Daniel J. Kress ist Geigenbaumeister. Doch das letzte Mal, dass er eine Geige neu gebaut hat, ist schon lange her. Vielmehr hat er sich darauf spezialisiert, alle Arten von Streichinstrumenten zu reparieren, zu restaurieren – und zu begutachten. Der Kölner Handwerksmeister leistet Profilerarbeit, was Baujahr und Herkunft der Instrumente betrifft, deckt Widersprüche in den Angaben auf und analysiert stilistische Eigenheiten. Das, was er herausfindet, wird in einer Datenbank systematisiert. Im Mittelpunkt von Kress‘ Arbeiten steht der Kontrabass. Die mächtigen Instrumente haben es ihm besonders angetan. Wir haben Daniel J. Kress in seiner Werkstatt getroffen und mit ihm über seinen ungewöhnlichen Beruf gesprochen.

In einem Altbau in Köln, ein paar Treppen hoch, liegt die Werkstatt von Daniel J. Kress. Auf der Werkbank liegt eine Geige, die heruntergefallen und bei der der Hals gebrochen war. Er repariert sie gerade für eine Freundin. Die Linienführung des Holzes hat er aufgenommen und genau nachgearbeitet. Auf dem Instrument wird man wieder spielen können, als wenn nichts passiert wäre. Unter der Decke hängen Violinen in allen Größen an Drähten. Eine Auswahl an verschiedenen Bögen schmückt die Wand. In einem Nebenzimmer kann man sich kaum bewegen. In Reih und Glied steht dort ein Kontrabass neben dem anderen – aufrecht, groß und mit langen Hälsen.

Ein sehr eindrucksvoller Anblick …
Ja, hier stehen Kontrabässe aus ganz Europa. Gerade habe ich einen aus Madrid erhalten. Es sind unter anderem historische Instrumente, die ich angekauft habe und die von mir restauriert wiederverkauft werden. Außerdem haben wir hier viele Instrumente, die als Kommissionsware von mir weiterverkauft werden.

Daniel J. Kress , Geigenbaumeister im Kölner Stadtteil Braunsfeld
Daniel J. Kress , Geigenbaumeister im Kölner Stadtteil Braunsfeld

Stichwort „historisches Instrument“: Falsche Angaben wie das Baujahr sind im Geigenbau nicht ungewöhnlich.
Das ist richtig. Aber mittlerweile gibt es ein feines Netz von Fachleuten, die die Herkunft alter Instrumente vollständig belegen können. Das betrifft nicht nur die Vorbesitzer, sondern auch das Alter und die Region, in der das jeweilige Instrument hergestellt worden ist. Diese Recherche gehört derzeit zu meinen Hauptaufgaben.

Wie gehen Sie dabei vor?
Zunächst einmal muss man über langjährige Erfahrung und historisches Wissen zum Beispiel über Handelsbeziehungen und Handelswege verfügen, sodass man auf eine innere Datenbank zugreifen kann, die erste Hinweise darüber gibt, ob das Instrument aus Deutschland, Frankreich oder England kommt. Oder könnte es italienisch sein? Ich forsche dann in diese Richtung weiter. Ich untersuche das Holz, kann dadurch feststellen, wo der Baum herkam und wie alt er war. Aus der Erfahrung heraus kann ich sogar sagen, in welcher Region das Holz des Baums verwendet wurde. Außerdem geht es um stilistische Merkmale, den Verlauf von Wölbungen oder die Art der Holzverbindungen.

Welche Hölzer eignen sich für den Bau von Streichinstrumenten?
Das sind vor allem Ahorn und Fichte, die in den bayerischen Alpen häufig vorkommen. Dadurch hat sich in Süddeutschland, speziell in Mittenwald, der Geigenbau entwickelt. Die sogenannte Mittenwalder Schule ist die Wiege des Geigenbaus und fußt auf einer 300-jährigen Geschichte. In dem Ort selbst stehen heute noch Häuser, in denen die größten Geigenbauer, die es je gab, gewohnt haben. Die Art, wie dort Geigenbau gelehrt wird, ist etwas Besonderes.

Sie haben in der „Staatlichen Berufs- und Berufsfachschule Mittenwald“ Ihre Ausbildung absolviert …
Ja, ich war 17 Jahre alt, als ich meine Ausbildung in Mittenwald begonnen habe. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich die Inhalte, die dort vermittelt wurden, für meinen heutigen Arbeitsschwerpunkt, die Forschung, einmal benötigen würde. Ich habe dort unten so viel Wissen angesammelt, das ich jetzt abrufen kann, wenn ich beispielsweise feststellen muss, ob alle Teile eines Instrumentes original sind.

Bauen Sie noch selbst?
Ich komme kaum noch dazu. Aber, wenn ich einen solchen Auftrag annehme, dann habe ich den Anspruch, ein Instrument zu bauen, das für den Kunden tauglich ist. Aber in erster Linie restauriere ich bzw. arbeite im Bereich der Forschung. Das ist meine Spezialität.

Das heißt aber, Ihre Instrumente werden immer auf den jeweiligen Musiker zugeschnitten …
Genau. Der Kunde erklärt mir beispielsweise, wie er spielt oder welche Klangvorstellungen er hat; ob er Solist ist oder im Orchester spielt. Dann baue ich oder restauriere das Instrument so, wie er es gerne hätte und nutzen kann. Wenn man einen Kunden hat, der sich vor dem Orchester musikalisch durchsetzen muss, dann muss sein Instrument anders sein als das eines Kammermusikers.

