Die gelben Sessel verleihen dem Sprechzimmer eine sonnige Atmosphäre. Der Blick schweift von der Praxis im historischen Gebäude der alten Graurheindorfer Grundschule über den ruhig dahinfließenden Rhein zum gegenüberliegenden Mondorfer Ufer. Man spürt: Dies ist ein Ort zum Innehalten. Zum Durchatmen. Die „Private Stimmpraxis Susanne Koch“, deren Inhaberin mit uns über ihren Beruf und den Zusammenhang zwischen Stimme und Wohlbefinden sprach.

Stimmtherapeutin ist kein ganz alltäglicher Beruf. Was hat Sie bewogen, diesen Weg einzuschlagen?
Seit meiner Kindheit mache ich Musik und tanze. Weil ich beim Geigespielen früher immer Schmerzen in der Schulter bekam, habe ich so ca. im Alter von 16/17 Jahren begonnen, mich mit Bewegungsgewohnheiten und ökonomischen Bewegungsabläufen zu beschäftigen. Als ich dann nach dem Abitur von der Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin erfahren habe, war ich direkt begeistert! Denn hier durfte ich mich all meinen Interessen widmen: Singen, Chor, Stimmbildung, Bewegung, Rhythmik … Ich habe meinen Beruf ja an der gesunden Stimme und sehr viel und vor allem an meiner eigenen Stimme gelernt. Dass ich dabei auch therapeutisch ausgebildet wurde, war mir ehrlich gesagt damals nicht so klar. Als ich dann aber in meinen Praktika und später im Beruf mit PatientInnen gearbeitet habe, habe ich schnell gemerkt, dass mir das sehr liegt: Mich einzufühlen in mein Gegenüber und daraus dessen Stimme zu entwickeln und zu entfalten.

Wie wird man Stimmtherapeutin? Wie sieht der Ausbildungsweg aus?
Nach einem einjährigen Praktikum in einer sozialen/pädagogischen/therapeutischen Einrichtung (in meinem Fall war es ein kinderneurologisches Zentrum in Süddeutschland) und nach bestandener Aufnahmeprüfung habe ich im Februar 1997 die dreijährige Vollzeitausbildung zur „Staatl. geprüften Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin nach Schlaffhorst-Andersen“ in Bad Nenndorf in der Nähe von Hannover begonnen. Eingeschlossen war auch ein Praktikumssemester, das wir nicht an der Schule absolviert haben. Ich habe meine komplette Praktikumszeit von sechs Monaten in der Nähe von Offenburg verbracht und dort in zwei Stimmpraxen und an der Musikhochschule Freiburg begonnen, selbst zu behandeln. Damals war der Ort ein echter Geheimtipp, weil eine fantastische Sprecherziehungslehrerin dort wohnte, bei der ich viele, viele Stunden genommen habe. Von ihrem Unterricht profitiere ich noch heute! Überhaupt haben wir in unserer Ausbildung viel Einzelunterricht genossen: eine Stunde pro Woche Klavier, eine Stunde Gesang, eine Stunde Sprecherziehung und eine Stunde Bewegung. Und das Gleiche nochmal in einer Kleingruppe von sechs Personen! Das war toll – sehr intensiv und sehr nachhaltig!

Susanne Koch
Susanne Koch, Inhaberin des „Studios für Stimme und Entfaltung“ und der „Privaten Stimmpraxis Susanne Koch“ in Bonn
Foto: © P. M. J. Rothe

Warum braucht unsere Stimme manchmal professionelle Hilfe? Welche gesundheitlichen Beschwerden oder Anliegen führen die Menschen zu Ihnen?
Viele, wenn nicht die meisten meiner PatientInnen kommen zu mir, weil sie heiser sind. Zuerst gehen sie damit zum HNO-Arzt, und der weiß dann Rat: Machen Sie eine Stimmtherapie. Denn wenn jemand ständig heiser ist, ein Kloßgefühl hat, dauernd räuspern muss, ohne erkältet zu sein, ist das ein Zeichen dafür, dass die Stimme quasi verspannt ist. Sprechen ist dann anstrengend, bei manchen kippt die Stimme auch bei Aufregung oder die Stimmlage wird höher. Das hört sich dann oft gepresst an und fühlt sich für die Sprechenden nicht gut an. Manchmal tut das sogar weh. Oder jemand hat dauernd einen trockenen Husten. Oder schnarcht. Oder knirscht mit den Zähnen beim Schlafen. Oder ist sehr häufig erkältet. Das sind alles Indikationen für eine Stimmtherapie. Aber die gute Nachricht ist: Die Stimme ist sehr dankbar für die „Zuwendung“ und Übung, und es wird besser und sogar gut! Wenn man dranbleibt, meistens ziemlich zügig. Und dann habe ich natürlich auch KlientInnen, die keine echten Beschwerden haben, sondern kraftvoller sprechen wollen, lauter, facettenreicher, gefühlvoller … Und die sich stimmlich mehr trauen wollen, wenn sie vor anderen sprechen.

