Begriffe wie Digitalisierung und digitale Transformation sind in aller Munde. Dahinter verbirgt sich eine Veränderung bestehender Geschäftsmodelle mittels digitaler Technologien. Der Digital Hub Region Bonn hilft Unternehmen auf ihrem Weg in die digitale Transformation. Wir haben mit Dr. Jörg Haas über den tiefgreifenden Wandel gesprochen, der sich innerhalb von Wirtschaft und Gesellschaft vollzieht, und wie wichtig es ist, den Anschluss nicht zu verlieren. Haas ist Vorstand der HW PARTNERS AG und einer der Initiatoren des Digital Hub Bonn.

 

Was bedeutet digitale Transformation und worum geht es?
„The digital Age“ bezeichnet unsere gegenwärtige Zeitspanne, welche den weltweiten Wandel im sozialen Leben, der virtuellen Geschäftsmodelle sowie einschneidender gesellschaftlicher Änderungen aufgrund modernster Informations- und Kommunikationstechnologien ausmacht. Die Welt verändert sich tiefgreifend und schneller als wir Menschen dies individuell wahrnehmen. Dieser Wandel wird den Wohlstand und Entwicklungsstand auf der Erde neu verteilen. Europa, Deutschland und die Region Bonn haben bereits in den ersten fünf bis zehn Jahren dieses neuen Zeitalters den Anschluss an die führenden Regionen und Nationen verpasst. Nun geht es unter dem Schlagwort „digitale Transformation“ darum, diese „Entwicklungslücke“ gesellschaftlich und ökonomisch nicht noch wesentlich größer werden zu lassen.

Warum muss es überhaupt einen digitalen Wandel geben?
Reicht nicht das, was wir haben? Die Frage ist philosophischer Natur und kann vielleicht am ehesten und vereinfacht mit der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow beantwortet werden. Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelte Maslow die humanistische Psychologie, in der er die Hierarchie menschlicher Bedürfnisse erklärte. Werden Bedürfnisse (Wünsche) zu Bedarf (deren Befriedigung), so strebt der Mensch nach höheren Bedürfnissen wie beispielsweise der Wertschätzung und Selbstverwirklichung. Um dorthin zu kommen, müssen die Grundbedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse und sozialen Bedürfnisse aber erfüllt sein. Das Streben nach „mehr“ und „besser“ beantworten die Menschen mit ihrer Handlungsweise, das liegt nach Maslow in deren Natur.

Digitale Transformation beschreibt nun einen höheren Grad an Automatisation. Im industriellen Sektor sprechen wir von Robotik und im tertiären Sektor von Automatisierung. Es handelt sich jeweils um die Reduzierung menschlicher Arbeit zugunsten von Maschinenarbeit, wobei Computer auch Maschinen sind. Ziel ist es, mit einem „Weniger“ an humanitärer Arbeit ein „Mehr“ an Leistungen und daraus resultierenden Wohlstand zu erarbeiten. Die Hypothese des „Digital Age“ ist: Der weltweite Wohlstand vieler Menschen wird sich durch die digitale Transformation signifikant steigern.

Dr. Jörg Haas

Dr. Jörg Haas

Wie weit sind wir hier in unserer Region schon mit der digitalen Transformation?
Die Unternehmen in der Region sind beim „neuen Denken“ ihrer Geschäftsmodelle m. E. überwiegend noch sehr rückständig. Selbst das Umstellen der internen Abläufe auf digitale und zunehmend automatisierte Prozesse erfolgt nur zögerlich. Klar arbeiten nahezu alle Unternehmen mit digitalen Medien, aber sich wirklich auf die digitale Transformation sämtlicher betrieblicher Geschäftsprozesse einzulassen, ist vielen noch sehr fern. Noch seltener finden wir die aktive Transformation des eigenen Geschäftsmodelles in eine zunehmend digitale Welt. Beispiele dieser sich ändernden Geschäftsmodelle gibt es viele: Zum Beispiel Kleinserienproduktion per 3D-Drucker, autonomes fahren, Übernachten mit Airbnb, Mobilität mit Uber, Auftragsvermittlung per GiG-Work und sehr viele mehr. Kaum ein Anbieter und Hersteller dieser Cloud-Dienste kommt aus Europa.

