Die Treppe ist ein intelligentes System mit langer Historie. Doch das sieht man ihr auf den ersten Blick nicht unbedingt an. Tatsächlich ist sie so alt wie die ersten Menschen selbst und seither in ihrer Entwicklung nie stehen geblieben. Von der Steinzeit über das Mittelalter bis heute wandelten sich nicht nur Form und Aussehen, auch die Anforderungen an Treppensysteme veränderten sich im wahrsten Sinne des Wortes Stufe für Stufe, Schritt für Schritt.
Bereits in der Steinzeit hatten unsere Ahnen die sinnreiche Idee, Höhenunterschiede durch Stufen auszugleichen. An vielen ihrer Siedlungsplätzen lassen sich einfache Treppensysteme nachweisen: Mithilfe sogenannter Steigbäume – Baumstämme mit stufenartigen Einkerbungen – schafften es die frühen Menschen, Schritt für Schritt nach oben zu gehen.
Als Gestaltungselement wurden Treppen nachweislich erstmals 10.000 Jahre vor Christus in Göbekli Tepe eingesetzt – ein prähistorischer Fundort auf dem höchsten Punkt der Bergkette von Germuş (Türkei). Ein entscheidender Höhepunkt in dieser Epoche war die Entwicklung der berühmten Zikkurats – gestufte Tempeltürme in Mesopotamien (Vorderasien), die seit dem fünften Jahrtausend vor Christus erbaut wurden. Diese Türme beherbergen auf der obersten Stufe einen Tempel, den man über die charakteristisch steile Treppe erreicht.
Ein paar Tausend Jahre später wurde dann die heute älteste Holztreppe Europas erbaut. Die aus der Bronzezeit stammende Konstruktion wurde komplett erhalten in einem Hallstätter Salzbergwerk (Österreich) geborgen. Mit über einem Meter Trittbreite der Stufen war es für mehrere Arbeiter gleichzeitig möglich, die Treppe zu nutzen – ob in entgegengesetzter Richtung oder nebeneinander. Auch schweres Gut konnte so einfacher transportiert werden. Der Vorteil von Treppen gegenüber Leitern bei der Arbeit in Salzbergwerken, Minen und Höhlen war in erster Linie, dass man sich nicht festhalten musste und die Hände zum Tragen frei hatte! Nach einer umfangreichen Untersuchung wurde die Holztreppe im Besucherbergwerk der Salzwelten Hallstatt aufgestellt und kann heute in einem eigens für sie hergerichteten Showroom besichtigt werden.
Die Treppe als erhöhendes und verbindendes Element
Statten wir der Antike einen Besuch ab und werfen einen Blick auf ihre Bauten: Es zeigt sich, dass Treppen in dieser Zeit bereits ein fester Bestandteil des Städtebaus waren. Sie wurden bewusst für heilige und repräsentative Bauwerke verwendet, um die Verbindung zwischen Erde und Himmel zu symbolisieren. Die Treppe galt in dieser Zeit zudem als Würdemotiv beispielsweise für römische und griechische Tempel.
Sie erhöht das Gebäude und stellt es damit gleichermaßen auf einen Sockel. Der Besucher steht niedriger als die Person oben am Ende der Treppe. Beeindruckende Bauten aus dieser Zeit wie das antike Theater von Delphi oder das Kolosseum in Rom können wir uns ohne die zahlreichen Stufen kaum vorstellen. Über sie ist man nicht nur gegangen, sondern man hat darauf Platz genommen.
Im Mittelalter wurde die mehrgeschossige Bebauung immer beliebter. Charakteristisch sind unter anderem die Handelshäuser, in denen man im späten Mittelalter mehrgeschossige Dachstühle als Lagerraum genutzt hat. In dieser Zeit verfolgte die Treppe hauptsächlich wieder ihrem ursprünglichen Zweck: Höhenunterschiede im privaten Lebensraum auszugleichen! Die Treppe wurde in ihrer Form jedoch weiterentwickelt, um ihren praktischen Nutzen einmal mehr ausbauen zu können: Mit der berühmten Wendeltreppe wurde eine wichtige Errungenschaft für die Verteidigung persönlichen Hab und Guts geschaffen! Zum einen konnte sich Feuer in der geschwungenen Konstruktion weniger schnell ausbreiten, zum anderen verhalf die Wendeltreppe, die damals immer rechtsherum führte, dem Burgherren zu einer vorteilhaften Position bei einem Kampf. Der Angreifer konnte mit seinem Schwert von unten tatsächlich um einiges schlechter ausholen als der Burgherr von oben.