Gibt es eine bestimmte Alters- oder Berufsgruppe, die besonders häufig Ihre Praxis aufsucht?
Zu mir kommen vor allem Menschen aus Sprechberufen: DozentInnen, LehrerInnen, Menschen, die viel und oft vor anderen reden und präsentieren. Bei Frauen kommt es recht häufig vor, dass ihre Sprechstimmlage etwas zu hoch ist. Das macht das Sprechen natürlich ziemlich anstrengend. Und es kann sein, dass sie deswegen „nicht ganz für voll genommen“ werden. Da geht es dann darum, die Stimme zu entspannen, und damit tiefer und sonorer zu klingen. Manchmal kommen auch ganz junge PatientInnen zu mir, denn natürlich sind auch manche Kinder oder Jugendliche heiser oder haben Atemschwierigkeiten.

Wie bei jeder Therapie gilt sicher auch bei der Stimmtherapie: Es gibt kein Universalheilmittel. Wie ermitteln Sie, welchen Therapieansatz und welche therapeutischen Maßnahmen Sie im Einzelfall anwenden wollen?
Das stimmt, es gibt kein Universalheilmittel. Dennoch funktionieren Menschen bzw. menschliche Körper und Stimmen relativ ähnlich. Es gibt Bewegungsabläufe, die einfach „gesund“ sind. Dehnen etwa finden alle Faszien gut. Und jeder Muskel mag gerne angespannt und wieder entspannt werden. Wie viel Spannung und Dehnung, und wo zuerst, also welche Übung wann und wie oft eingesetzt wird, höre ich beim Tun, genauer: beim Tönen. Am Anfang mache ich mir im Gespräch ein Bild von dem Menschen, der vor mir sitzt: Wie ist die Haltung, die Sprechweise, die Atmung, die Mimik? Und natürlich: Wie hört sich die Stimme an? Wie geht es diesem Menschen insgesamt, in welcher Situation befindet er/sie sich, was funktioniert, was nicht so gut? Was will er/sie erreichen? Daraus ergibt sich dann die Behandlung.

Und welche Therapien bieten Sie an?
Vor knapp 20 Jahren habe ich ergänzend eine körpertherapeutische Ausbildung bei Gerda Boyesen gemacht, einer der Pionierinnen der Körpertherapie, bei der ich das Glück hatte, an ihrer letzten Ausbildungsklasse teilnehmen zu können. Da war sie schon über 80! Mit dieser sanften Methode habe ich einen ganz direkten Zugang ins vegetative Nervensystem, vor allem zum Vagusnerv, der für Entspannung und Aufbau zuständig ist. Zusätzlich habe ich vor einigen Jahren eine NLP-Ausbildung gemacht und bin NLP-Master, was im Gespräch mit den PatientInnen oft hilfreich ist (Anmerkung der Redaktion: NLP steht für Neuro-Linguistische Psychotherapie). Die Kombination all dieser Methoden ist sehr wirkungsvoll und erfolgreich. Je nachdem, was einE PatientIn braucht, kann ich die Gewichtung der Behandlung eher auf aktivierende Übungen, Entspannungstechniken oder Gespräch legen. In der Regel ist es eine Mischung aus allem.

Sängerin

Wie lange dauert eine erfolgreiche Therapie im Schnitt?
Das ist natürlich individuell verschieden und hängt davon ab, was der/die PatientIn mitbringt an „Ballast“ und auch an Vorkenntnissen. Aber in der Regel hat der/die PatientIn nach etwa zehn Behandlungen schon einen ganz guten Einblick, wie was funktioniert, und der Körper ist schon im Regenerationsprozess. Nach weiteren zehn Sitzungen ist meist eine deutliche Besserung erreicht. Außerdem hat der/die PatientIn dann eine Sammlung an Übungen, die er/sie weiterführen kann bzw. sollte. Denn tatsächlich reagiert die Stimme sehr schnell auf wohltuende, regenerierende und kräftigende Übungen – und damit dies zur guten Gewohnheit und vom Körper „automatisch“, das heißt unbewusst, gemacht wird, braucht es unbedingt Wiederholung. Deshalb nehme ich meinen PatientInnen „ihre“ Übungen als Audio und/oder Video auf. So hat man seine Übungen zum Abhören im Handy dabei und kann regelmäßig ein paar Minütchen üben … Denn in der Vortragssituation oder im Gespräch will ich ja nicht überlegen: Wie ging das nochmal? Ah, ich muss auf meine Bauchmuskulatur achten!“, sondern das soll ja von alleine passieren: Ich spreche, und „es stimmt so“. Das muss der Körper dann eben eine Weile geübt haben! Es ist immer wieder frappierend zu sehen, wie schnell der Körper etwas umsetzt und wie schnell ein Effekt zu sehen ist, aber das Erreichte muss durch regelmäßige Praxis auch erhalten werden. Er ist ein Wunderwerk, unser Körper, der uns treue Dienste leistet und immer bestrebt ist, das Beste für uns zu tun! Wir sollten ihn pflegen und in Freundschaft mit ihm leben. Es geht immer auch um die Freude im und am Körper und damit auch um die Lebensfreude insgesamt.

