Architekten bauen Häuser und Architekturfotografen fotografieren sie – schwarz-weiß und in Farbe. Klingt ganz einfach. Wenn man mit Christa Lachenmaier spricht, stimmt diese Aussage aber nicht so ganz. Sie versteht sich vor allem als Interpretin und weniger als Dokumentarin von Gebäuden. Die Architekturfotografin spricht mit uns darüber, welche Rolle Zeit und Geduld spielen, wie sie die richtige Perspektive findet, und über Häuser, die sie einmal besonders gerne fotografieren möchte.
Interview: Peter Rothe
Wie sind Sie zur Fotografie und speziell zur Architekturfotografie gekommen?
Ich habe immer sehr gerne fotografiert und auch die Architektur hat mich fasziniert. Trotzdem habe ich erst einmal ein paar Semester Chemie studiert – bis ich gemerkt habe, dass dieses Studium nichts für mich ist. Ich habe dann an der Hochschule Darmstadt Fotografie und Design studiert. Zur Architekturfotografie bin ich aber letztendlich durch meine Schwester gekommen. Sie ist selbst Architektin.
Was fasziniert Sie an Architektur?
Mich spricht vor allem die Wirkung der Gebäude auf Menschen an. Ich finde es extrem wichtig, dass sich Menschen in Gebäuden wohlfühlen, und es beeindruckt mich, wie Architekten das schaffen. Manchmal sind es nur Details, die über Wohlfühlen und Nicht-Wohlfühlen entscheiden. Damit sind wir bei der Form. Gebäude, die spannend gestaltet sind und eine besondere Wirkung hervorrufen, sind für mich sehr faszinierend. Dazu fällt mir das Gebäude von thyssenkrupp in Essen ein. Dort gibt es einen Raum der Stille und ich hatte das Glück, alleine hineingehen zu dürfen. Dieser Raum hatte eine ganz besondere Wirkung auf mich, die ich nicht mit Worten beschreiben, aber in einem Foto zeigen kann.
„Es ist wichtig, sich für das Gebäude Zeit zu nehmen. Man braucht viel Geduld und muss sich darauf einlassen, um die richtigen Perspektiven zu finden.“
Welche Eigenschaften zeichnen einen guten Architekturfotografen aus?
Es ist wichtig, sich für das Gebäude Zeit zu nehmen. Man braucht viel Geduld und muss sich darauf einlassen, um die richtigen Perspektiven zu finden. Mir wird zum Beispiel öfters von Architekten gesagt, dass sie das Gebäude, wie ich es abgebildet habe, noch gar nicht so gesehen haben. Man muss also einen Blick selbst für feinste Details und Linien haben.
Heißt das, Sie verstehen sich nicht als Dokumentarin, sondern als Interpretin?
Auf jeden Fall. Natürlich muss man die Wünsche der Architekten berücksichtigen, es ist ja – im positiven Sinn – zum Teil Wahnsinn, welche Gedanken, sie sich gemacht haben und welche Materialien verarbeitet wurden. Daneben lasse ich es mir nicht nehmen, frei durch die Gebäude zu gehen, Licht wirken zu lassen und zu schauen, was ich dort alles entdecke. Meine Bilder zeigen den Charakter eines Gebäudes und der macht sich nicht nur an den äußeren Linien fest.
Mit dem Wandel des Lichts verändert sich auch ein Gebäude über den Tag, wie lernen Sie ein Gebäude kennen?
Ich gehe ein neues Projekt so an, dass ich zunächst gemeinsam mit dem Architekten einen Rundgang mache und mir anhöre, was ihm wichtig ist. Dann gehe ich alleine umher, setze mich auch schon einmal irgendwo hin, beobachte die Lichtverhältnisse und lasse das alles auf mich wirken. Das mache ich an mehreren Tagen und überlege mir erst dann, was ich wann fotografiere. Manchmal arbeitet aber auch der Zufall für mich und liefert mir die Motive.
Wie würden Sie selbst Ihren Stil beschreiben?
Das ist schwer zu sagen und von daher überlasse ich das lieber dem Betrachter, was er in meinen Bildern sieht.