„Dem Mann, der die Geige baut, dankt allein der Klang.“

Friedrich II., der Große (1712 – 1786), preußischer König, der „Alte Fritz“

Könnten Sie eine Stradivari nachbauen?
Das ist eine Riesenthema. Eine Stradivari ist etwas ganz Besonderes. Ich vergleiche sie immer mit Leonardo da Vinci. Er hat Dinge erfunden, die völlig außerhalb seiner Zeit waren. Seiner Erkenntnis hat man sich jedoch später bedient. So ist das auch mit einer Stradivari. In ihr steckt eine Idee. Ich würde keine Stradivari nachbauen, sondern eine Kress-Geige bauen, die auf dieser Idee basiert.

Was ist das Besondere an einer Stradivari?
Da kommen viele Komponenten zusammen. Stradivaris sind ungefähr zwischen 1680 und 1730 gebaut worden. Stradivari war ein genialer Künstler. Was er geschaffen hat – funktionell und ästhetisch –, das ist unglaublich. Die Musikszene hat sich um seine Instrumente herum entwickelt. Es gab neben Stradivari andere wunderbare Geigenbauer, aber die haben sich nicht so durchgesetzt. Stradivari ist sich immer treu geblieben. Man kann eine Stradivari von 1705 mit einer von 1730 vergleichen und sie zuordnen. Das ist genial. Letztendlich ist die Frage schwer zu beantworten. Manche verweisen auf das Material, das für eine Stradivari verwendet wurde. Das haben andere jedoch auch verbaut. Es gibt viele Erklärungen, warum gerade Stradivari so einzigartig war oder immer noch ist. Es gibt nicht die eine Antwort darauf. Ich könnte eine exakte Kopie einer Stradivari machen, aber ihr würde die Historie fehlen. Wenn man eine sehr gut funktionierende Geige bauen möchte, kann man sich an Stradivari orientieren, aber zusagen „ich mache eine Kopie einer Stradivari“, das schmälert das eigene Können. Wenn ich eine Geige baue, dann ist es immer eine Kress-Geige.

Was macht Sie dann am meisten stolz?
Im besten Fall, dass man, wenn man mehrere Geigen nebeneinander hat, meine Geige als Kress-Geige zuordnen kann. Faszinierend ist immer wieder, dass die Menschen an eine Kress-Geige eine bestimmte Erwartung haben. Dabei habe ich, wie schon gesagt, viele Jahre keine mehr gebaut. Das hat etwas mit meinem Ruf zu tun, der auf einem sehr hohen Anspruch beruht. Dieser steht immer an erster Stelle, egal, ob der Kunde das erwartet.

Daniel J. Kress Geigenbaumeister

Was muss man als Geigenbauer mitbringen?
Man muss schöne Dinge als solche erkennen und sie abspeichern. Man muss natürlich auch handwerklich begabt sein. Wenn man ein Instrument baut, dann muss man beides verbinden.

Wie lange bauen Sie an einer Geige?
Für eine Geige brauchen wir etwa 150 Stunden und für ein Cello 350 Stunden. Und das ist die Crux an der Geschichte. Man muss sich erst einmal 350 Stunden freischaufeln.

Gibt es einen Künstler, für den Sie gerne einmal eine Geige bauen würden?
Das kann ich ebenfalls nicht so einfach beantworten. Ich bewundere ein paar Künstler sehr, aber es ist nicht mein Ziel, für sie Instrumente zu bauen. Ich möchte Instrumente bauen, die sich personalisieren lassen. Das heißt, Instrument und Musiker müssen eine Einheit bilden, egal, wie der Musiker heißt. Es ist wichtig, wenn man ein Instrument baut, welche Persönlichkeit es spielen wird. Wenn ich ein Instrument gebaut und verkauft habe, ist das für mich wie eine Patenschaft. Ich erwarte, dass der Kunde, wenn das Instrument ein „Wehwehchen“ hat, mich wieder einen Blick darauf werfen lässt. Eine Geige ist für mich kein Produkt, das ich verkaufe und von dem ich möglichst viele herstelle, um möglichst viele zu verkaufen.

Wie sind Sie zu dem Beruf gekommen?
Ich wollte schon immer Geigenbauer werden. Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich mit neun Jahren das erste Mal gesagt habe, dass ich Geigenbauer werden möchte. Dann habe ich mich später in Mittenwald an der Schule beworben und bin dann tatsächlich bei 500 Bewerbern und nur zwölf Plätzen genommen worden. Meine Eltern konnten meinen Berufswunsch nicht wirklich nachvollziehen, haben mich aber unterstützt, weil sie gesehen haben, dass ich ein Ziel hatte.

Wie alt waren Sie, als Sie Ihre erste eigene Geige bekommen haben?
Da war ich fünf Jahre alt. Mit zwölf Jahren habe ich dann meine erste Geige in Erwachsenengröße bekommen. Mein Vater kaufte sie mir. Sie war richtig gut. Mit 23 habe ich das erste Mal eine Geige gebaut, die ich für besser hielt als meine eigene. Heute habe ich kein eigenes Instrument mehr, da ich zu jedem Instrument, das ich kaufe und in dem ich Potenzial erkenne, eine persönliche Beziehung aufbaue. Wenn ich dieses Instrument fertig restauriert habe, ist es genau das, mit dem ich am meisten anfangen kann. Wenn ich es dann verkaufe, verkaufe ich ein Stück von mir.
(Susanne Rothe)

geigenbau-kress.de

Fotos: P. M. J. Rothe (5)