Taschen aus aussortierten Airbags oder LKW-Planen, Möbel aus dem Holz alter Baugerüste und Designermode aus aussortierter Kleidung – beim Upcycling erhalten Produkte ein zweites, wertigeres Leben. Lifestyle mit Geschichte.

Jedes Jahr landen tonnenweise Textilien im Müll. Laut Statistischem Bundesamt sammelten sich 2013 in Deutschland mehr als 100.000 Tonnen Textilabfall an, zudem 2,3 Millionen Tonnen Sperrmüll. Material, das zum Teil noch zu gebrauchen ist, wenn es denn mit entsprechendem Know-how und Kreativität aufbereitet, upcycelt, wird. Ein nachhaltiger Trend, der immer mehr Anhänger findet – ob im Modebereich, bei Schmuckdesignern oder Möbelherstellern.

Daniel Kroh zum Beispiel. Der gelernte Schneider und studierte Modedesigner macht aus Arbeitskleidung, die nicht mehr zu gebrauchen ist, Mode. „Meine Leidenschaft gilt in erster Linie dem Material selbst, seiner Beschaffenheit und seiner Geschichte“, sagt der Designer. „Reclothings“ nennt er das. Jede Gebrauchsspur auf seinen Designstücken erzählt von einem früheren Leben. Von dem Maler, der ein Kunstwerk auf seiner Latzhose geschaffen hat. Von dem Glaser, der die Fensterscheiben stets auf den Oberschenkeln absetzte und somit Schlisse erzeugte.

Auch das Design-Duo Eugenie Schmidt und Mariko Takahashi „experimentiert“ im Bereich der Mode, „um ein alternatives Recycling-System zu realisieren.“ Die Kollektion des Labels „Schmidttakahashi“ besteht aus Materialien von gebrauchten Kleidungsstücken, die in einem speziellen Container gesammelt werden. Schmidt und Takahashi machen daraus hochwertige Unikate – Ergebnisse eines fortdauernden Wiederverwertungsprozesses, der verschiedenste Assoziationen und Geschichten von Personen und Gebrauchsarten offenlegt. „Dieser individuelle Kontext oder „Stammbaum” eines Kleidungsstücks wird über unsere Internetplattform visualisiert und erfahrbar gemacht“, betont Schmidttakahashi. In der kommenden Saison präsentiert das Label eine Erneuerung dieser Plattform. Die neue Kollektion integriert QR-Codes in ihre Produkte, die mit Mobiltelefonen ausgelesen werden können, um so die zugehörige Information zu erhalten.

Upcycling ist in der Fashionwelt angekommen, wobei es nicht nur darum geht, aus Alt höherwertigeres Neu zu machen, sondern es ist der Versuch, der Abfallberge, die in der Modeindustrie anfallen – Verschnitt, Probestoffe, Farbmuster – Herr zu werden. Viel größere Vorteile liegen aber in der Schonung der Ressourcen und, so wie es Schmidttakahashi und Daniel Kroh vormachen, in der Verlängerung des Produktlebenszyklus. Genau dies ist auch das Anliegen von Irina Kaschuba. „Ika Babel“ heißt ihr nachhaltiges Schmucklabel. Sie setzt scheinbar unterschiedliche Materialien und Elemente in neue Kontexte und „kreiert ein völlig neues Erleben von Schmuck.“ Alle Stücke werden handgefertigt „und dabei wird besonderer Wert auf ressourcenschonende Produktion gelegt; die Wendemöglichkeit der einzelnen Lederbracelets vervollständigt hier den Gedanken der Nachhaltigkeit“. Aus Biolachshaut, upcyceltem Leder oder aus Verschnittstücken von Perlrochenleder entstehen ausgefallene Armbänder und Broschen in geringer Auflage – jedes Stück ist ein Unikat.

