut. Im Vergleich zu Köln war es nachmittags in Bonn richtig leer, kein einziger Gast. Meine damalige Frau und ich hatten zunächst Zweifel. Schließlich stellten wir uns als 40. Bewerber vor – und wir haben den Laden bekommen.“ Seit dem 7. Januar 1985 gehört der Lenné Snack Addi.

Die Anfangszeit in Bonn war schwer: Addi kam aus dem „Arbeitervolk in Köln“ mit anderer Kundschaft und pulsierendem Nachtleben. Plötzlich fand er sich in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn mitten im Akademikerviertel voller Juristen und Volkswirte wieder. An der Theke in Bonn wurde über Politik diskutiert und Zeitung gelesen. „Die ersten drei Jahre waren grausam, weil ich mit den Menschen hier nicht zurechtkam. Ich war ein einfacher Arbeiter und hatte damals im belebten Köln meine typische Laufkundschaft. In Bonn war das ein ganz anderes Niveau“, blickt Addi zurück.

Kunden und Nachbarn in der Südstadt halfen ihm, in Bonn anzukommen, und wurden damit Teil des Lenné-Snack-Teams. Ein ehemaliger Student machte ihn mit allen Fachschaften bekannt und hilft ihm auch heute noch weiter. Addi erzählt stolz: „Nach etwa vier Jahren durfte ich meine Gäste duzen und sie mich.“ Der Kontakt zu den Fachschaften führte dazu, dass er für ihre sämtlichen Feste kochte.

Auch in anderen Bereichen wird Addi tatkräftig von seinen Gästen unterstützt: Er hat eine eigene Homepage (www.lenne-snack.de) und ist auf Facebook aktiv. Zwei seiner Kunden übernehmen die tägliche Pflege der Online-Portale. Um seine Kunden zu unterhalten, veranstaltet Addi regelmäßig Gewinnspiele auf Facebook. Aktuell werden die drei schönsten Gedichte für seine Bierdeckel gesucht; eines davon wird auch auf den Lenné-Snack-Aufkleber gedruckt. Zudem sind Addis Schnitzel und Burger so beliebt, dass er mithilfe seiner Kunden einen eigenen Schnitzel-Blog (lenneschnitzel.wordpress.com) so-wie einen Burger-Blog (lenneburger.wordpress.com) eingerichtet hat. Die bunten Hinweise auf das Speisenangebot an der Wand des Imbiss werden ebenfalls von einem Gast entworfen. Wie gut das Team aus Addi, seinen Kunden und Nachbarn funktioniert, bezeugen auch die Fotos an der Wand des Lenné Snacks: Auf Karnevalssitzungen, Hochzeiten oder Harley-Touren – überall ist Addi mit seinen Gästen zu sehen.

Addi legt großen Wert darauf, seinen Kunden zuzuhören, auf sie einzugehen und ihre Wünsche zu erfüllen. „Ich verkaufe 80 Prozent meiner Gerichte nicht genauso wie auf der Speisekarte, sondern nach den individuellen Wünschen der Gäste.“ Seine Stammkunden benötigen erst gar keine Karte, denn Addi behält alle Lieblingsspeisen in seinem Kopf. Der Spagat zwischen seiner Vergangenheit im Arbeiterviertel und seinem jetzigen Leben im Akademikerviertel spiegelt sich auf der Getränke- und Speisekarte wider: Die Auswahl der Getränke reicht von Bier über Wodka bis hin zu hochwertigem Champagner. Wer Appetit auf ein Rinderfilet oder Lammcarré hat, ist bei Addi ebenso richtig wie die Fans von Currywurst, Schnitzel, amerikanischen Burgern und Gyros. Zum Angebot gehören außerdem leichte Salate und Vegetarisches wie zum Beispiel ein gebackener Camembert und verschiedene polnische Gerichte. „Bigos“ (Krauteintopf), „Pierogi“ (Maultaschen) und Kohlrouladen haben längst ihre Anhänger im Lenné Snack gefunden. Überhaupt ist für Addi seine polnische Heimat nach wie vor wichtig. Er besucht das Land zwei Mal im Jahr. „In Polen bin ich der Deutsche. Und in Deutschland bin ich der Pole mit deutscher Staatsbürgerschaft“, lacht er gut gelaunt.

Addi hat viel Sinn für Humor und lässt ihn auch an seiner Speisekarte aus. Was überall – nur nicht im Lenné Snack – „Strammer Max“ heißt, bietet er als „Strammer Addi“ an. Seitdem ist die Nachfrage nach dem Gericht groß. Neben der üblichen Speisekarte gibt es saisonale Angebote, wie z. B. Spargel, Kibbelinge oder für die Fußball-Weltmeisterschaft eigens kreierte „Fußball-Brötchen“ mit Bratwurst. Der Bestseller ist allerdings das Schnitzel „Lenné“ mit Pommes Frites und Salat für 12,80 Euro. „Ich habe das Schnitzel dem preußischen Gartenkünstler Peter Joseph Lenné (1789-1866) gewidmet, der in Bonn geboren ist, und u. a. den Park Sanssouci in Potsdam umgestaltet hat. Ich wollte etwas Buntes machen, die Farben sollten zu einem Garten passen. Das Schweineschnitzel krönt daher ein Spiegelei mit Käse und Zwiebeln, umrahmt von roter Soße.“ Das Schnitzel wird von Addi selbst zugeschnitten, geklopft, im Ei gewendet, paniert und gewürzt.

