GELESEN. GEFALLEN. GEHÖRT.
Lassen Sie sich von unseren Tipps zu einer kleinen Auszeit inspirieren.
Traum oder Wirklichkeit?
„Unmöglicher Abschied“, der neue Roman der südkoreanischen Literaturnobelpreisträgerin Han Kang, erzählt die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Frauen und zugleich von einem äußerst gewaltvollen Kapitel koreanischer Geschichte. Die Holzkünstlerin Inseon, die nach einem Unfall, bei dem sie zwei Finger verloren hat, im Krankenhaus von Seoul liegt, bittet ihre Freundin Gyeongha, ihr Zuhause auf der Insel Jeju aufzusuchen, weil ihr kleiner weißer Vogel sterben wird, wenn ihn niemand füttert. Als die an Depressionen leidende Gyeongha auf der Insel ankommt, bricht ein Schneesturm herein. Zu Fuß kämpft sie sich zu Inseons Haus und ahnt nicht, was sie dort erwartet: Gyeongha wird mit der schmerzhaften Geschichte von Inseons Familie konfrontiert. Diese ist eng verbunden mit einem grausamen Kapitel koreanischer Geschichte, bei dem 30.000 Menschen, darunter Angehörige von Inseon, 1948 auf Jeju nach einem lokalen Aufstand brutal umgebracht worden waren. Han Kang schreibt über eine große Freundschaft und das Erinnern, die Geschichte einer tiefen Liebe angesichts unglaublicher Gewalt. Sie beschwört die Geister der Vergangenheit und feiert gleichzeitig das Leben, das genauso wenig berechenbar ist wie die Geschichte des Romans, in der sich die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verschieben. „Unmöglicher Abschied“ fordert den Leser. Man muss sich konzentrieren und auf die komplexe Geschichte geduldig einlassen. Das Buch ist intensiv, sehr berührend und beeindruckt durch seine Vielschichtigkeit.
Han Kang, Unmöglicher Abschied, Aufbau Verlag, Hardcover, 315 Seiten, ISBN: 978-3-351-04184-7, 24 Euro
Sizilien nach Hause holen
Im Herzen des Mittelmeers liegt Sizilien, schön wie das Paradies. Seine Küche ist geprägt von Zitrusfrüchten, Mandeln, Gemüse, Fisch, Oliven … Nun lüftet Ben Tish die Geheimnisse der sizilianischen Küche und erzählt von den kulturellen Einflüssen, die diese prägen. Ob köstliche Arancini oder Couscous-, Reis- und Pastagerichte und Granitas, Eis und Desserts – dieses bezaubernde Kochbuch holt uns die Sonne Siziliens in die heimische Küche. Tolle Rezepte, die nicht nur Lust auf Kochen und Genießen machen, sondern auch auf einen „Abstecher“ nach Sizilien. Sehr köstlich: Makrelen-Crudo und süßsaures Kaninchen. Wer kein Kaninchen mag, nimmt einfach Hühnchen. Ein Kochbuch, das nicht die sonst üblichen italienischen Rezepte beschreibt.
Ben Tish, Kris Kirkham, Sicilia. Eine kulinarische Liebeserklärung an Land und Leute. Mit 117 authentischen Rezepten, Christian Verlag, Hardcover, 304 Seiten, ca. 200 Abbildungen, ISBN: 978-3-9895-1006-7, 42 Euro
Familienroman
Von außen gesehen ist das Leben der wohlhabenden Familie Oppenheimer aus New York City eine Erfolgsgeschichte. Doch die Ehe von Salo und Johanna ist distanziert und von einem Unglück überschattet. Auch ihre Drillinge spüren keinerlei familiäre Bindung und können es kaum erwarten, einander zu entkommen. Als Harrison, Lewyn und Sally aufs College gehen, trifft Johanna die einsame Entscheidung, ein viertes Kind zu bekommen: die letzte, vor siebzehn Jahren eingefrorene Eizelle. Welche Rolle wird diese Nachzüglerin in der zerrissenen Familie spielen?