Dass man selbst aus alten Feuerwehrschläuchen modische Artikel machen kann, zeigt das Kölner Modelabel „Feuerwear“. Es produziert Taschen, Gürtel und Portemonnaies. Die Löschschläuche werden gereinigt, geschnitten und in Handarbeit mit hochwertigen Materialien verarbeitet. 2015 ist das Jubiläumsjahr von Feuerwear. Was Gründer Martin Klüsener 2005 mit einer Diplomarbeit und ein paar Prototypen begann, hat sich zu einem Kultlabel entwickelt. „Ziel war es zu zeigen, dass nachhaltige Mode auch stylish sein kann – dies ist im Laufe des letzten Jahrzehnts allemal gelungen“, heißt es bei Feuerwear. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben allein in den vergangenen drei Jahren 100.000 Meter Feuerwehrschlauch verarbeitet und der Umwelt somit 50 Tonnen Abfall erspart. Mittlerweile gibt es die Unikate aus gebrauchtem Feuerwehrschlauch in über 300 Geschäften in 18 Ländern auf vier Kontinenten. Alle Exemplare erscheinen im original Used Look, schließlich sind sie durch ihre vergangenen Einsätze mit echten Gebrauchsspuren und Aufdrucken versehen, die Stück für Stück unterschiedlich sind.

MARKAT. Diese Gürtel heißen alle Bob und sind perfekte Accessoires für Jens. Ihre Schwester Bill wird von "Feuerwear" ebenfalls aus alten Feuerwehrschläuchen hergestellt.

MARKAT. Diese Gürtel heißen alle Bob und sind perfekte Accessoires für Jens. Ihre Schwester Bill wird von „Feuerwear“ ebenfalls aus alten Feuerwehrschläuchen hergestellt.

 

Auch bei einigen Möbelherstellern ist Upcycling angekommen. Der ernst zu nehmende Trend, der dahinterstecke, sei allerdings Recycling, sagt Ursula Geismann, Pressesprecherin der Verbände der deutschen Holz-, Möbel- und Fertigbauindustrie. Upcycling, bei dem tatsächliche gebrauchte Materialien eingesetzt werden, gebe es vor allem bei kleineren Firmen, nicht aber in der Möbelindustrie. „In unserer Branche ist Recycling ein sehr großes Thema. Hier geht es darum, dass nach dem Gebrauch die Materialien des Möbels weiter verwendet werden können. Dazu sind meist trennbare Materialien nötig, aus denen in Reinform wieder etwas anderes hergestellt werden kann. Das läuft in unserer Branche seit vielen Jahren für Metalle und andere teure Werkstoffe. Altmöbel landen auf dem Sperrmüll. Manches wird getrennt und wieder verwendet, aber nicht systematisch und nicht in großem Stil“, so Geismann. „Müllberge sind nicht unser Thema“, sagt auch Markus Grossmann von „Bauholz design“. Die Münsteraner Möbelmanufaktur produziert nachhaltige Möbel im Premium-Bereich aus gebrauchtem Bauholz und hochwertigen Althölzern. Die Philosophie: „Für unsere Möbel muss kein Baum gefällt werden.“ So werden aus gebrauchten Gerüstbohlen in Handarbeit Regale, Tische, Bänke, Sideboards oder auch ganze Laden- und Objekteinrichtungen. „Diese Möbel verursachen keinerlei Schäden in der Natur und sind doch aus bestem solidem Holz.“ 

Um den schonenden und zugleich kreativen Umgang mit Ressourcen geht es auch den beiden jungen Designerinnen Stine Paeper und Angelina Erhorn von „Moij Design“. Bei ihren Arbeiten experimentieren sie mit den verschiedensten Materialien aus natürlichen Rohstoffen und Abfallprodukten. Ein schönes Beispiel ist ihr Loungechair „Zwei drüber ein drunter“ aus einem Gewebe aus Furnierstreifen. Diese Streifen entstehen als Abfallprodukte in Tischlereien. Miteinander verwebt ergeben sie ein flexibles Gewebe, das sich formen lässt. Der Stuhl sieht aus, als wäre er mit Palmzweigen belegt.