Sind für Sie als Fotografin Gebäude interessanter als Menschen?
Nein, beides ergänzt sich. Natürlich ist mir, wie ich gerade erklärt habe, die Formensprache mit allen ihren Facetten sehr wichtig. Aber eines meiner wichtigsten Bilder ist das Porträt einer Afar-Frau in der Wüste von Äthiopien. Es zeigt einen ganz kurzen Moment in dem Leben dieser Frau, aber der ist äußerst intensiv. Aber es gibt natürlich auch Gebäude, wie das von Mies van der Rohe in Berlin, die mich sehr geprägt haben.
Welche Rolle spielen dann Menschen in Ihrer Architekturfotografie?
Eine ganz große. Dabei geht es darum, zum einen darzustellen, wie groß oder klein ein Gebäude im Vergleich zum Menschen ist. Aber auch darum, zu zeigen, dass Gebäude in der Regel für Menschen gemacht sind – von Menschen für Menschen. Manchmal würde ich mir Komparsen wünschen, dann hat man keine Probleme mit Bildrechten. Es belebt die Bilder, wenn man Menschen zeigt.
Was muss ein Bild haben, damit Sie zufrieden sind?
Meine Ansprüche an mich selbst sind relativ hoch. Das heißt, ich bin mit mir auch oft unzufrieden. Ich bin froh, wenn ich aus einem Projekt zwei bis drei Bilder mitnehme, von denen ich sagen kann: „Die sind es.“ Ich kann das gar nicht an bestimmten Punkten festmachen, ich glaube, solche Bilder müssen das Gefühl, das ein Raum oder ein Haus in mir auslöst, widerspiegeln.
Sind Sie manchmal überrascht, wenn Sie die Bilder fertig sehen, oder haben Sie eine genaue Vorstellung, wie sie aussehen werden, wenn Sie fotografieren?
Es gibt auch Überraschungen, aber in der Regel habe ich die Bilder, wenn ich auf den Auslöser drücke, fertig im Kopf. Ich versuche meine Bilder so zu machen, dass ich mit ihnen das transportiere, was ich mir vorher vorgestellt habe. Anders ausgedrückt: Ich versuche so zu fotografieren, wie ich das Bild haben möchte.
„Ich benutze Tilt-Shift-Objektive wegen der Verstellmöglichkeiten und Perspektivkorrektur, die diese Objektive ermöglichen.“
Gibt es Gebäude, die Sie besonders lieben?
Wieder das Haus von Mies van der Rohe in Berlin. Das thyssenkrupp Quartier in Essen, das von Chaix & Morel et Associés und JSWD Architekten geplant und realisiert wurde. Oft sind es aber auch Museen, die mich begeistern. Ich war zum Beispiel im Vitra-Museum in Weil am Rhein. Dieses Ensemble finde ich einfach großartig.
Sind Sie Bauhausfan?
Ja, auch. Ich wohne interessanterweise in einem ganz einfachen Gebäude, was aus der Bauhauszeit stammt und auch den Bauhausstil ein bisschen aufgreift.
Haben Sie fotografische Vorbilder?
Nicht wirklich. Ich schaue mir natürlich Seiten von Kollegen an und dann denke ich: „Das kannst du auch.“ Es gibt Fotografen, die mich begeistern, aber in der Architekturfotografie gibt es keinen, von dem ich sage: „Der ist mein Vorbild.“
Eine technische Frage: Arbeiten Sie analog oder digital?
Ich fotografiere digital, ähnlich wie Sie. Ich benutze Tilt-Shift-Objektive wegen der Verstellmöglichkeiten und Perspektivkorrektur, die diese Objektive ermöglichen. Das Ergebnis sind oft außergewöhnliche Bildausschnitte.
Sie machen also Kleinbild …
Ich habe früher viel analog und Großbild gemacht. Aber digital hat den Vorteil, dass man viel schneller und die Bildbearbeitung einfacher ist. Ich habe mich mit dem Umsteigen lange schwer-getan, aber heute fotografiere ich nur noch für private Projekte analog.
Wie stark bearbeiten Sie Ihre Fotos nach?