Jean Hanff Korelitz, Die Nachzüglerin, Blessing, gebunden, 496 Seiten, ISBN: 978-3-89667-765-5, 24 Euro
Sehr amüsant und voller Fantasie
Claudia Hendl ist nicht unbedingt glücklich und noch weniger fantasiebegabt – bis eines Tages eine alte, egozentrische Dame in ihr Wirtshaus kommt. Ihr Name ist Johanna Fialla, und nachdem sie Vertrauen zu Claudia gefasst hat, eröffnet sie Unglaubliches: Sie, Johanna, sei in Wahrheit die Enkeltochter von Kronprinz Rudolf. Der habe sich nämlich gar nicht erschossen, sondern sei nur untergetaucht und habe unter falschem Namen eine neue Familie gegründet, dessen Sprössling Johannas Vater gewesen sei. Nach und nach erzählt Johanna ihre Lebensgeschichte, und Claudia, die niemals schriftstellerische Ambitionen gehabt hat, beginnt sie aufzuschreiben. Dabei erfährt sie vielleicht nicht unbedingt historische Fakten – aber sie erkennt, dass ein bisschen Fantasie das Leben erst lebenswert macht.
Irene Diwiak, Die allerletzte Kaiserin, C. Bertelsmann, Hardcover, 304 Seiten, ISBN: 978-3-570-10469-9, 22 Euro
Die Welt der Saucen
Eine gute Sauce darf nicht fehlen. Wer wissen will, wie man eine macht, ist bei diesem Kochbuch genau richtig. Hier erfährt man die Basics der Saucenküche und ihre wichtigsten Vertreter von den Klassikern bis hin zu schnellen Dips für ein leckeres Grillgericht. Gorm Wisweh verzichtet in seinem Buch auf eine lange theoretische Einführung und geht stattdessen direkt in die Küche. Dort entstehen „alte Bekannte“ wie Hollandaise, Mayonnaise, diverse Fonds, Velouté, Aioli und Beurre blanc. Wunderbar auch die Neuentdeckungen wie die gebräunte Butter-Emulsion, Mole poblano oder die Romesco-Variante des Autors. Man ist versucht, gedanklich den Löffel abzulecken. Gorm Wisweh ist ein dänischer Kochbuchautor, TV-Koch und Gründer mehrerer Restaurants, darunter Gorm’s Pizza.
Gorm Wisweh, Saucen, AT-Verlag, gebunden, 168 Seiten, ISBN: 978-3-03-902215-1, 34 Euro
Herrliche Romanze
Als Jeanies Tante ihr das geliebte Pumpkin Spice Café in der Kleinstadt Dream Harbor schenkt, ergreift sie die Chance auf einen Neuanfang abseits ihres langweiligen Schreibtischjobs. Dort angekommen trifft sie auf den Farmer Logan, der nichts für den Klatsch und Tratsch der quirligen Kleinstadtbewohner übrig hat und lieber für sich bleibt. Doch Jeanies Ankunft bringt Logans Routinen durcheinander, und er will nichts mit der irritierend unbekümmerten Frau zu tun haben – auch, wenn er sich auf unerklärliche Weise zu ihr hingezogen fühlt. Kann Jeanies fröhliche Einstellung den mürrischen, aber attraktiven Logan überzeugen, oder hat das City Girl die einzige Person in der Stadt gefunden, die nicht ihrem Charme oder ihren Pumpkin Spice Lattes erliegt? Das perfekte Buch für kalte Nachmittage. Auf dem Sofa gemütlich machen, die Geschichte genießen – und den Latte nicht vergessen.
Laurie Gilmore, Meet me in Autumn. Eine Pumpkin spiced Romance, HarperCollins, Taschenbuch, 305 Seiten, ISBN: 978-3-3650-0822-5, 14 Euro
Leicht und liebenswert
Sie begegnen sich zum ersten Mal in einer Vorlesung: Der hochbegabte Oscar ist 16, hat einen Adelstitel und ist noch nie mit der U-Bahn gefahren. Moni Kosinsky hat drei Enkel, mehrere Nebenjobs und liebt knalligen Lippenstift und hohe Absätze. Sie ist fest entschlossen, sich heimlich den Traum von einem Mathestudium zu erfüllen. Doch im Hörsaal wird Moni für eine Putzfrau gehalten und belächelt. Wie kommt sie dazu, sich für eines der schwierigsten Fächer überhaupt einzuschreiben? Und woher kennt sie den berühmtesten Professor der Uni? Bald muss nicht nur Oscar feststellen, dass Monis Verstand und Beharrlichkeit größer sind als ihre Wissenslücken. Denn Mathematik schert sich nicht um Fragen der Herkunft, des Alters und des Aussehens. Oscar dagegen kämpft mit dem Alltag und findet ausgerechnet in der warmherzigen Moni eine Vertraute, die seinem Leben eine entscheidende Wendung gibt. Bald verbindet die beiden Außenseiter eine Freundschaft, die niemand für möglich gehalten hätte. Ein leichtfüßiger, raffinierter, tragikomischer Roman über eine schillernde Heldin und eine ungewöhnliche Freundschaft, die weit über Fragen nach der vierten Dimension und schlechtes Mensaessen hinaus durchs Studium und Leben trägt. Und eine Komödie über zwei Menschen, die aus unterschiedlichen Welten stammen und am Ende nicht mehr ohneeinander sein wollen.
