In Köln hat ein neues Restaurant mit einem interessanten Konzept aufgemacht. Im „NeoBiota“ an der Ecke Große und Kleine Brinkgasse gibt es von morgens bis zum frühen Nachmittag Frühstück der besonderen Art und abends Gourmetessen mit Wohlfühlcharakter. Inhaber und Küchenchefs sind Sonja Baumann und Erik Scheffler, die gemeinsam das Sternerestaurant „Gut Lärchenhof“ geleitet haben. Jetzt sind sie seit wenigen Wochen ihre eigenen Chefs. Wir sprechen mit Sonja Baumann über den Schritt in die Selbstständigkeit, das Konzept, das dahintersteckt, und den Anspruch, auch weiter auf Sterneniveau zu kochen.
Montagmorgen in der Kölner City. Das „NeoBiota“ hat Ruhetag. Die hohen Glastüren stehen weit auf. Die Stühle sind hochgestellt. Die offene Küche mit den extravaganten Dekorfliesen ist verwaist. An der Decke zieht sich ein dickes Lüftungsrohr entlang. Mit seinem Rostanstrich sieht es aus, als habe man es aus einer alten Industriehalle ab- und im „NeoBiota“ mal eben wieder anmontiert.
Ein klassisches Gourmetrestaurant sieht anders aus und dennoch ist das Ambiente, für das kein Innenarchitekt, sondern allein das Kochduo Baumann/Scheffler verantwortlich ist, stimmig. Die Tische stehen bewusst eng beisammen und fördern so die Kommunikation zwischen den Gästen. In die Küche kann man von jedem Tisch aus hineinschauen und auch die Köche sehen direkt, ob es ihren Gästen schmeckt. Spitzenküche schreckt oft ab – im „NeoBiota“ ist das Gegenteil der Fall. Das kleine Restaurant lädt zum entspannten Dinieren ein – auf sehr hohem Niveau und ohne Stress. Sonja Baumann empfängt uns mit einem strahlenden Lächeln. Obwohl sie sich selbst als jemanden beschreibt, der lieber im Hintergrund agiert, sprudelt sie vor ansteckend guter Laune nahezu über: Die ersten Wochen seit der Geschäftseröffnung sind gut gelaufen und ein Michelin-Tester war auch schon da.
Was ist es für ein Gefühl, ein eigenes Restaurant zu haben?
Im Moment bin ich einfach nur müde (lacht). Der erste Monat war sehr anstrengend. Sehr viel anstrengender, als wir gedacht haben. Aber wir gehen jeden Abend mit einem glücklichen Gefühl nach Hause. Wir können jetzt alles so machen, wie wir es gerne hätten und ohne, dass uns jemand hineinredet. Das fängt bei der Einrichtung an, die anders ist, als man sie in einem typischen Sternerestaurant findet. Das spiegelt uns wider, das sind wir und was wir kochen, das sind wir ebenfalls.
Sie hatten einen Stern, der ja bei „Gut Lärchenhof“ geblieben ist, als Sie beide gegangen sind. Ist das ein Verlust oder vielleicht sogar ein Gewinn?
Das Ego sagt einem immer, wenn man Auszeichnungen verliert, sei es ein Verlust. Aber für mich ist eine Auszeichnung nur Balsam für mein Ego. Mir ist es vor allem wichtig, dass unsere Gäste glücklich nach Hause gehen. Sie bekoche ich viel öfter, als einen Michelin-Tester, der ein- oder zweimal kommt.
Drehen Sie der Sternküche jetzt den Rücken zu?
Nein, das auch nicht. Wir streben an, im November wieder einen Stern zu bekommen. Man sagt immer und ich gehöre, wie Sie ja gerade gehört haben, dazu, man braucht den Stern eigentlich nicht, aber irgendwie arbeitet man trotzdem daraufhin.
Arbeiten Sie vor diesem Hintergrund anders?
Nein, wir arbeiten genauso wie immer. Wir kochen in demselben Stil, in dem wir auch in „Gut Lärchenhof“ gearbeitet haben. Der Unterschied ist, dass wir jetzt nur noch abends Gourmetküche kochen und nicht mehr zusätzlich noch mittags oder für ein Catering. Das heißt, unsere ganze Konzentration fließt in das Abendmenü ein.
NeoBiota. Gourmetbrot mit selbstgemachter Salzbutter und einer Interpretation von Griebenschmalz
Welches Konzept steckt hinter „NeoBiota“?
Wir haben ein Restaurant mit zwei Konzepten. Morgens heißt das Restaurant „Neo“ und abends „Biota“. Im „Neo“ gibt es von 10 bis 15 Uhr Frühstück. Allerdings nicht das übliche mit Croissants und Marmelade, sondern bei uns gibt es gekochte Frühstücksgerichte auf einem sehr hohen Niveau. Es gibt Süßes, Herzhaftes, Warmes und Kaltes. Was wir anbieten, gibt es in Köln noch nicht, damit haben wir eine kleine Nische gefunden.
Was kann ich bei Ihnen zum Frühstück bestellen?
