Matthias Nolden: Weltenbummler, moderner Nomade, Abenteurer – so könnte man den Innenarchitekten mit Geburtsort Bonn ohne Weiteres bezeichnen. Doch so sieht er sich nicht. Monatelang war er unterwegs, um von China mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren. Hat im Zelt übernachtet und angehalten, wo es ihm gefiel. Es habe sich einfach so ergeben, sagt er völlig entspannt. Nach vier Jahren „Pause“ mit viel Sport und dem gescheiterten Versuch, drei Siebentausender zu besteigen – Corona traf den 33-Jährigen im Basislager –, hat er seinen Job in einem Dresdner Architekturbüro gekündigt und plant, mit dem Fahrrad nach Südafrika zu fahren. Nach einem Schlenker über das Nordkap, geht es von Bonn zunächst über die Schweiz, Frankreich nach Spanien und dann immer weiter. Wir haben Matthias Nolden auf seiner Zwischenstation am Rhein getroffen und mit ihm über seine Art, die Welt zu erkunden, gesprochen.
Die Kaluts in der Wüste Lut, Iran
Wo genau kommst du gerade her?
Ich komme vom Nordkap über Finnland, das Baltikum, Polen, Ostdeutschland nach Bonn. Ich bin seit drei Monaten mit dem Fahrrad unterwegs.
Du bist nicht der sesshafte Typ?
Nein, eigentlich nicht. Die letzten Jahre wollte ich möglichst viele Orte sehen und auch dort für eine Zeitlang leben.
War und ist es ein Traum von dir, die ganze Welt zu bereisen?
Was heißt Traum? Das hat sich ergeben. Bevor ich mein Studium begonnen habe, bin ich nach Australien geflogen, um dort ein Jahr mit Work-and-Travel zu verbringen. Nach vier Monaten war mir das zu langweilig. Australien war – damals – nicht das, was ich erleben wollte. Da mich China schon immer fasziniert hat, habe ich Australien abgebrochen und habe einige Monate in China verbracht. Es war schnell klar, dass ich dieses Land unbedingt noch einmal besuchen wollte.
Was fasziniert dich an China?
Die unglaubliche Vielfalt. China ist ein riesiges Land mit vielen ganz unterschiedlichen Menschen, Landschaften und Klimazonen. Westliche Einflüsse überschneiden sich mit einer jahrtausendealten Kultur. Das begeistert mich. Ich bin mit Bus und Zug durch China, Südostasien und den Nahen Osten gereist. Und bin mit diesen Verkehrsmitteln auch wieder nach Hause gefahren. Das dauerte sieben Monate und war quasi der Auftakt zu dem, was ich später mit dem Fahrrad gemacht habe. Nach meiner Rückkehr aus China habe ich mein Studium abgeschlossen und habe dann einen Praktikumsplatz in Shanghai erhalten. Ich bin nicht dorthin geflogen, sondern wieder über Land mit dem Zug gefahren. Das ist viel erlebnisreicher als zu fliegen. Ich bin von Halle über Berlin nach Moskau gefahren und dann mit der transsibirischen Eisenbahn weiter bis nach China. Das dauerte zwei Wochen.
Dann hast du in Shanghai gearbeitet.
Ja, zunächst. Das Büro hatte allerdings eine Niederlassung in Ürümqi, der Hauptstadt des Uigurischen Autonomen Gebietes Xinjiang in China. Ich wollte mir die einmalige Chance nicht entgehen lassen, dort einmal zu arbeiten. In dieser riesengroßen Stadt lebten damals gerade mal 200 westliche Ausländer. Das Büro musste dann aus wirtschaftlichen und auch aus politischen Gründen schließen. Das heißt, ich hatte keine Arbeit mehr und damit endete mein Visum. Ich kaufte mir dann relativ spontan ein Fahrrad und fuhr damit von Ürümqi nach Hause. Das war meine erste Fahrradtour, auf der ich 15 Monate unterwegs war.
Aralsee, Karakalpakstan, Usbekistan
Abfahrt Kargush Pass, Tadschikistan – auf dem Weg ins Wakhantal
Hast du dich, was die Fitness betrifft, darauf vorbereitet?