Alina Bronsky, Pi mal Daumen, Kiepenheuer & Witsch, gebunden, 272 Seiten, ISBN: 978-3-4620-0425-0, 24 Euro
Lebendig und nie langweilig
Caspar David Friedrichs abendliche Himmel wecken seit Jahrhunderten die leidenschaftlichsten Gefühle: Goethe macht ihre Melancholie so rasend, dass er sie auf der Tischkante zerschlagen will, Walt Disney hingegen verliebt sich so heftig in sie, dass er sein „Bambi“ nur durch Friedrich’sche Landschaften laufen lässt. Von Hitler so verehrt wie von Rainer Maria Rilke, von Stalin so gehasst wie von den 68ern, von der Mafia so heiß begehrt wie von Leni Riefenstahl – am Beispiel von Caspar David Friedrich werden in diesem mitreißend erzählten Buch 250 Jahre deutscher Geschichte sichtbar. Und Friedrich, der Maler, wird zu einem Menschen aus Fleisch und Blut. Mit Florian Illies kann man Vergangenheit plötzlich als Gegenwart erleben.
Florian Illies, Zauber der Stille, Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten, S. Fischer, gebunden, 256 Seiten, ISBN: 978-3-10-397252-8, 25 Euro
Wunderbar und absolut fesselnd
Auf Makatea, einst ein vergessener Fleck im endlos blauen Pazifik, soll die Gesellschaft der Zukunft entstehen. Über Umwege und Gezeiten finden auf der Insel vier Menschen zusammen, deren Schicksale nachhaltig mit dem des Planeten verknüpft sind: Evelyne Beaulieu, die in den Tiefen des Ozeans taucht, um das geheimnisvolle Spiel der Riesenmanta zu entziffern. Ina Aroita, die die paradiesischen Strände nach Materialien für ihre Skulpturen abwandert – doch schon lange schwemmt das Meer nur noch Plastikmüll an. Und der verträumte Büchernarr Rafi Young und der visionäre Computernerd Todd Keane, deren Freundschaft an dem kühnen Versuch zu zerbrechen droht, eine neue Welt zu erschaffen, um sich vor dem Untergang der jetzigen zu retten. Ein wunderbares Buch, das spannend, poetisch und zugleich bedrückend ist. Powers verwirbelt Wissenschaft und Emotion und erzeugt beim Leser eine große Atemlosigkeit.
Richard Powers, Das große Spiel, Penguin, gebunden, 512 Seiten, ISBN: 978-3-328-60371-9, 26 Euro
Wer möchte Schreiben lernen?
„Es muss wie ein Unfall aussehen“ ist alles andere als ein wissenschaftliches Lehrbuch. Vergnüglich erzählt es aus dem Alltag eines Profitexters und von seiner täglichen Arbeit mit Prominenten wie Harald Schmidt, Stefan Raab, Kurt Krömer und Olaf Schubert. Fast nebenbei vermittelt der erfolgreiche Autor und Hochschullehrer Tankred Lerch dabei in kleinen Übungen das Handwerkszeug für jede noch so kleine oder große Textaufgabe zum kreativen Schreibenlernen. So unterhaltsam wie gekonnt gibt er in diesem Buch wertvolle Tipps und Hilfestellung für alle, die mehr wollen, als nur Inhalte zu Papier zu bringen. Das Buch ist auf unterhaltsamste Weise Schreibwerkstatt und vergnügliches Lesebuch für alle, die ihre Fähigkeiten erweitern oder Autor werden möchten.