Welche Bereiche des Lebens werden wie beeinflusst?
Im „Digital Age“ fließen digitale Dienste und Leistungen wie selbstverständlich in alle Lebensbereiche ein. Es wird wenige Bereiche des Lebens geben, bei denen wir diesem entfliehen können. Im privaten Umfeld profitieren viele Menschen bereits täglich durch die Nutzung von Internetdiensten per Computer, Pad oder Smartphone. Errungenschaften der digitalen Vernetzung erleben wir permanent beim Streaming von Musik, Filmen, Zeitungen, beim Live Ticker für Fußball oder News, bei Online-Einkäufen bei Amazone & Co. Niemand denkt mehr über virtuelles Banking nach, sondern nutzt wie selbstverständlich im Internet Paypal, VISA und mehr. Auch ist die Online-Navigation per Google Maps nahezu Standard. Weltweites Wissen wie in Wikipedia haben wir im Live-Zugriff und können zudem in wenigen Sekunden auf mehr Bücher zugreifen als in der größten physischen Bibliothek der Welt verfügbar sind.

Allerdings sind wir in Europa – meines Erachtens leider – überwiegend nur Konsumenten des Wohlstandsnutzens der digitalen Transformation und weniger deren Gestalter und Akteur. Google, Apple, Amazon, Microsoft, IBM, Tesla & Co. beherrschen diese neue Welt und mehr als 50 Prozent aller weltweiten digitalen Geschäftsmodelle kommen derzeit aus dem Silicon Valley.

Warum sollte sich ein Unternehmen an der digitalen Transformation beteiligen?
Das ökonomische Prinzip ist geprägt von der Gewinnmaximierungshypothese. Dabei werden die Produktivitätsfaktoren menschlicher Arbeit, Werkstoffe und Betriebsmittel so subsumiert, dass der Gewinn möglichst hoch ist. Diese marktwirtschaftliche Ordnung ist bis heute unserer westlichen Wirtschaft inhärent. Wenn jetzt Betriebsmittel, also Anlagen und Maschinen, die menschliche Arbeit wesentlich effizienter ersetzen können, dann sollte ein Unternehmer genau dies tun. Mit anderen Worten, eine Erhöhung von Robotik und Automatisierung, die Ergebnisse der digitalen Transformation, führen zu einer Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und sichern die Existenz eines Unternehmens und führen zu einem höherem Volkswohlstand.

Was ist die große Herausforderung?
Die große Herausforderung liegt in dem intellektuellen Erkennen, was die digitale Transformation im eigenen Unternehmen an tiefgreifenden neuen Denkstrukturen erfordert. Es ist Aufgabe des Unternehmers und des Top Managements, die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit eines höheren Automatisierungsgrades zu erkennen. Gerade nicht bei den Produzenten, sondern künftig bei Dienstleistern wie Juristen, Medizinern, Architekten, Unternehmens- und Steuerberatern, Lehrern und Professoren, Journalisten, Händlern sowie der Hotel- und Gastronomie – in nahezu allen Wirtschaftsbereichen ist mit einem tiefgreifenden digitalen Wandel zu rechnen. Leider sehen viele Betroffene das Offensichtliche noch nicht, da sie nicht gelernt haben, mit den Augen eines „Zukunftsdenkers“ zwei bis drei Jahre in die Zukunft zu schauen.

Wie sieht es bei den vielen mittelständischen Unternehmen aus?
Viele Mittelständler bei uns warten ab und glauben, es sei noch zu früh für die digitale Transformation. Dieses ist die größte Gefahr der heimischen Wirtschaft, da in den USA aber auch in Asien längst erkannt wurde, welche durchschlagende Macht die Veränderung besitzt. Veranstaltungen wie der Bonner Cloud Unternehmertag finden zwar große Aufmerksamkeit, aber viele mittelständische Unternehmen zögern noch, den konkreten Schritt in eine neue Welt zu wagen.

