Ein Minenarbeiter wendet sich an Levi‘s und möchte seine Jeans umtauschen. Er beschwert sich beim Verkäufer, die Hose hätte gerade einmal drei Jahre gehalten. Nur drei Jahre bei fast täglichem Arbeitseinsatz unter extremen Bedingungen und dann reißt sie! Einfach unerhört so was! Genau, unerhört … Die meisten von uns werden diese Anekdote kaum glauben, denn kaum einer von uns dürfte von so einem aufgebrachten Kunden je gehört haben. Nicht selten kann man heute nämlich froh sein, wenn die Jeans auch nur die Hälfte der angeprangerten Zeit heil übersteht. Dennoch ist die Bluejeans auch nach über 140 Jahren nebst starker Konkurrenz auf der ganzen Welt so beliebt wie eh und je, nur nicht mehr unbedingt als Arbeiterhose.
Der amerikanische Traum …
begann in Deutschland. Am 26. Februar 1829 wurde Levi Strauss, der „Vater“ der Bluejeans, in Buttenheim in Oberfranken als jüngster Sohn eines Hausierhändlers für Tuch- und Kurzwaren geboren. Die neunköpfige Familie besaß in besten Zeiten gerade genug zum Überleben und geriet in existenzielle Schwierigkeiten, als Vater Hirsch Strauss 1846 an Tuberkulose starb. Mutter Rebecca beschloss daraufhin, mit ihren drei jüngsten Kindern nach Amerika auszuwandern, wohin es bereits einige Jahre zuvor ihre ältesten Söhne getrieben hatte, um einen Textilgroßhandel zu gründen. Wie viele andere Aussiedler auch fasste die Familie in New York Fuß. Als dort die Nachricht von ersten Goldfunden in Kalifornien die Runde machte, beschloss Levi noch weiter gen Westen zu ziehen.
Während die meisten Goldgräber versuchten, ihr Glück aus dem Gestein zu schlagen, versorgte Levi ebenjene mit der nötigen Arbeitskleidung. Im Sortiment seines in San Francisco gegründeten Großhandels für Stoffe und Kurzwaren fanden Goldgräber, Minenarbeiter und Pioniere alles, was sie zur Erschließung brauchten: Hosenträger, Knöpfe, Zahnbürsten, Ausgehkleidung und vieles mehr. Ein damaliger Kunde, der aus Lettland stammende Schneider Jacob Davis, erfand ein Verfahren zur Verstärkung der strapazierten Stellen von Hosen mit Nieten. Mit ihm meldete Levi schließlich am 20. Mai 1873 ein Patent für vernietete Arbeitshosen an. Das war die Geburtsstunde der Jeans mit ihren Kupfernieten und robustem Denim.
Der Name „Jeans“
Die Stoffe für seine neuen Hosen bezog Levi aus Webereien in den USA – die berühmteste Produktionsstätte war Cone Mills. Der Name Jeans ist jedoch abgeleitet von der italienischen Stadt Genua – französisch Gênes – aus der Baumwollhosen in die USA importiert wurden. Aus Nîmes in Frankreich stammte der besonders gewebte und mit Indigo blau gefärbte Baumwollstoff, der den „blue Jeans“ ihr bis heute charakteristisches Aussehen gibt. Aus dem Gewebe „Serge de Nîmes“ wurde „Denim“.
Bevor sich die Bezeichnung Jeans im Volksmund durchsetzte, nannte man die reißfeste Baumwollhose übrigens noch „waist overalls“. Und „reißfest“ war nicht nur das Qualitätsversprechen von Levi, sondern auch das von ihm entworfene Markenzeichen, welches fortan auf jede seiner Hosen genäht wurde: Zwei Pferde versuchen die Jeans auseinanderzureißen – vergeblich. Ein genialer Schachzug des Geschäftsmanns, denn in der noch überwiegend analphabetischen (Arbeiter-)Gesellschaft konnte jeder sofort erkennen, warum diese Hose ihr Geld wert sein musste.
Die typischen Merkmale: das rote Label, die Metallknöpfe mit Schriftzug, die Kupfernieten und die Nähte an den Taschen
Howdy sexy!
Die originale 501-Jeans etablierte sich schnell als strapazierfähige Ar-beiterhose und war insbesondere bei Cowboys, Berg- und Eisenbahnarbeitern sowie Holzfällern sehr beliebt. Erstere machten die Jeans in der breiten Bevölkerung bekannt und begehrt. In den 1920ern veränderte sich die weit geschnittene 501 und bekam Gürtelschlaufen, da immer weniger Menschen Hosenträger benutzten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Hose schmaler und auch in Übersee berühmt. Vor allem die Europäer erspähten sie häufig bei den stationierten Soldaten der US-Armee und wollten ebenfalls solche bewährten und zugleich modischen Hosen. Auf die Nachfrage antwortete Levi’s natürlich mit dem (extrem erfolgreichen) Export seiner blauen Baumwollware.