Vorbeugen ist besser als heilen. Können wir auch prophylaktisch etwas für unsere Stimme tun und können Sie als Stimmtherapeutin dabei behilflich sein?
Auf jeden Fall können Sie auch vorbeugend etwas für Ihre Stimme tun! Singen ist eine gute Prophylaxe, ebenso wie Atemübungen, Übungen für den Beckenboden und generell Bewegung und Dehnung. Viele Übungen, die therapeutisch angewandt werden, können auch vorbeugend eingesetzt werden. Wichtig ist immer, dass man es richtig macht, also beispielsweise nicht mit zu viel Druck in der Kehle singt. Ich sage meinen PatientInnen immer: Spüren ist der Schlüssel. Durch die Aufmerksamkeit im Körper verändert sich schon ganz viel, dadurch, dass ich JETZT anwesend bin in mir, in meinem Körper, in meiner Stimme. Denn Stimme passiert immer jetzt, Klang ist immer jetzt – und ist dann schon wieder vorbei. Und wenn ich das spüre und wahrnehme, ist das schon die halbe Miete. Dann kann ich von da aus weitergehen und Spannung loslassen oder aufbauen. Also ganz einfach mal ausatmen auf „f“ für zwei, drei Sekunden, und das genau mitkriegen. Spüren: „Ich atme aus“. Und sich vielleicht vorstellen, sich darein zu vertiefen. Machen Sie das mal. Schon nach drei, vier Malen fühlen Sie sich ruhiger. Versprochen! Jetzt fehlt da scheinbar die Stimme, aber da der Atem und die Stimme untrennbar verbunden sind, hat diese einfache Atembeobachtungsübung auch Auswirkung auf Ihre Stimme. Probieren Sie es aus!

Sprecherin
Foto: © DCStudio/freepik.com

Kürzlich ist Ihr erstes Buch erschienen: „Stimme küsst Leben“. Wie kamen Sie dazu, das Buch zu schreiben, und was bezwecken Sie damit?
Ich habe im Laufe der Jahre immer wieder daran gedacht, mein Wissen und meine Erfahrung einmal aufzuschreiben und abzubilden. Dann kamen Corona und die Lockdowns und ich konnte plötzlich nicht mehr so intensiv mit den PatientInnen arbeiten. Das war der Moment, wo ich dachte: Jetzt ist es so weit, jetzt schreibst du endlich dieses Buch! Und meine Kollegin Tasha Arsalan aus Berlin, die auch Malerin und Grafikerin ist, hat das Buch wundervoll illustriert. Das war eine sehr inspirierende Zusammenarbeit. Das Buch ermöglicht es jedem Patienten und jeder Patientin, das in den Sitzungen Erarbeitete noch einmal nachzulesen oder auch anhand der Illustrationen zu vertiefen und dadurch besser zu verstehen. Das, was ich meinen PatientInnen in den Behandlungen erkläre, ist gebündelt in diesem Buch nachzulesen. Samt Übungen. Auch in der Stimmtherapie erkläre ich alle Zusammenhänge, weil ich finde, dass jedeR verstehen soll, wie dieses Wunderding „Stimme“ funktioniert! Mein Buch ist quasi ein „Handbuch“ oder eine „Gebrauchsanweisung“ für die eigene Stimme. Und für einiges mehr! Denn unsere Stimme hat ja einen großen Einfluss auf viele Körperbereiche wie die Atmung, das Nervensystem usw. Ich freue mich natürlich auch, dass ich mit diesem Buch dieses Thema einer breiteren LeserInnenschaft zugänglich machen kann. Denn wir haben ja alle eine Stimme! Die meisten denken nie darüber nach – bis sich bei manchen Beschwerden einstellen. Oder ein Interesse, mehr mit der Stimme ausdrücken zu wollen. Da finde ich es sinnvoll, dass es neben den populärwissenschaftlichen Büchern über zahlreiche andere medizinische Themen nun auch eine „Anleitung“, einen Ratgeber zu diesem Thema gibt.

Zum Abschluss: Haben Sie einen praktischen Tipp dazu, was wir alle für unsere Stimme tun können?
Eine meiner Lieblingsempfehlungen: Summen! Summen Sie leise und genüsslich und machen Sie dazu leichte Kaubewegungen, damit der Ton nicht fest in der Kehle wird. Nicht zu lange und so angenehm wie möglich. Wie eine kleine Massage für die Kehle. Und eine andere Übung, die kräftiger ist und richtig Spaß macht: Machen Sie Ihren Mund weit auf, strecken Sie die Zunge raus und sagen Sie voller Überzeugung „bäh“. Das nimmt den Druck vom Kehlkopf, weitet den Rachen und befreit so die Stimme. Und die Stimmung … Probieren Sie es aus!
(Rüdiger Strempel)

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