Köln, Dürener Straße: Die Autos rasen. Eins hinter dem anderen. Rechts und links liegen Gewerbebetriebe. Mittendrin die „Wildkräuterei Köln“ – eine unglaubliche 4.000 Quadratmeter große Idylle in der Großstadt. Wilde Natur, die zugänglich gemacht wurde und bis auf präzise hineingemähte Wege so bleiben darf, wie sie ist. Jenseits der Wege ist daher auch das Betreten verboten. Ab und an gibt es kleine Sitzinseln, umgeben von Wiesenbärenklau, Giersch, Spitzwegerich und Co. Natur pur, die vergessen lässt, wo man ist. Die Wildkräuterei ist allerdings nicht nur ein Paradies für wild wachsende Pflanzen, sondern bietet Seminare und Workshops an, in denen man diese kennenlernt und erfährt, wie und zu was sie verarbeitet werden können. Mica Frangenberg, Gründerin und Leiterin der Wildkräuterei, zertifizierte Kräuterpädagogin, WildkräuterPraktikerin, hat uns ihre Welt der wilden Kräuter nahegebracht.
Was sind Wildkräuter und welches Potenzial steckt in ihnen?
Eine kurze Frage, aber es sind schon ganze Bücher über dieses Thema geschrieben worden. Ich vergleiche Wildkräuter gerne mit Lebensmitteln aus dem Supermarkt. Meiner Meinung nach kommt ein Supermarktsalat nicht gegen ein Wildkraut an. Wildkräuter produzieren ihre für uns wertvollen Inhaltsstoffe in erster Linie, um sich den Unwägbarkeiten der Natur zu widersetzen. Sie sind für deren Überleben gemacht. Ein Supermarktsalat braucht solche Inhaltsstoffe nicht, dem geht es immer gut, weil er von uns Menschen versorgt wird, um ihn kümmert man sich, er hat keimfreie Erde, er braucht gar nichts. In ihm ist daher nichts drin, was uns guttun würde. In einem Wildkraut aber alles.
Ist das der große Unterschied zu Kulturpflanzen?
Ich denke, es kommt darauf an, wie ein Bauer wirtschaftet, je nachdem hat er auch Pflanzen, in denen mehr gesundheitlich gute Inhaltsstoffe enthalten sind. Satt wird man von beiden. Allerdings ist man bei Supermarktsalat inhaltsstofflich etwas unterernährt.
Welche Kräuter wachsen hier?
In der Wildkräuterei gibt es alle Kräuter, die auch in der Stadt wachsen. Ich kann Ihnen jetzt nicht alle 5.000 Kräuter, die wir hier haben, aufzählen. Für mich persönlich gehört zu den wichtigsten der Löwenzahn. Ihn kennt jeder. Er wird allerdings immer etwas unterschätzt. Er ist eine superwichtige Pflanze, weil er nicht nur lecker, sondern auch sehr gesund ist. Er ist gut für die Verdauung, für die Leber und eignet sich hervorragend für eine Frühjahrskur. Eine andere für mich sehr wichtige Pflanze ist der Wiesenbärenklau. Er ist mein wildes Lieblingsgemüse.
Wie schmeckt es?
(Begeistert) Lecker. Superwürzig. Einfach ganz köstlich.
Was macht man daraus?
Als Salat eignet er sich nicht, weil er haarig ist. Ansonsten ist er einfach für alles zu gebrauchen. Mein Lieblingsgericht ist eine Quiche. Ich dünste ihn aber auch in der Pfanne mit ein paar Zwiebelchen, Tomaten und ein bisschen Knoblauch an. Man kann von ihm die Blätter und die dicken Stiele verwenden. Er ist ein richtig fettes Gemüse aus der Natur.
Um noch einmal auf den Löwenzahn zurückzukommen, kann ich von ihm alles essen?
Ja, alles, und damit meine ich auch die Wurzeln. Die jungen Blätter eignen sich gut für Salat. Aber er lässt sich auch kochen, dünsten, man kann aus ihm eine Quiche machen. Aus den Blüten kann man herrlichen Honig herstellen. Die Wurzeln verarbeiten wir in allen Kräuterlikören als bittere Note. Wir stellen aus ihm auch den sogenannten Muckefuck her. Diese Pflanze ist ein echter Tausendsassa.
Gibt es Unkräuter?
Das Wort benutzen wir nicht.
Woher kommt Ihre große Begeisterung für Wildpflanzen?