T-Shirt und Shorts – Levi‘s ist mit der Zeit gegangen.
In den 1950ern trugen Hollywood-Ikonen wie Marlon Brando und James Dean die Bluejeans zur Schau und so entdeckte eine ganze Generation von „jungen Wilden“ die eigentliche Arbeiterhose als Mode für sich. Die Jeans avancierte endgültig zum Sinnbild für Jugendlichkeit, Rebellion und Sexappeal, als sich auch Marilyn Monroe 1961 im Film „The Misfits“ in der Männerhose präsentierte. Entsprechende Bewerbung machte die Levi’s-Jeans zu DER Hose für echte Männer und starke Frauen. Dabei sparte man später in der audiovisuellen Werbung auch nicht am Humor. Das Phänomen, dass sich eine echte Jeans erst dann so richtig eng und sexy an die Beine schmiegt, wenn man sich mit ihr in die volle Badewanne setzt, dürfte viele von uns schon beschäftigt haben. Genau dieses Ritual vollzieht auch ein durchtrainierter Mann mit nacktem Oberkörper in einem offiziellen Werbespot, nachdem zuvor eher ernste und vor allem sinnliche Stimmung bei seinem morgendlichen Sport und Bekleidungsmoment aufgebaut wurde. Die Levi’s-Jeans ist schlichtweg Kult geworden.
Jeanshose aus den 1930-er Jahren
Nicht mehr wegzudenken
In den letzten Jahrzehnten gab es weitere Produktlinien und Variationen der Original-Jeans, die unter anderem auch vermehrt auf Damen zugeschnitten wurde. Im Grunde waren es aber keine grundlegenden Anpassungen an die Trends zur Jahrhundertwende. Und eigene Trends setzte man im Hause Levi’s gegen Ende der 1990er nicht. Es entstand ein anderes Körperideal, die Mode wurde figurbetonter. Die Marilyn von 2006 posiert mit ihren Kurven nicht mehr im harten, geraden Schnitt einer Männerhose, sondern verführt mit elastischer Jeans, die ihrer eigenen Form in gewisser Weise gerechter wird. Im besagten Jahr hatte sich Levi’s Umsatz in Europa seit 1996 von ungefähr zwei Milliarden auf unter eine Milliarde mehr als halbiert. Man hatte den Wandel verschlafen, während die Konkurrenz mit Stretch-Jeans genau das lieferte, was gefragt war. Marktforscher sprachen schon von Levi’s „tiefem Fall in Ungnade“. Schließlich sah man ein, dass sich Klassiker eben nicht von selbst verkaufen. Ein Umdenken fand statt und mittlerweile verarbeitet die Originalmarke ebenfalls anpassungsfähiges Elasthan. 2013 wurden die Gesäßtaschen vergrößert, damit Smartphones besser darin verstaut werden können.
Die Verkaufszahlen erholen sich seit Jahren langsam und Levi’s bleibt die meistgetragene Jeans der Welt. Bis heute ist sie nahezu überall in unserer fortwährenden Geschichte dabei. Es gibt kaum ein auf Video festgehaltenes Großereignis, bei dem man nicht zahlreiche Menschen mit dieser beliebten Hose erkennt. Ihr Werdegang von einer Arbeiterhose zum salonfähigen Mode-Dauerbrenner ist einzigartig. Steve Jobs trug fast ausschließlich Levi’s und 2008 trat übrigens auch Barack Obama während seines Wahlkampfes häufig mit der legendären 501 auf.
Zurück zum Anfang: Tatsächlich ist die eingehend erwähnte Beschwerde des Minenarbeiters wahr. Sein Name war Homer Campbell und er schickte 1917 seine Levi’s an den Hersteller mit dem Hinweis, die Hose hätte nicht so lange gehalten wie diejenige, die er 30 Jahre davor angezogen hatte. Bei näherem Hinsehen stellte man allerdings fest, dass lediglich die Flicken seiner alten Jeans, die Campbell zur Sicherheit aufgenäht hatte, zerfetzt waren. Die Hose darunter war auch nach den drei Jahren Dauereinsatz im Bergbau absolut in Ordnung. Aber auf so was kommt es heute nicht mehr an, oder?
(Bryan Kolarczyk)
Levi Strauss Museum in Buttenheim, levi-strauss-museum.de
Fotos: Levi Strauss Museum (3), unsplash.com, pixabay.com