Im Kontrast zum Mittelalter steht der Barock, der sich vor allem durch Üppigkeit und Prunk auszeichnet. Passenderweise wurde der Treppe hier in erster Linie eine repräsentative Bedeutung zugeschrieben. Als schmückendes Element war es ihre Aufgabe, Theatern, Schlössern und anderen öffentlichen Gebäuden ein glanzvolles Auftreten zu verleihen. Hierfür wurde sie oftmals mit hochwertigen und prächtigen Treppenläufern geschmückt und bewusst in Szene gesetzt. Ein Beispiel einer solchen eleganten Treppenanlage aus der Barockzeit ist die 68 Meter lange Spanische Treppe in Rom. Sie ist wohl die berühmteste Freitreppe der Welt und gilt als beliebter Treffpunkt – nicht nur für Touristen. Die Treppe wurde im italienischen Stil gebaut und ist mit Lilien und Adlern, den Symbolen der französischen Könige bzw. des damaligen Papstes Innozenz XIII., verziert. Ganz in unserer Nähe ließ sich der Kölner Kurfürst und Erzbischof Clemens August von Bayern eine Sommerresidenz errichten: Schloss Augustusburg in Brühl. Mittelpunkt des Schlosses ist das Treppenhaus als Ausdruck kurfürstlicher Pracht und Macht.
Die Treppe als Symbol
Auch wenn die Treppe ganz funktionell Höhenunterschiede überwindet, ist sie immer auch ein Symbol. Ein Zeichen für Weiterkommen, Rangunterschiede in jeder Form, für Erfolg, Auf- und Abstieg. Beinahe den Status einer Reliquie hat die „Scala Santa“ in Rom. Die sogenannte heilige Treppe wird vor allem von Pilgern begangen – und zwar auf den Knien. Angeblich stammt die Treppe aus dem Palast von Pontius Pilatus und Jesus soll sie bei seinem Prozess betreten haben.
Regierungschefs und gekrönte Häupter werden gerne auf Treppen fotografiert und rücken damit optisch ins rechte Licht. Manch einer fällt gar die berühmte Treppe hoch und landet oftmals doch schneller wieder unten auf dem harten Boden, als er sich das vorgestellt hat. In der Kunst wird die Treppe als erhöhendes und verbindendes Element häufig und gerne thematisiert und findet damit Eingang in Gemälde, Literatur und Filme. Es gibt sogar einen eigenen Forschungszweig, der sich mit der Treppe befasst: Die Scalalogie ist die Wissenschaft von den Wechselwirkungen zwischen Mensch und Treppe, von Fuß und Stufe. Friedrich Mielke, Professor für Denkmalpflege an der Technischen Universität Berlin, begründete die Treppenkunde 1951 als Forschungszweig der Bauforschung.
Wie bei allen guten Geschichten, fehlt auch in der der Treppe eines nicht: die Konkurrenz! Sie tritt zwar erst spät auf, dafür umso nachhaltiger. Der Aufzug versuchte der Treppe ihren Platz streitig zu machen. Vor allem in Hochhäusern und öffentlichen Gebäuden wurde er zur bequemeren Alternative und verhalf darüber hinaus Müttern mit Kinderwägen und älteren Menschen zu mehr Eigenständigkeit. Das Thema „Barrierefreiheit“ wurde wichtig, sodass alle öffentlichen Einrichtungen neben der Treppe fortan immer auch einen barrierefreien Zugang nachrüsten mussten. Ganz ersetzen konnte der Aufzug die Treppe nicht – vor allem in privaten Haushalten ist sie auch als Designobjekt und Visitenkarte des persönlichen Wohnstils nicht wegzudenken.
Ästhetik, Qualität und Kreativität sind entscheidende Faktoren, die die Wahl einer Treppe beeinflussen. Neben den verschiedenen Formen spielen auch die Materialien eine große Rolle. Ob Beton, Holz, Gusseisen, Stahl, Glas oder alles zusammen – die Gestaltungsmöglichkeiten sind vielseitig. Jedes Material hat seine eigene Wirkung, die sich je nach Wohnambiente und gewünschtem Effekt ganz unterschiedlich entfalten kann. Auch der Aufbau der Etagen und die Ansprüche an die Treppenfunktionen prägen die Auswahl. Treppenhersteller und Bauherren stehen daher stetig vor neuen Herausforderungen. Wir haben mit dem Bonner Architekten Rainer Grotegut über die Wünsche seiner Kunden gesprochen und wollten wissen, wie eine Treppe heute aussieht …
Die Designmöglichkeiten einer Treppe sind heute vielfältiger denn je. Welche Treppe passt zu welchem Baustil?