Tankred Lerch, Es muss wie ein Unfall aussehen. Du darfst alles beim Schreiben, nur nicht langweilen. Becker Joest Volk Verlag, Klappenbroschur, 224 Seiten, ISBN: 978-3-9545-3292-6, 24 Euro
Stricken auch als Therapie
Stricken kommt nicht aus der Mode. Dass Stricken aber nicht nur Hobby, sondern gleichzeitig auch Therapie sein kann, zeigt Laerke Bagger in ihrem Buch „Neues Stricken“. Sie ist eine der beliebtesten und talentiertesten jungen Textilkünstlerinnen Europas und eine äußerst engagierte Verfechterin des Strickens als Therapie. In ihrem neuen Buch erzählt sie die ergreifende Geschichte ihrer Beziehung zu ihrem Vater – von seinem frühen Verlassen der Familie über ihre Versöhnung bis hin zu seinem Tod. Bei der Verarbeitung all dieser Erfahrungen war Stricken ihre Rettung und ihre Form der Therapie. So entstanden eine Reihe neuer Designs und Muster – darunter der „Inner Child“-Pullover, der „Let It All Hang Out“-Schal und ihre Version des klassischen Norwegers, den sie „Family“-Pullover nennt. Alle, die mit Laerkes fröhlich-lockerer Einstellung vertraut sind, werden begeistert sein, neue Wege für ihre Kreativität zu finden. Und neue Fans werden eine ermutigende Lehrerin entdecken, die das Hinterfragen von Regeln und Erwartungen fördert und die hilfreiche Wirkung von Stricken in turbulenten Zeiten aufzeigt. Das Buch fordert auf, der eigenen Kreativität zu vertrauen.
Laerke Bagger, Neues Stricken, Prestel, gebunden, 272 Seiten, ISBN: 978-3-7913-8044-5, 36 Euro
Mitreissend und gefühlvoll
Ida hat nichts bei sich außer dem alten, verschrammten Hartschalenkoffer ihrer Mutter, ein paar Lieblingsklamotten und ihrem MacBook, als sie ihr Zuhause verlässt. Es ist wahrscheinlich ein Abschied für immer von der Kleinstadt, in der sie ihr ganzes Leben verbracht hat. Im Abschiednehmen ist Ida richtig schlecht; sie hat es vor zwei Monaten nicht einmal auf die Beerdigung ihrer Mutter geschafft. Am Bahnhof sucht sie sich den Zug aus, der am weitesten wegfährt – und landet auf Rügen. Ohne Plan, nur mit einem großen Klumpen aus Wut, Trauer und Schuld im Bauch, streift sie über die Ostseeinsel. Und trifft schließlich auf Knut, den örtlichen Kneipenbesitzer, und seine Frau Marianne, die Ida kurzerhand bei sich aufnehmen. Zu dritt frühstücken sie jeden Morgen Aufbackbrötchen, den Tag verbringt Ida dann mit Marianne, sie walken gemeinsam durch den Wald oder spielen SkipBo, abends arbeitet Ida mit Knut in der ‚Robbe‘. Und sie lernt Leif kennen, der ähnlich versehrt ist wie sie, aber vielleicht tun sie einander ja ganz gut. Auf einmal ist alles ein bisschen leichter, wärmer, erträglicher in Idas Leben. Doch dann erfährt sie, dass Marianne schwer krank ist, und der Schmerz bricht sich wieder Bahn.
Caroline Wahl, Windstärke 17, DuMont, gebunden, 256 Seiten, ISBN: 978-3-8321-6841-4, 24 Euro
Lust am Kochen
In fünf Kapiteln von schnellen Gerichten für jeden Tag über Wochenend-Wunder, bewährte Ofenrezepte und Vorratsschrank-Favoriten bis hin zu leckeren Nachspeisen hat Jamie ein Kochbuch geschrieben, das sich perfekt in den Alltag einfügt. Das Buch steckt voller leckerer, unkomplizierter Ideen – ganz egal, worauf man gerade Appetit hat. Die erprobten und getesteten Rezepte fügen sich perfekt in den Wochenablauf ein. Schnelle 20-Minuten-Mahlzeiten, Express-Gerichte aus dem Vorrat, wenn mal wieder die Zeit zum Einkaufen fehlt, aber auch echte Wochenend-Triumphe, aus denen sich wiederum kinderleichte Ideen zur Resteverwertung an den folgenden Tagen ergeben – „Simply Jamie“ löst das kulinarische Problem und ist absolut alltagstauglich. Besonders empfehlenswert für diejenigen, die noch nicht so viel frisch gekocht haben bzw. auf der Suche nach unkomplizierten Ideen sind.