Es kommt ganz aufs Bild an, manche werden mehr, andere weniger bearbeitet.
Was ist mit HDR*?
Das ist mir zu übertrieben, zu künstlich. Ich montiere nicht aus sieben Bildern eines. Wobei das in der Architekturfotografie gar kein Problem wäre. Die Konkurrenz ist – nicht zuletzt durch die Digitalisierung – sehr groß.
Wie besteht man in diesem Markt?
Durch die ausgefeilte Technik denken heute viele Leute, sie könnten fotografieren. Man muss sich dann einfach, etwas einfallen lassen. Grundsätzlich kann man sagen, alle Fotografen haben es schwer.
* HDR (High Dynamic Range) sind Hochkontrastbilder, die große Helligkeitsunterschiede detailreich wiedergeben. HDR-Bilder können aus einer Belichtungsreihe von Fotos mit niedrigem Dynamikumfang (Low Dynamic Range, LDR) rekonstruiert werden.
Also macht Kreativität den Unterschied?
Ja genau, und in dem Moment wird die Technik zum reinen Handwerkszeug.
Wenn Sie durch eine Stadt gehen, haben Sie die Kamera immer dabei?
Ich habe manchmal eine kleine Handkamera dabei oder eben das Handy. Aber ich schleppe meine Spiegelreflexkamera nicht immer überall mit.
Was war das letzte Foto, dass Ihnen stark in Erinnerung geblieben ist?
Ich habe vor kurzem in Mülheim an der Ruhr eines gemacht. Dort wird ein Campus gebaut, und da gab es plötzlich eine besondere Stimmung, die ich unbedingt festhalten wollte. In der Mitte des Campus, der insgesamt aus acht Baukörpern besteht, ist ein Würfel, in dem die Bibliothek untergebracht ist. Der sieht zur „blauen Stunde“, also in der Dämmerung, faszinierend aus. Das habe ich fotografiert.
Welches Gebäude möchten Sie auf jeden Fall noch ablichten?
Mich hätte ein Gebäude von Zaha Hadid sehr gereizt: die Oper von Guangzhou, aber da werde ich vermutlich nicht hinkommen.
Haben Sie einen Lieblingsarchitekten?
Eigentlich nicht. Es gibt viele, die ich gut finde. Aber wenn ich einen nennen muss, ist das der brasilianische Stararchitekt Oscar Niemeyer.
Christa Lachenmaier studierte an der FH Darmstadt Kommunikationsdesign. Ihre Diplomarbeit „Haus der Gelehrsamkeit“ (1992) wurde im ZEIT magazin publiziert. Während und nach dem Studium assistierte sie verschiedenen Werbefotografen. Seit 1992 arbeitet sie selbständig in den Bereichen Architektur, Porträt, People und Reportage für Agenturen, Unternehmen und Verlage. Veröffentlicht wurden ihre Arbeiten im SZ Magazin, ZEIT magazin, Horizonte, Chrismon, Christopherus Porsche Magazin, VW Magazin, Jovis Verlag, in der Vogue, Elle, InStyle u.a. Im Agenturbereich arbeitet sie mit Scholz & Friends, FCB Wilkens, Team Toastman, DEWE, Stählingdesign u.a. zusammen. Zu den Kunden gehören Alcatel, Behr, FAZ, Haushahn, Viastore, EZB, Center for Financial Studies, Uni Frankfurt, Deutsche Welthungerhilfe, GTZ u.a. Von 1998 bis 2002 war sie Mitglied der Fotografenagentur Bilderberg in Hamburg. 2002 wechselte sie zur Fotografenagentur laif in Köln. Während des Studiums verlegte sie den Lebensmittelpunkt nach Berlin, seit 1999 lebt sie in Köln.
Fotografien von Christa Lachenmaier sind derzeit in der Ausstellung „hautnah“ in der Galerie des Rotonda Business-Clubs in Köln zu sehen. Die Ausstellung zeigt – bildhaft abstrahiert – Fassadenausschnitte von Projekten von JSWD Architekten (Köln).
Fotos: Christa Lachenmaier (4), S. Rothe