„Ich will nicht ahrtypisch sein.“

Alexander Stodden ist Chef des Weinguts Jean Stodden in Rech an der Ahr. Er betreibt das Gut bereits in fünfter Generation. Die Weinberge und den Keller kennt er von klein auf, hat beides auf Kinderbeinen schon genau erkundet. Die Frage, welchen Beruf er einmal ergreifen solle, stellte sich für ihn nie. Jura zum Beispiel, erzählt er, wäre nichts für ihn gewesen. BWL auch nicht. Stodden ging stattdessen nach Geisenheim und studierte dort Önologie. Er liebt seinen Beruf, der immer noch so spannend ist wie am ersten Tag. Mit den Launen der Natur leben, etwas produzieren, anpacken, dreckig werden – das macht ihm Spaß. Und der Winzer, der fast ausschließlich Spätburgunder herstellt, ist gut in dem, was er macht. Der 2020er ist gerade geerntet und Stodden ist zuversichtlich, dass es nicht der schlechteste Jahrgang werden wird. Mehr möchte er aber noch nicht sagen …
Alexander Stodden vom Weingut Jean Stodden
Alexander Stodden vom Weingut Jean Stodden,
© Marco Rothbrust Fotografie

Herr Stodden, wie war die Lese?
Ich bin fertig. Die Lese war super! Zwar nicht wie früher zeitlich entspannt, sondern es war wieder einmal ein Turbo-Herbst. Das ist leider in den vergangenen Jahren keine Ausnahme mehr.

Woran liegt das?
Am Wetter. Oder können Sie sich erinnern, dass es Anfang September mal 35 Grad warm war? 20 Grad ja, aber 35 Grad? Und da waren wir lesen. Die Trauben mussten schneller vom Stock weg, als sie eigentlich sollten. Darunter leiden die Trauben zwar nicht, aber das Gemüt des Winzers.

Was geschieht gerade in Ihrem Keller?
Im Keller geschieht noch nichts. Wir pressen die Trauben gerade und dann erst kommt alles in den Keller. Es ist bei uns anders als in einem Weißweinbetrieb. Wir machen Rotwein und haben daher Zeit.

Kann man schon eine Aussage über die Qualität des neuen Weins treffen?
Nein, das ist viel zu früh. Es wird auf jeden Fall nicht der schlechteste Jahrgang werden, den ich jemals produziert habe. Die Qualität der Trauben ist super. In welche Stilrichtung der Wein gehen wird, dazu kann ich noch nichts sagen.

Was ist typisch für die Weine Ihrer Region?
Wenn man vom typischen Ahrwein spricht, dann gehöre ich nicht dazu. Aber es ist auch immer die Frage, was typisch ist. Was ist zum Beispiel das typische Essen an der Ahr? Wenn man Döppekoche sagt, ist der auch von Dorf zu Dorf unterschiedlich. Ich sträube mich von „irgendetwas ist ahrtypisch“ zu sprechen. Ich will nicht ahrtypisch sein.

Herrenberg Rotwein Weingut Jean Stodden
Recher Herrenberg Spätburgunder GG
Die handgelesenen und streng selektierten Spätburgunder werden 21 Tage auf der Maische vergoren. Der biologische Säureabbau findet im Barriquefass statt. Der Recher Herrenberg wird 19 Monate in 100 % neuen Barriquefässern ausgebaut und gelagert.
© Marco Rothbrust Fotografie

Warum sind Sie anders?
Weil ich keine leichten, einfach zu trinkenden Weine mache. Ich mache Weine für ein internationales Format und nicht für das, wofür die Ahr immer noch in vielen Köpfen steht: für den Tourismus, der sich nur aufs Trinken beschränkt.

Warum machen Sie fast ausschließlich Rotweine?
Weil ich nichts anderes kann. Nein, das war ein Scherz. Man muss sich auf eines spezialisieren. Beispiel Zehnkämpfer: Der kann viele Sportarten gut, aber nicht eine sehr gut. Ich möchte die Leistung nicht schmälern. Aber ich spezialisiere mich lieber nur auf eine Traubensorte, die ich dann perfekt beherrsche. Mein Ziel ist der Weltrekord, um beim Bild des Sports zu bleiben.

