Richard Wagner ist eine Größe in der klassischen Musik. Seine Urenkelin Nike Wagner hat seit Beginn des Jahres die Intendanz für das Beethovenfest übernommen. Wieso sie weiß, dass die Kulturwelt auf sie schaut und was sie nach Bonn geführt hat, verriet sie uns in einem spannenden Gespräch an ihrem neuen Arbeitsplatz.
Nike Wagner

Nike Wagner

Nike Wagner, Foto: © P. M. J. Rothe

Nike Wagner wurde am 9. Juni 1945 als drittes Kind von Wieland Wagner und Gertrud Reissinger geboren. Ihr Urgroßvater ist Richard Wagner, Komponist und Gründer der Bayreuther Festspiele. Ihr Ururgroßvater Franz Liszt war 1845 Begründer des ersten Beethovenfestes. Seit 2014 führt Nike Wagner dieses als Intendantin.

Frau Wagner, wenn ich mir erlauben darf, Ihr Wesen einzuschätzen, kommen Sie sehr leichtfüßig daher.
Das haben Sie richtig bemerkt, ich bin eher „leicht“ angelegt. Jeder Mensch hat ja sein eigenes spezifisches Gewicht – und mir liegt die schwebende Gangart.

Sind Sie denn gut in Bonn angekommen?
Die Freundlichkeit, die mir hier von Anfang an entgegengebracht wurde, war unglaublich. Inzwischen habe ich auch schon einige Nächte in meiner neuen Wohnung verbracht, habe in Bonner Runde diniert und nehme täglich die Stadtbahn.

Darf man fragen, wie Sie wohnen?
Ich wohne hochoriginell: in einer ehemaligen Botschaft – zwei schöne, große Zimmer, ganz ruhig. Und dann noch „Adenauerallee“!

Und wie gefällt Ihnen die Beethovenstadt bislang?
Eine Stadt erschließt sich nicht so schnell. Ich mag das Zentrum sehr, die Uni-Gegend und den sensationellen Kammermusiksaal im Beethoven-Haus. Ansonsten pflege ich Rheinromantik à la Heinrich Heine: Gehe die melancholischen Schlepper beobachten, die Flusswindungen, das Siebengebirge im Hintergrund. Und es ist doch zu schön, dass die Klischees stimmen: Die Rheinländer sind wirklich Frohnaturen! Ich habe ausgiebig im Süden, im Norden und im Osten Deutschlands gelebt und weiß, wovon ich rede.

Nachdem Sie das Angebot erhielten, Intendantin für das Beethovenfest in Bonn zu werden, haben Sie spontan zugesagt?
Eigentlich wollte ich nach zehn Jahren Weimar wieder nach Wien zurück, träumte von einer stillen Existenz als Autorin. Dann wurde ich mit der Idee „Beethoven“ infiziert, irgendwie wurde sie immer stärker und schließlich befand ich mich in Bonn. Natürlich nach den entsprechenden Hearings durch eine Fachjury und die Politik.



Und was stimmte Sie um?
Beethoven. Nur Beethoven. Er bleibt eine grandiose Persönlichkeit − nicht nur musikalisch, sondern auch politisch, ethisch, kulturell. Hinzu kommt, dass Beethoven in meinem Elternhaus stets präsent war – sein Ölporträt über dem Sofa und seine Musik auf Langspielplatten. Ein Klavierkonzert – das in Es-Dur – gehörte zu meinen ersten und intensivsten musikalischen Eindrücken. Und natürlich waren alle Vorfahren Beethoven-positiv: Richard Wagner dirigierte die neunte Sinfonie zur Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses und die „Neunte“ ist seither das einzige Werk eines anderen Komponisten, das bei den Wagner-Festspielen gespielt werden darf. Franz Liszt liebte Beethoven ebenfalls abgöttisch, hat aus Beethovens Orchesterpartituren „Klavierpartituren“ gemacht und, nicht zu vergessen, das Beethovenfest begründet und den Bonnern ihre Beethovenstatue finanziert. Vielleicht haben mir die Ahnen ja wirklich eine Spur nach Bonn gelegt.