LOUNGECHAIR. "Zwei drüber ein drunter" von "Moji Design" wird aus einem Gewebe aus Furnierstreifen gefertigt.

LOUNGECHAIR. „Zwei drüber ein drunter“ von „Moji Design“ wird aus einem Gewebe aus Furnierstreifen gefertigt.

Auch der italienische Hersteller „Riva 1920“ verpflichtet sich zur Herstellung von Möbeln ausschließlich mit natürlichen Materialien. Er verwendet Holz aus kon-trollierten Aufforstungsgebieten und verarbeitet es – das ist eines der Firmenprinzipien – ohne Ausschuss. Für seine Kollektion Briccole fischt das Unternehmen sogar in den Lagunen Venedigs – und schenkt den Pfählen aus Eiche ein zweites Leben im Trockenen – als Möbelstück.

Um „Second Life“ geht es auch bei „Schulte Design“. Nach der Devise „Raus mit den alten Mänteln und Jacken aus Schränken und Truhen“ verpasste Franz Josef Schulte seinem Faltstuhl Butterfly ein schickes Pelz-Outfit. „Wenn Dinge alt geworden sind, heißt das ja nicht automatisch, dass sie an Wert verloren haben. Ganz im Gegenteil. Ihre Werterolle hat sich vielleicht verändert oder verschoben. Wir hängen an Dingen, weil es Erbstücke sind, die viel zu wertvoll zum Wegwerfen sind. Oder an denen viele Erinnerungen hängen. Die gilt es zu bewahren“, erklärt Schulte, warum er alte Materialien für wertige Möbel nutzt. Und warum gerade Pelz? „Mit meiner Kollektion Second Life Edition wollte ich den alten Pelzen zu einem zweiten Leben, einem zweiten Auftritt verhelfen. Ich habe einen Freund, der Kürschnermeister ist. Gemeinsam sind wir auf diese Upcycling-Idee gekommen. Wir wollten die wertvollen Schätze, denn das waren sie ja für ihre Besitzer mal, vor dem Verstauben im Schrank bewahren.“

Bei einem anderen Stuhl sitzt man nicht auf kuscheligem Pelz, sondern auf Plastik. Genau gesagt auf Coca-Cola-Flaschen. Hersteller ist „Emeco“, der damit seinen Stuhlklassiker „Navy Chair“ neu aufgelegt hat. Der Neue heißt „111 Navy Chair“ und besteht aus 111 Coca-Cola-Flaschen. Sie machen etwa 65 Prozent der Stuhlmasse aus. Der Rest sind Glasfasern und Farbstoff. Coca Cola und „Emeco“ wollen mithilfe dieses Projektes jährlich mehr als drei Millionen Plastikflaschen zu einem neuen Leben erwecken.

ROT UND SCWARZ. Diese Tasche von "Bottletop" und "DKNY" besteht aus Dosenverschlüssen und ist ein echter Klassiker im Bereich Upcycling.

ROT UND SCWARZ. Diese Tasche von „Bottletop“ und „DKNY“ besteht aus Dosenverschlüssen und ist ein echter Klassiker im Bereich Upcycling.

Upcycling verlängert den Produktlebenszyklus, schont Ressourcen und Umwelt. Doch die Aufbereitung alter Materialien ist auch aufwendig und teuer. Heraus kommen einzigartige Designstücke, für die es sich lohnt, etwas mehr zu bezahlen. Doch Vorsicht ist bei Objekten im sogenannten Vintage-Look geboten. „Das sind Möbel oder Accessoires, die deutliche Alterungsspuren haben. Hier handelt es sich in der Regel um neue Produkte, die auf Alt getrimmt sind“, sagt Ursula Geismann.

Echtes Upcycling gibt Materialien einen neuen Sinn, bewahrt Erinnerungen und hinterlässt wieder neue Spuren. Die Geschichte eines Gegenstandes wird neu erfunden. Vielleicht auf seinem Weg zu einem dritten Leben? 

Fotos: Feuerwear, Moji Design, Bottletop