Nein, nicht wirklich. Ich war nicht unfit, aber körperlich habe ich mich gar nicht vorbereitet. Eine Grundfitness war vorhanden, da ich immer schon viel gelaufen bin. Der Sport stand für mich jedoch nicht im Vordergrund, denn ich konnte ja jederzeit aufhören, wenn ich müde war. Ich habe ausprobiert, wie sich das Rad mit Gepäck fahren lässt. Das war es dann aber schon. Ich bin einfach losgefahren.
Hattest du einen Plan, nach dem du gefahren bist?
Ganz grob schon. Ich hatte ja ein bestimmtes Budget zur Verfügung, mit dem ich auskommen musste. Das heißt, es war klar, dass ich nicht länger als anderthalb Jahre unterwegs sein könnte. Für den Weg hatte ich mir ein paar Highlights herausgesucht, die ich unbedingt sehen wollte.
Hast du dir ein spezielles Fahrrad gekauft?
In dem Fahrradladen habe ich das beste Rad gekauft, das ich bekommen konnte. Es war etwas zu klein, aber ich irgendwie ging es.
Weißt du noch, was dir in den ersten Tagen deiner Tour durch den Kopf ging oder wie du dich gefühlt hast?
Nicht genau. Weil aber in China wildes Campen eine Grauzone ist, man weiß nicht genau, was erlaubt ist und was nicht, bin ich am ersten Tag ziemlich weit gefahren und war völlig fertig. Daran erinnere ich mich sehr gut. Ich musste mich dann erst einmal an den Radalltag gewöhnen. Im Vordergrund stand aber meine Vorfreude auf Zentralasien.
Nördliche Seidenstraße, China
Welche Länder hast du erfahren?
Die ersten größeren Stationen waren Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan, wo ich den Pamir Highway entlanggefahren bin. Diese Länder wollte ich unbedingt sehen. Daher bin ich nicht einfach so durchgefahren, sondern habe mir die schönsten Orte angesehen und mir Zeit gelassen. Weiter ging es von Zentralasien mit der Fähre über das Kaspische Meer nach Baku in Aserbaidschan. Im Iran war ich zweimal zwei Monate. Erst bin ich der Nord- und Ostgrenze gefolgt bis Bandar Abbas, auf dem Rückweg bin ich entlang der iranischen Küste und Westgrenze gefahren. Zwischen den beiden Iran-Aufenthalten habe ich noch eine Rundtour über die arabische Halbsinsel unternommen und u. a. den Oman besucht. Mit der Fähre bin ich wieder in den Iran übergesetzt und weiter Richtung Istanbul gefahren. Es schlossen sich die Balkanländer, ein Stück Italien, die Schweiz und Frankreich an. Schließlich bin ich den Rhein entlang Richtung Heimat gefahren.
Was war deine größte Herausforderung?
Der Kopf. Er muss mitfahren. Im Norden des Irans war es ziemlich langweilig, mit dem Rad zu fahren. Landschaftlich war es dort nicht sehr spannend, zumal ich gerade aus Zentralasien kam, wo es unfassbar schön war. Dann weiterzufahren, obwohl ich keine Lust dazu hatte, das war schon eine große Herausforderung.
Gab es gefährliche Situationen?
Eigentlich nicht. In Bosnien bin ich von einem Auto angefahren worden, aber es ging alles gut.
Bist du auch schon einmal auf andere Verkehrsmittel umgestiegen?
Nein. Ich wollte die Strecke komplett mit dem Fahrrad durchfahren. Der Gedanke war: Steige ich einmal auf den Zug um, weil mir kalt oder die Strecke langweilig ist, finde ich immer wieder Ausreden. Also habe ich, um meine Motivation nicht zu verlieren, jeden Kilometer auf dem Rad durchgezogen. Darüber bin ich sehr froh. Es gibt nicht nur schöne Tage, man muss auch die anderen nehmen.
Bist du jeden Tag gefahren?
Nein, ich habe das entspannt gesehen und bin auch schon einmal ein paar Tage nicht gefahren, um mir etwas in Ruhe anzusehen.
Wie hast du es mit der Übernachtung gehalten? Hast du immer im Zelt geschlafen?
Nicht immer. Das kam ganz darauf an. In menschenleeren Gebieten habe ich öfters im Zelt geschlafen.
Hast du nie Angst gehabt?
Doch schon. Ich kann mich an keine konkrete Situation erinnern, aber bestimmt. Ich habe schon aufgepasst, wo ich mein Zelt aufbaue. In vielen Ländern war es allerdings ganz normal, dass irgendwo ein Zelt am Straßenrand steht. Im Iran beispielsweise war das kein Problem. Im Oman war es noch besser.