Was sind die Probleme bei der Umsetzung und welche Rolle spielt dabei der Digital Hub Region Bonn?
Jedes Unternehmen hat heute die Möglichkeit, strategisch in die Zukunft zu denken und sein Unternehmen für die digitale Zukunft auszurichten. Im Digital Hub Region Bonn bieten wir das Programm „Innovation Factory“ an, in dem wir Unternehmen helfen, zu verstehen, wie man die Zukunft des eigenen Unternehmens digital gestalten kann (www.digitalhub.de). Der Digital Hub hilft somit traditionsbewussten Mittelständlern, den richtigen Weg in die digitale Transformation zu finden.

Was ist die Idee?
Der Digital Hub arbeitet mit dem Mittelständler die Möglichkeiten heraus, wie aus einem langsam sterbenden klassischen Geschäft ein zukunftsorientiertes Unternehmensmodell werden kann. Wenn beispielsweise die Buchhaltung künftig zu 90 Prozent automatisiert erfolgt, so muss der Steuerberater frühzeitig überlegen, wie er seine Leistungen neu ausrichten kann, um beispielsweise über ein zentrales Mandantenportal ein dezentrales Controlling für seine Mandaten anbieten zu können. Zunächst muss verstanden werden, welche Disruption in der eigenen Branche erfolgt und welche Handlungsoptionen bestehen und dann muss an der Umsetzung des neuen Geschäftsmodells gearbeitet werden.

Wie unterstützt der Hub junge Unternehmen?
Digitale Startups erhalten vom Hub flexible und inspirierende Coworking Spaces mit vielen begleitenden Services, um die Produktivität optimal gestalten zu können. Bei Bedarf investiert der Hub Eigenkapital in der Frühphase oder unterstützt beim Finden weiterer Seed-Investoren und VCs (Venture Capital). Außerdem vernetzt der Hub die Startups mit etablierten Unternehmen und bietet Zugang zu Kunden, Partnern und Investoren. Der Hub veranstaltet darüber hinaus Events und fördert den direkten Austausch mit Mentoren und anderen Startups.

Wer steht alles hinter dem Digital Hub?
Die Partner des Hubs sind das „Who’s Who“ der Bonner Stadtgesellschaft. Mehr als 30 Organisationen, Mittelständler, Konzerne, Banken, Verbände, Universität und Hochschule, Landkreis und Stadt, Investoren und Unternehmer haben aus der Mitte der Stadtgesellschaft heraus den Hub gegründet (www.digitalhub.de/de/home/partner). Dieses einmalige Netzwerk zur Förderung der Digitalisierung unserer Region ist der große USP des Digitalen Hub Region Bonn.

Kann sich jedes geeignete Unternehmen für den Hub bewerben?
Ja, der Hub fördert traditionelle Mittelständler genauso wie Konzerntöchter oder junge Startups. Das Thema „digitale Geschäftsmodelle“ ist die verbindende Klammer, ob altes Geschäft im Wandel oder neues Geschäft in Gründung.

Wer entscheidet nach welchen Kriterien, wer mitmachen kann?
Der Vorstand des Hubs beurteilt die Aufgabenstellung hinsichtlich der Konformität und entscheidet über die Zusammenarbeit. Bei Investitionen in Startups und grundlegenden Themen hat der Aufsichtsrat ein Zustimmungsrecht. Obligatorisch ist die Beschäftigung rund um das Thema „digitales Geschäftsmodell“ und „digitale Transformation“.

 

Titelbild: Der Digital Hub Region Bonn im Bonner Bonner, der sich zu einem Hotspot für Innovation entwickelt hat.
Fotos: ©digitalhub.de/sorkin, HWPartners AG, P. M. J. Rothe