Wo sehen Sie beim Beethovenfest die besondere Herausforderung?
Festivals dieser Größenordnung sind an sich schon eine Herausforderung, sie verlangen den Spagat zwischen Kunst und Kommerz, zwischen interessanten, ungewöhnlichen Programmen und den immergleichen Wünschen des Kulturtourismus. Zweifellos muss man auch jetzt schon die programmatischen Schienen für das große Jubiläum 2020 legen, wenn „Ludwig van“ seinen 250. Geburtstag feiert.

Beethovenfest Nike Wagner

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Nike Wagner, Foto: © P. M. J. Rothe

Und welche neuen Ansätze möchten Sie zukünftig umsetzen?
Das Fest ist Beethoven gewidmet, seine Musik wird weiterhin im Zentrum stehen und ich freue mich, dass ich ein so gut geöltes Beethoven-Kraftwerk weiterführen darf. Das heißt aber nicht, dass von früh bis spät bloß Beethoven gespielt werden wird, so war es ja auch in der Vergangenheit nie. Beethoven fordert dazu heraus, verschiedene Klangbilder und Interpretationen seiner Werke hören zu lassen, seine musikalische Herkunft zu erkunden und seiner immensen Auswirkung auf die Nachwelt nachzugehen. Er fordert aber vor allem dazu heraus, in seinem Geist kreativ zu sein. Wir werden verstärkt auf interdisziplinäre Projekte setzen und zeitgenössische Musiker und Künstler um Werke bitten, die Beethoven „weiterschreiben“. Sie sollen die enorme Vielfalt des beethovenschen Schaffens anschaulich machen, Beethovens revolutionären Schwung, sein Engagement für die Menschenrechte zum Thema machen. Gott sei dank ist ja sein „Titanen“-Image inzwischen verblasst.

Können Sie sich Kooperationen mit anderen Bonner Institutionen vorstellen?
Unbedingt. In diesem Jahr schon wird es eine Zusammenarbeit mit dem hiesigen Schauspiel geben, in der wunderbaren Spielstätte Halle Beuel. Und ohne Genaueres zu verraten: Es soll eine reizvolle Symbiose aus Kunst und Wissenschaft erarbeitet werden. Auch mit der Oper haben wir Pläne und mit dem Beethoven-Haus wollen wir uns enger verknüpfen. Programmatische Kooperationen mit den Museen sind ein weiterer Traum.

Was meinen Sie, inwieweit wird Ihnen als Intendantin Ihr Urgroßvater Richard Wagner behilflich sein?
Der Name Wagner ist bekannt in der Kulturwelt und ich bin dankbar dafür, ihn als „vertrauensbildend“ einsetzen zu können. Dass dahinter auch Leistung stehen muss, ist selbstverständlich. Für das Beethovenfest möge er als Türöffner dienen und mir die Akquise erleichtern. Immerhin muss das ganze künstlerische Programm des Festivals von Sponsoren und Stiftungen finanziert werden.

„Bei mir wird es die 9. Sinfonie nicht schon zum Frühstück geben.“

Gibt es neben der finanziellen Unterstützung noch weitere Erwartungen, die Sie an die Sponsoren stellen?
Ich hoffe darauf, die Sponsoren auch weiterhin für zeitgenössische Programme und Projekte interessieren zu können, ich hoffe auf ihre beständige Offenheit und Neugier. Denn schauen Sie: In der Wirtschaft wird das Wort „Innovation“ ständig und positiv verwendet – aber sobald die Kunst sich „innovativ“ gebärdet, wird das mit Misstrauen zur Kenntnis genommen. Ein „Pas de deux“ mit der Wirtschaft aber ist für den Kunstbetrieb umso notwendiger, je knapper die staatlichen oder kommunalen Kassen sind. Wenn ein Unternehmen die Kunst in der Region fördert, fördert es zugleich die Identität dieser Region. Bonn war dominant in der Politik – es könnte sich nun verstärkt über Kunst und Musik definieren!