Hattest du Kontakt zu den Einheimischen?
Das Schöne am Fahrradfahren ist, dass man sehr schnell und einfach mit Einheimischen in Kontakt kommt. Vor allem die Menschen in den muslimischen Ländern waren sehr offen. Gerade im Iran hat sich das verselbstständigt und ich habe über die einen wieder andere kennengelernt. Ich bin quasi als Übernachtungsgast weitergereicht worden. Zu einer Familie habe ich immer noch Kontakt.
Gibt es irgendetwas, das du in der Zeit, in der du unterwegs gewesen bist, vermisst hast? Was war zum Beispiel mit deiner Familie?
Die habe ich natürlich vermisst. Meistens wird das einem bewusst, wenn es einmal nicht gut läuft. Weihnachten habe ich im Iran verbracht und da feiert natürlich niemand ein christliches Fest. Das sind so Tage, an denen fehlt Familie.
Nach deiner Fahrradtour hast du den Job in Dresden angenommen. Was war das für ein Gefühl, wieder einen festen Wohnsitz zu haben?
Ich hatte mich darauf gefreut. Das Zurückkommen war auch okay gewesen. In meinem Hinterkopf hat aber immer die Idee geschlummert, mit dem Fahrrad nach Afrika zu fahren. Ich war jetzt viereinhalb Jahre in Dresden, das ist für mich schon eine sehr lange Zeit, die ich an einem Ort verbracht habe. Ich habe dort gekündigt und Job und Wohnung komplett aufgegeben. Mein ganzer Besitz befindet sich in drei Umzugskartons.
Ist es schwer, sich von so vielen Dingen zu trennen?
Das war gar nicht so schwer. Hat man einmal angefangen, wird es zum Selbstläufer. Es war nur kurzzeitig ein komisches Gefühl, aber ich wusste ja, wofür ich es mache. Ich bin vollständig frei, ohne irgendetwas in der Hinterhand zu haben. Jetzt im Herbst ist der – auch vom Wetter her – richtige Zeitpunkt, um nach Afrika aufzubrechen. Ich mache nach der Tour zum Nordkap, das ist mein eigentlicher Startpunkt, jetzt in Bonn für ugefähr zehn Tage einen Zwischenstopp, präpariere mein Gepäck für wärmere Temperaturen, als sie gerade am Nordkap geherrscht haben, und fahre dann Richtung Afrika.
Wie viel Gepäck nimmst du mit?
Deutlich weniger als bei meiner ersten Tour. Ich habe mittlerweile auch ein anderes, leichteres und schnelleres Fahrrad, ein Gravelbike.
Was ist das Wichtigste, das du mitnimmst?
Isomatte und Schlafsack. Ein Zelt braucht man nicht unbedingt. An Kleidung nehme ich nur fahrradtaugliche mit. Auf keinen Fall Jeans, die sind viel zu schwer. Aber ein Hemd ist dabei, mit dem kann ich weggehen, das kann ich aber auch zum Fahrradfahren tragen. Für Afrika packe ich außerdem noch eine leichte Hose ein.
Wie geht es jetzt für dich weiter?
Ich fahre zunächst nach Zürich und in die Schweizer Alpen. Dort besuche ich noch ein paar Freunde. Dann wird es ernst und ich fahre weiter nach Frankreich und damit weg von allem.
Wie fest steht deine Tourenplanung?
Überhaupt nicht. Anfang und Ende stehen fest, dazwischen schaue ich, was mir begegnet. An Afrika denke ich noch gar nicht. Ich weiß nur, dass ich Weihnachten höchstwahrscheinlich in Marokko verbringe. Die Länder, durch die ich in Afrika fahren werde, sind allerdings durch die politischen Verhältnisse vorgegeben. Das heißt, ich fahre mehr oder weniger die afrikanische Westküste entlang. Wenn alles gut geht, lande ich Ende 2023 in Kapstadt. Ich kann mir vorstellen, für eine Weile dort zu bleiben und zu arbeiten – oder ich fahre weiter Fahrrad.
Glaubst du, dass du irgendwann sesshaft wirst?
Bestimmt, jetzt ist es mir allerdings noch zu früh.
(Susanne Rothe)
Fotos: © Matthias Nolden (9)