 

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Der Chef des Lenné Snacks bezieht nur frische Produkte. Täglich wird er von seinen Lieferanten aus Bornheim und Köln beliefert und seit 35 Jahren hat er diese nicht gewechselt. Als gelernter Metzger und Koch ist für ihn eine erstklassige Fleischqualität besonders wichtig. Die Salate und das Gemüse bezieht er – wenn saisonal möglich – aus der Region. Sein Hähnchen- und Putenfleisch ist „bio“. „Ich mache jedes Gericht selbst, dabei ist alles stets frisch. Nicht nur die Speisen, auch die meisten Soßen bereite ich selbst zu.“ Addis Lieblingsgericht ist übrigens Eintopf mit Wurst und Brötchen, insbesondere die Erbsensuppe liebt er.

Der Lenné Snack ist Kult. Mittlerweile kommen zu den älteren Stammkunden immer jüngere Gäste hinzu; die Kundschaft ist bunt gemischt. Bei Schülerinnen und Schülern liegt der Imbiss voll im Trend, und das liegt nicht nur an den Kindergerichten. Die Jüngsten eifern den zahlreichen Studentinnen und Studenten nach, die den Laden schon lange für sich entdeckt haben und einträchtig neben Professoren, Doktoren, Polizisten, Erziehern, Handwerkern und Politikern an den langen Tischen sitzen. Für Addi sind alle Gäste gleich und er schätzt den persönlichen Austausch: „Mein Arbeitsplatz ist hinter der Theke und an meiner Kochplatte. Da erfahre ich immer viel.“ Egal ob dramatische Geschichten oder Liebes-Stories, Skurriles oder politische Diskussionen. In den 1980er Jahren, als die Bundesregierung noch in Bonn war, seien beispielsweise die ehemaligen Bundesminister Joschka Fischer und Norbert Blüm bei ihm zu Gast gewesen und hätten damals über die Rente diskutiert. Auch die Karriere des Comedian und Karnevalisten Bernd Stelter habe bei ihm begonnen. Bernd Stelter sei damals ein Nachbar gewesen und habe sogar seinen ersten Job bei Addi in der Frittenbude gehabt, wo er immer mal wieder Gitarre gespielt habe. Die Gruppe „3 Colonias“ aus Köln hätten Stelter dann in den Karneval gebracht, dessen Sohn immer noch gern im Lenné Snack essen geht. Kein Wunder also, dass Addi selbst ein großer Karnevalist ist: Seit mehreren Jahren ist er Vereinsmitglied bei den „Alkoholisierten Funken“. Zudem ist der Lenné Snack das „Quartier“ des Karnevalvereins, also das Stammhaus der Funken.

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Anna und Addi warten auf die ersten Gäste.

Um abzuschalten, geht Addi sonntags immer in die Kirche. Danach gibt es ein ausgiebiges Frühstück mit der Familie. Wenn es ihm die Zeit erlaubt, fährt er mit seinem Motorrad, einer Harley-Davidson Springer, Baujahr 1981, und Anna durch die Gegend. Die Harley ist seine große Leidenschaft auf zwei Rädern, an der Addi es liebt herumzuschrauben. „Das Motorrad ist wie mein viertes Kind“, sagt er. Und wie andere Bilder von ihren Kindern auf dem Schreibtisch stehen haben, so hängen im Lenné Snack Bilder von Addis Motorrad. Seit 21 Jahren fährt er mit seiner Lebensgefährtin und seinen Harley-Kumpels ein- bis zweimal im Jahr an den Faaker See nach Österreich. Die nächste Tour in der ersten Septemberwoche ist schon geplant. Und immer wieder geht’s an die Mosel, nach Koblenz oder auch ins Siebengebirge. Sein Motorrad gibt ihm das Gefühl von Freiheit. „Harley fahren ist fühlen, genießen, erleben. Ich mag dieses offene und dröhnende Fahren, auch wenn ich nach etwa hundert Kilometern meinen Körper nicht mehr richtig spüre.“ Mit seinen Tattoos, die Addi am ganzen Körper trägt, unterstreicht er dieses Lebensgefühl. Für neue Tattoos gibt es keinen Platz mehr. Seit Addis Teenie-Zeit lebt ein befreundeter Tätowierer sein kreatives Können an Addis Körper aus. Die Tätowierungen haben keine tiefere Bedeutung, sind aber Addis Markenzeichen und gehören zu ihm wie der Lenné Snack.

Addi genießt sein Leben, das von Familie und Geschäft geprägt ist. In den nächsten Wochen steht ein besonders erfreuliches Ereignis an: Addi wird Opa, denn sein Sohn Maik wird Vater eines Mädchens. Außerdem plant Addi wieder ein Sommerfest im Lenné Snack. Dabei trommelt er seine Kunden und die ganze Nachbarschaft zusammen. Die Feier anlässlich seines 50. Geburtstages ist mittlerweile schon legendär. Schülerinnen und Schüler aus der Münsterschule waren damals vorbeigekommen und hatten mit seinen Gästen für ihn „Happy Birthday“ gesungen. Addi ist eben etwas Besonderes. Das spürt man, wenn man sieht, wie er mit den Gästen umgeht und umgekehrt. „Typisch Addi eben!“, strahlt seine Freundin Anna, denn „Addi hat ein großes Herz für alle“.
(Lilian Pfender)

 

Fotos: P. M. J. Rothe (6)