Das ist nicht eindeutig festzulegen. Natürlich hat jeder Stil und jedes Material seine Entsprechung auch bei der Treppe. So würde man in ein Holzhaus sicherlich eher eine Treppe aus Holz einbauen. Ein funktionales Gebäude im Stil der klassischen Moderne würde dahingegen besser mit einer Stahl- oder Betontreppe harmonieren. Jedoch könnte gerade ein Mix der verschiedenen Stile eine Bereicherung darstellen! Es kann durchaus spannend sein, in einem Gründerzeithaus eine sehr moderne Treppe einzubauen. In der Denkmalpflege findet diesbezüglich schon seit längerem ein Umdenken statt. Es wird heute favorisiert, Einbauten in Denkmälern vom Stil her abzusetzen, also durchaus erkennbar zu machen, wo im Denkmal ein moderner Einbau stattgefunden hat. Moderne und Stuck können einen sehr spannenden Kontrast bilden.
Die Gestaltungsmöglichkeiten sind vielseitig
Wie haben sich die Designansprüche in den letzten Jahrzehnten gewandelt?
Man kann sagen, dass die Ansprüche in den letzten Jahrzehnten gestiegen sind. Während es früher in der Regel nur bei kostenaufwendigen Häusern zu anspruchsvollen Lösungen kam, wird ein gutes Design heute allgemein vorausgesetzt. Die Treppe ist für viele zu einer Art Skulptur im Innenraum geworden und verlangt daher nach individuellen und kreativen Ideen. Hinzu kommt, dass an immer pfiffigeren Lösungen gearbeitet wird, um eine Treppe praktisch in den Grundriss zu integrieren. Als Architekten müssen wir heute mehr Funktion auf weniger Raum unterbringen. Bei beispielsweise sehr schmalen Gebäuden mit versetzten Wohnebenen wird die Treppe zum integralen verbindenden Bestandteil – das heißt, sie dient heute nicht nur der Überbrückung von Höhenunterschieden, sondern ist ein wichtiger Bestandteil der Wohnung und des Wohnempfindens.
Beeinflusst das Treppendesign womöglich sogar das Wohlempfinden?
Das Design jedes Bauteils beeinflusst natürlich auch das Wohlempfinden – so auch bei der Treppe. Architekten haben schon immer versucht mit unterschiedlichen Ebenen zu arbeiten, die Räume dabei zu verbinden oder zu zonieren, Durchblicke zu schaffen, partiell höhere Räume zu gestalten. Verschiedene Höhen schaffen verschiedene Blickpunkte, Perspektiven und Proportionen. Das bringt dem Empfinden des Menschen mehr Anreize und eröffnet neue Horizonte.
Welchen Trend können wir erwarten?
Der Trend hin zum integralen Bestandteil des Hauses und der Wohnung setzt sich weiter fort. Die Treppe wird immer mehr zum Mittelpunkt des Wohnens. Sie entwickelt sich zudem stärker in Richtung Möbelstück – der Raum unter der Treppe fungiert so beispielsweise als Bücherregal oder Stauraum. Neben den funktionalen Aspekten wird vor allem das Design stetig mehr im Vordergrund stehen. Treppen werden luftiger und leichter, werden besser belichtet und beleuchtet. Wer hätte in einem Einfamilienhaus vor fünfzig Jahren eine Treppe nur mit Handlauf oder gar ganz ohne Geländer eingebaut? Heute planen wir selbst für Familien mit Kindern solche Treppen. Für ein paar Jahre im Krabbelalter wird eine provisorische Absturzsicherung verwendet, danach sollen die Kinder lernen, wie man mit Höhen und einem möglichen Sturz umgeht. Meine Erfahrung ist, dass sie das ganz gut schaffen. Die Kinder werden größer, die schöne luftige Treppe aber bleibt.
Titelbilder (v.l.n.r.): Potemkinsche Treppe in Odessa // Spanische Treppe in Rom // Amphitheater in Delphi // Treppe als Aufenthaltsort (1897)
Fotos: 2004 David Monniaux/Amphitheater Delphi, Kerish/Montagne de Bueren, Siller Treppen (3), Treppenmeister/www.treppenmeister.com