Ich begleitete vor einigen Jahren eine Kräuterpädagogin in der Eifel. Ließ mir Wildkräuter erklären, sammelte, schnüffelte und schmeckte. Und da gab es eine Sekunde, da wusste ich: Das ist mein Thema. Ich habe dann ebenfalls eine Weiterbildung zur Kräuterpädagogin gemacht.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, mitten in Köln die Wildkräuterei aufzumachen?
In dem Moment, als ich die Ausbildung gemacht habe, lag mein Weg vor mir. Parallel zur Ausbildung habe ich dann nach einem geeigneten Gelände gesucht, auf dem ich Seminare halten kann. Dass ich es vor 15 Jahren in dieser alten Gärtnerei gefunden habe, war Zufall. Hier wachsen nur Pflanzen, die die Natur selbst dorthin gebracht hat.
Wie pflegeintensiv oder pflegeleicht ist das Gelände?
Ich möchte mal so antworten. Ich habe mittlerweile zum Glück einen Gärtner, der sich hier intensiv einbringt. Die Natur versucht, sich alles zurückzuholen, was man ihr mühsam abgerungen hat. Das Gelände so in Schuss zu halten, dass sich die Menschen überhaupt in der Natur bewegen können, ist sehr pflegeintensiv. Und wir mähen nur Wege in die Natur.
Mit welchem Ziel sind Sie an dieses Projekt herangegangen?
Ich möchte Menschen befähigen, aus ihrem Wissen heraus Dinge zu tun, die man nicht bezahlen muss.
Auf was muss man achten, wenn man einen solchen Garten selbst anlegen möchte?
Man muss nur Geduld haben und die Natur machen lassen.
Kann ich in der Stadt unbedenklich Wildkräuter pflücken?
Nö, es gibt No-Gos, wo man auf gar keinen Fall pflücken sollte. Beispielsweise direkt an der Straße oder auf Hundewiesen.
Ist es mit Wildkräutern wie mit Pilzen: Finger weg von denen, die ich nicht kenne.
Ja genau. Die größte Schwierigkeit ist, die guten Kräuter von den nicht so guten zu unterscheiden. Es gibt eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Kräutern, die höchst problematisch sind. Von Schierling zum Beispiel sollte man auf jeden Fall die Finger lassen. Sokrates ist mit nur einer Tasse Tee vergiftet worden. Die Herkulesstaude kann zu Verbrennungen auf der Haut führen. Ahornstab sieht Bärlauch ähnlich, macht aber für einige Stunden eine taube Zunge. Ohne entsprechendes Wissen sollte man keine Wildkräuter sammeln.
Wie verarbeite ich die Kräuter?
Sie sind vielseitig einsetzbar: in der Küche, Medizin, in der Kosmetik … Doch auch Pflanzen, die nicht genutzt werden können, haben ihre Daseinsberechtigung. So sorgen sie mit für gute Luft.
Themen wie Nachhaltigkeit und bewusste Ernährung sind in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Spüren Sie ein größeres Interesse an Ihrer Arbeit?
Ja, der Zulauf ist sehr groß und es sind ganz unterschiedliche Menschen, die zu uns kommen.
Bei Ihren Kursen können die Teilnehmer alles zum Thema Wildkräuter erfahren. Welche Kurse bieten Sie aktuell an?
Wir haben ein sehr großes Angebot – vom zweistündigen Spaziergang durch den Garten bis zu Kochkursen. Sie können bei uns Seifen herstellen, lernen, Dips zu machen. Alle Kurse und Workshops findet man im Internet.
Sie bieten auch einen Zertifizierungslehrgang zum/zur WildkräuterPraktiker*in an. Was ist das?
Die Teilnehmer lernen, Pflanzen zu bestimmen und voneinander zu unterscheiden. Außerdem lernen sie alte, aber auch moderne Methoden zur Herstellung von gesunden Wildkräuterprodukten kennen. Man erfährt, was es heißt, mit der Natur zu sein und Dinge unentgeltlich selbst zu tun. Als WildkräuterPraktiker*in ist man in der Lage, selbständig Angebote rund um das Thema Wildkräuter zu entwickeln und anzubieten. Dies können Spaziergänge und Exkursionen in die Natur sein sowie Workshops. Die Teilnehmer können später, wenn sie möchten, kulinarische, kosmetische oder heilkundliche Kurse anbieten.
Zum Abschluss: Welches ist Ihr aktuelles Lieblingsrezept aus der heimischen Natur?
Das ist die Wiesenbärenklauquiche.
(Susanne Rothe)
Fotos: P. M. J. Rothe (7)