Warum haben Sie sich dann den Rotwein ausgesucht?
Weil ich keinen Weißwein mag. Ich habe in Geisenheim studiert und habe nach jedem Winzerfest drei Tage leiden müssen, weil ich Sodbrennen hatte. Mir liegt Rot viel mehr. Ich will nicht sagen, das ist mir als Ahrwinzer in die Wiege gelegt worden. Aber ich habe diese Neigung ausgebaut. Mein Opa hatte noch 25 Prozent Weiß, man Vater hat es auf 10 Prozent reduziert, ich habe nur noch 2 Prozent.

„Spätburgunder ist die Königin unter den roten Rebsorten.“

Sie bauen ausschließlich Spätburgunder an. Wieso die Rebsorte?
Was soll ich sonst anbauen? Cabernet Sauvignon oder Merlot – damit ich mit allen anderen dieser Welt vergleichbar bin? Cabernet Sauvignon wächst überall, wo genug Sonne ist. Spätburgunder wächst nicht überall und erfordert ein bisschen Fingerspitzengefühl. Spätburgunder ist die Königin unter den roten Rebsorten. Wer als Weinmacher etwas auf sich hält, der versucht irgendwo ein Fleckchen Erde zu finden, wo er Spätburgunder anbaut, nur um zu zeigen, dass er es kann.

Was ist das Besondere an der Rebsorte?
Sie bringt von sich aus nicht viel Farbe. Sie hat eine dünne Schale, sie fault leicht im Weinberg, sie ist ein Krüppel im Anbau und sie reagiert sehr darauf, dass man ihr die Menge reduziert, um Qualität zu erzeugen.

Das heißt, Sie machen eine grüne Lese?
Genau, wir schneiden bis zu einem Drittel der Trauben herunter. Pro Hektar kommen wir dann auf ungefähr 3.000 bis 4.000 Liter. Erlaubt sind 10.000 Liter.

Wieviel Hektar haben Sie insgesamt, auf denen Sie Burgunder anpflanzen?
8,5 Hektar.

Von?
Neun Hektar.

Was wächst auf dem Rest?
Riesling.

Weingut Jean Stodden Weinflaschen
© Marco Rothbrust Fotografie

Auf Ihrer Homepage steht: „Mein Ziel ist es, jedes Jahr ein bisschen besser zu werden und den perfekten Spätburgunder auf die Flasche zu bringen!“ Ist Ihnen das bereits gelungen?
(lacht) Ich arbeite noch daran.

Was macht für Sie einen perfekten Burgunder aus?
Er muss von vorne bis hinten im Mund ohne Ecken und Kanten laufen. Es muss ein Wein sein, den man trinken möchte. Es gibt Weine, von denen trinkt man ein Glas und es ist genug. Und es gibt Weine, die trinkt man und plötzlich ist die Flasche leer, ohne dass man es wirklich gemerkt hat. Ein guter Wein muss Trinkfluss haben. Das ist das Wichtigste.

Was halten Sie von der Aussage: Der Wein wird im Berg gemacht und nicht im Keller?
Das ist definitiv so. Das heißt, wenn die Trauben nicht das Potenzial für einen großen Spätburgunder mitbringen, dann habe ich als Kellermeister auch nicht viele Möglichkeiten, aus ihnen doch einen zu machen. Die Trauben, die ich habe, sind meine Qualität, die es zu erhalten gilt. Den Keller sollte jeder, der Winzer gelernt hat, im Griff haben. Draußen geht es nicht alleine darum, die grüne Lese zu machen, die Blätter zu entfernen und zu gipfeln – ich muss den richtigen Zeitpunkt dafür finden. Und der richtige Zeitpunkt ist jedes Jahr ein anderer.

Weingut Jean Stodden Weinflaschen
© Marco Rothbrust Fotografie
Vinothek Weingut Stodden
Vinothek, © Marco Rothbrust Fotografie

Woran erkennen Sie, dass der richtige Zeitpunkt für diese Arbeiten gekommen ist?
Das entscheide ich über mein Bauchgefühl. Dazu gehört aber auch, dass ich mir die Trauben anschaue.

Wie häufig sind Sie im Weinberg unterwegs und schauen nach den Trauben?
Einschließlich der Lese schaue ich mir jeden Weinstock im Jahr 25-mal an. Dementsprechend kenne ich meine Pappenheimer, zumal wir ja nicht fahren, sondern durch die Weinberge gehen.