Jamie Oliver, Simply Jamie, Jeden Tag was Gutes, Dorling Kindersley Verlag, gebunden, 285 Seiten, ISBN: 383-10-5004-X, 29,95 Euro
Eine Frage der Heiterkeit
In Zeiten, in denen uns im Angesicht globaler Krisen intuitiv erst einmal anders zumute ist, macht sich Axel Hacke auf die Suche nach einem fast vergessenen Gemütszustand, nach einer Haltung dem Leben gegenüber, in der wir seltsam ungeübt geworden sind. Unterhaltsam, klug und persönlich erforscht er die Ursprünge des Begriffs, erklärt, was die Heiterkeit vom Witz und von der Fröhlichkeit unterscheidet und warum sie ohne den Ernst des Lebens nicht zu haben ist. „Ein heiterer Mensch zu sein, bedeutet nicht, das Schwere zu ignorieren, sondern es in etwas Leichtes zu verwandeln.“
Axel Hacke, Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte, DuMont, gebunden, 224 Seiten, ISBN: 978-3-8321-6808-7, 20 Euro
Realistisch: Der Untergang Venedigs
2021: Venedig ist von den Wassermassen eines letzten Acqua alta verschlungen worden. Guido Malegatti, einer der Überlebenden, sucht seine Frau und Tochter und fährt mit dem Boot durch die Ruinen. Zwei Jahre zuvor: Angesichts des drohenden Meeresspiegelanstiegs bahnt sich der Konflikt innerhalb der Familie an. Guido als Wirtschaftsrat schwört auf den Tourismus und die Segnungen der Technik. Seine Frau Maria Alba schwelgt in der vergangenen Pracht einer Stadt am Rande des Zusammenbruchs. Und ihre 17-jährige Tochter Léa wird in dem Versuch, die geliebte Stadt zu retten, zur Gegnerin ihres Vaters. Isabelle Autissier entwirft das so dramatische wie realistische Szenario vom Untergang Venedigs. Mitreißend zeichnet sie die Perspektive dreier Familienmitglieder nach, wie es zur Katastrophe kommt, und stellt uns alle vor die Frage: Wie würde ich mich verhalten?
Isabelle Autissier, Acqua alta, mareverlag, gebunden, 208 Seiten, ISBN: 978-3-8664-8708-6, 23 Euro
Mythos „Stauffenberg-Attentat“
Noch heute gilt der 20. Juli 1944 als „Aufstand des Gewissens“ einer kleinen Gruppe konservativer Militärs, noch heute verstellt diese legendenhafte Überhöhung unseren Blick auf die Ereignisse und die gesellschaftliche Vielfalt der Verschwörung. Nur wenigen ist bewusst, dass rund 200 Personen, ein breites Bündnis von Menschen aller sozialer Schichten und unterschiedlichster politischer Couleur, am sogenannten „Stauffenberg-Attentat“ beteiligt waren. Die Journalistin Ruth Hoffmann unternimmt eine umfassende Dekonstruktion des Mythos „Stauffenberg-Attentat“ und zeichnet nach, wie der 20. Juli seit Gründung der Bundesrepublik politisch instrumentalisiert wird: mal um sich gegen die DDR abzusetzen und kommunistische Widerständler zu diffamieren; mal um Politikern, die mit dem NS-Regime kollaboriert hatten, eine Nähe zum Widerstand anzudichten; oder, wie neuerdings die AfD, um die eigene Demokratiefeindlichkeit mit einem angeblichen Widerstandsgeist in der Tradition Stauffenbergs zu kaschieren. Ein spannendes und sehr aktuelles Buch, das aufwendig recherchiert und gut geschrieben ist.
Ruth Hoffmann, Das deutsche Alibi, Mythos „Stauffenberg Attentat“ – wie der 20. Juli 1944 verklärt und politisch instrumentalisiert wird, Goldmann, gebunden, 400 Seiten, ISBN: 978-3-442-31722-6, 24 Euro