Apropos Offenheit, Frau Schmiel hat sich sehr dafür eingesetzt, auch Jugendlichen die klassische Musik nahezubringen. Werden Sie dies fortführen?
Nur allzu gern. Der „Jugendsektor“, den ich hier vorfand, ist phantasievoll ausgearbeitet und wird hervorragend betreut. Jährlich werden etwa 12 bis 14 Projekte realisiert und ich bewundere jedes Engagement, das den Jugendlichen die klassische Musik näherbringt. Meine Mitarbeiter begleiten Tagespraktikanten, veranstalten Interviewtermine mit Musikern oder lassen beim „Schülermanagement“ eine kleine Gruppe ein komplettes Konzert für das Beethovenfest organisieren. Damit bekommen die Jugendlichen nicht nur einen Einblick hinter die Kulissen, sondern freuen sich, den Künstler auf der Bühne zu sehen, den sie vorher vielleicht vom Flughafen abgeholt haben. Es entstehen persönliche Beziehungen, die in ein Nahverhältnis zur klassischen Musik münden können.

Sie sind studierte Literatur- und Kunstwissenschaftlerin. Wird das Beethovenfest davon profitieren?
Jedes Festival hängt von der Persönlichkeit des Leiters ab, von seinen Kunst-Erfahrungen, Vorlieben und seiner Weltsicht. Ich bringe meine Erfahrungen und Kenntnisse mit – sie dürften vielfältig genug sein, um dem Beethovenfest ein sinnvolles, gemischtes Programm zu garantieren.

Was halten Sie von der Diskussion um ein Festspielhaus für Bonn?
Brauchen wir Ihrer Meinung nach eins? Ein neues Musikhaus wäre in der Tat wunderbar. Wie immer man alte Anhänglichkeiten an die Beethovenhalle verstehen kann – sie ist akustisch und optisch einfach nicht mehr zeitgemäß. Wir kennen prominente Dirigenten, die sich weigern, in dieser stimmungslosen Architektur zu dirigieren. Eine reine Katastrophe aber ist es, dass die Beethovenstadt Bonn noch keinen First-Class-Konzertsaal für etwa 500 bis 600 Besucher hat. Bitte dringend Bewegung in diese Angelegenheit bringen! Sonst hat das Beethovenfest bald keine Existenzgrundlage mehr.

Sie arbeiten auch als Publizistin, werden Sie dazu noch die Zeit haben?
Vermutlich nicht. Ich werde alle meine Energien für die Programmgestaltung und fürs Auftreiben der finanziellen Mittel brauchen.

Ihr Ururgroßvater Liszt „schenkte“ Bonn das Denkmal auf dem Münsterplatz und ist auch sonst von großer Bedeutung für das Beethovenfest. Wenn Sie sich Ihr Erbe für Bonn wünschen könnten, wie sähe das aus?
Von dieser Stadt, die ja schon die interessantesten Transformationen erlebt hat, wünsche ich mir – neben dem neuen Konzertsaal – eine verstärkte Selbstdefinition als Kulturstadt. Hier gibt es ja ein stabiles, gebildetes und engagiertes Bürgertum: Möge es weiterhin lebendig agieren und alle NGOs und alle DAX-Unternehmen einbeziehen in ihren Jubel um Beethoven und die Künste …

Meine letzte Frage ist nicht besonders kreativ, interessiert mich aber persönlich: Wer ist Ihr Lieblingskomponist?
Sie werden lachen – es ist Rossini. Er passt zu meiner Leichtigkeit, die Sie anfangs erwähnt haben. Rossini ist Champagner, prickelnd und voller Leben, ein einziges Antidepressivum.
(Magda Zieba)

Nike Wagner wurde am 9. Juni 1945 als drittes Kind von Wieland Wagner und Gertrud Reissinger geboren. Ihr Urgroßvater ist Richard Wagner, Komponist und Gründer der Bayreuther Festspiele. Ihr Ururgroßvater Franz Liszt war 1845 Begründer des ersten Beethovenfestes. Seit 2014 führt Nike Wagner dieses als Intendantin.