Welchen Ihrer Weine würden Sie einem Ahrrotweinanfänger und welchen einem Kenner empfehlen?
Das ist schwer zu sagen, denn man muss einiges berücksichtigen, wie zum Beispiel, ob derjenige trockene oder liebliche Weine bevorzugt. Weintrinken ist Übungssache, der Geschmack ändert bzw. entwickelt sich. Wenn man Wein probiert, stößt man meistens erst am Ende auf Spätburgunder. Im Vergleich zu internationalen Rebsorten ist der Spätburgunder leicht und elegant. Doch viele bemängeln, er habe keine Farbe. Auf Spätburgunder muss man sich ganz anders einlassen. Die Verspieltheit, seine vielen Facetten, die muss man erst einmal erschmecken.

Was antworten Sie den Kritikern, die die Farbe bemängeln?
Ganz einfach: Wenn sie Farbe möchten, dann sollen sie aus einem schwarzen Glas trinken. Jahrzehntelang hat man den Menschen eingetrichtert, dass nur dunkler Wein auch guter sei. Es gibt Jahre, da habe ich mehr Farbe und in anderen wieder weniger. Es kommt auf die Größe der Trauben an und wie viel Farbstoff in der Haut ist. Spätburgunder hat grundsätzlich nicht viel Farbe. Wenn ich dann auch noch große Beeren habe, also viel Flüssigkeit, habe ich keinen farbintensiven Rotwein. Wir müssen daher daran arbeiten, dass wir kerngesunde und reife Trauben haben. Dann bekommt man auch farbintensive Spätburgunder hin. Im Endeffekt ist die Farbe aber zweitrangig, der Geschmack muss stimmen.

Kann man einen guten Wein für 5 Euro im Supermarkt bekommen?
Nicht von der Ahr.

Kork, Glas oder Schraubverschluss – was bevorzugen Sie und warum?
Kork, das Naturprodukt kennen wir seit ungefähr 2.000 Jahren. Wenn wir die gleichen Erfahrungen mit Glas und Schraube haben, kann ich mich ja immer noch umentscheiden. Wie wirkt es auf einen Gast, der einen sehr guten Wein bestellt hat, wenn der Kellner ihn mit einer Drehung des Verschlusses öffnets? Knack. Im Weißweinbereich ist das alles kein Thema, da ist der Schraubverschluss bis zu einem bestimmten Preis akzeptiert. Bei den großen Gewächsen wird er nicht akzeptiert.

Sie waren lange im Ausland …
Ich war in Südafrika und in Oregon und habe dort auf Weingütern gearbeitet.

Was haben Sie von dort mitgenommen?
Auf dem Gut in Südafrika habe ich gelernt, dass ich niemals so groß werden möchte. Wir haben dort 500 Hektar Weinberg bearbeitet. Aus Amerika habe ich mitgenommen, dass man auch Traditionen hinterfragen kann. Es ging im konkreten Fall um die Herstellung von Eiswein, der auf dem Weingut in Oregon aus Trauben aus dem Kühlhaus produziert wurde. Kerngesunde Chardonnay-Trauben wurden tiefgefroren und gepresst. Das funktionierte. Laut Deutschem Weingesetz muss der Prozess ein natürlicher sein. Aber ist es verwerflich, die Trauben anders zu behandeln?

Und wie haben Sie die Frage für sich beantwortet?
Da ich mit Eiswein nichts zu tun habe, stellt sich die Frage nicht. Mir ist es aber wichtig, immer den Sinn von etwas zu hinterfragen und nicht einfach zu sagen: „Das machen wir schon immer so.“

Welche Konsequenzen hat das für Ihr Unternehmen?
Das sind Kleinigkeiten. Aber ein Beispiel: Man macht keinen Weißwein im Barrique – wir machen es. Die Cuvée de Blanc ist ein ganz untypischer Riesling, der durch den Ausbau im Barrique eine eher burgundische Note erhält. Traditionen sind wichtig, aber man darf sich nicht unter allen Umständen an sie klammern.

Auf welchen Ihrer Weine sind Sie ganz besonders stolz?
Eigentlich bin ich auf jeden stolz. Aber auf den ersten Wein, den ich alleine gemacht habe, bin ich ganz besonders stolz. Ich durfte 2001 das erste Mal einen Wein nach meinem Gusto vinifizieren. Das war die „Next Generation“. Der Wein ist sehr gut eingeschlagen. Der Gault Millau schrieb damals: „Das Beste, was das Haus Stodden zurzeit zu bieten hat.“ 2001 war ein sehr gutes Jahr. Ich hatte also ein bisschen Schützenhilfe von oben. Aber der Wein hat mich schon sehr stolz gemacht. (Susanne Rothe)

stodden.de

Fotos: pixabay.com, Marco Rothbrust Fotografie (5)