Wir machen beispielsweise aus dem klassischen „Ei Benedikt“ – pochiertes Ei, Spinat, Sauce Hollandaise und Toast – einen „Aal Benedikt“ – selbstgebackenes Brot, lauwarm marinierter Spinatsalat mit Aalvinaigrette, pochierte Eier, Aalschmalz, Aalwürfel und frittierte Chips aus Aalhaut – für 12 Euro. Das Frühstück ist gut angelaufen, vor allem samstags haben wir zwischen 10 und 12 Uhr gut zu tun. In der Woche verlagert sich das zeitlich, denn viele nutzen unser Frühstück in der Mittagszeit. Für uns sind das Mittagessenfrühstücker. Mit dem „Neo“ verwirklichen wir unsere eigene Leidenschaft fürs Frühstück.
Was frühstücken Sie selbst an einem normalen Tag?
Meistens irgendetwas mit Käse oder Fleischwurst. (lacht) Also etwas ganz anderes. Es ist auch schon einmal ein Müsli dabei, aber am liebsten esse ich herzhaft. Ich bin auch kein Dessert-Typ, obwohl ich ab und zu mal eine Tüte Haribo brauche. Ich bin eher der Typ für Mettwurst und Hack. Für einen romantischen Abend auf dem Sofa muss mir der Partner keine Pralinen mitbringen, sondern lieber ein Mettbrötchen, dann bin ich glücklich.
Was erwartet den Gast im „Biota“?
Da haben wir noch nicht die richtige Beschreibung für unser Konzept gefunden. „Casual fine Dining“ ist ein Begriff, der schon ein bisschen ausgelutscht ist. „Gourmetrestaurant“ finden wir auch nicht gut. Am ehesten passt „Restaurant mit Wohlfühlküche“. Wir möchten, dass sich die Gäste wohlfühlen und entspannen. Bei uns findet man nichts, was man im Allgemeinen mit der Sterneküche verbindet. Es gibt keine Tischdecken und Besteck und Gläser decken wir erst dann ein, wenn die Gäste da sind. Wir möchten die Gäste nicht zu Beginn des Abends schon überfordern. Aus diesem Grund servieren wir neuerdings nicht nur Menüs, sondern haben ein À-la-Carte-Angebot, aus dem man sich auch nur ein Gericht aussuchen kann.
Was ist der Favorit? Menü oder À la Carte?
Die meisten wählen ein Menü. Dabei haben wir eine transparente Preisstruktur. Der Gast weiß eigentlich schon bei der Bestellung, was er bezahlen muss. Im Menüpreis sind immer Kaffee und Wasser enthalten. Es gibt keine versteckten Kosten.
Was heißt „NeoBiota“?
Das Wort kommt aus der Biologie und beschreibt Pflanzen oder Lebewesen, die sich einem fremden Lebensraum angepasst haben. Wir beziehen das auch ein bisschen auf Erik und mich. Wir sind beides keine Kölner. Erik kommt aus Chemnitz und ich aus Bonn und wir werden beide in Köln in einem neuen Lebensraum heimisch.
Was hat Sie zu diesem Konzept inspiriert?
Es war von Anfang an klar, dass wir zusammen ein Gourmetrestaurant betreiben möchten. Wir haben lange darüber gesprochen, was wir mittags machen sollen. Das Restaurant zuzulassen, war für uns als Start-up keine Option. Mittags eine Gourmetküche mit drei oder vier Gängen anzubieten, machte auch keinen Sinn. Dadurch dass wir beide leidenschaftliche Frühstücker sind – allerdings zu Gastronomiezeiten wie 12 Uhr –, kam die Idee hoch, die wir im „Neo“ verwirklicht haben. Die Konkurrenz ist groß, daher braucht man ein Konzept, mit dem man heraussticht, und ein Alleinstellungsmerkmal. Einige von denen, die morgens bei uns gefrühstückt haben, waren jetzt auch schon abends da.
Haben Sie eine spezielle Zielgruppe vor Augen?
Es kann jeder kommen, der sich einfach nur wohlfühlen möchte.
Wie ist Ihre Küche?
Natürlich, gemüselastig und puristisch. Wir geben nur das auf den Teller, was auch Sinn macht – also keine Blütenblätter, die ausschließlich hübsch aussehen. Auf dem Teller haben wir meistens nicht mehr als drei Komponenten und holen aus diesen geschmacklich das Beste heraus. Wir richten nicht komplex an, sondern nennen unsere Art des Anrichtens „morbider Haufen“. Wir richten sehr zentriert und eher aufeinander gestapelt an, sodass der Gast mit einem Löffel oder seiner Gabel alle Komponenten des Gerichts auf einmal erwischt. So erhält man im Mund genau den Geschmack, den wir erreichen wollten. Es macht keinen Sinn, die einzelnen Schichten zu essen. Unser Motto für abends heißt daher auch: „Löffel rein, glücklich sein.“ Wir nennen unseren Stil zu kochen „deutsch integrativ“. Das bedeutet für uns: Wir nehmen Gerichte aus aller Welt und deutschen sie ein.
Zum Beispiel?
Das wäre unser Kimchi. Das ist fermentierter Kohl, der in Asien gerne gegessen wird und der mit Sojasauce, Chili und Koriander eingelegt ist. Bei uns heißt das „Kimchi op kölsch“. Wir legen den Kohl mit deutschen Gewürzen ein.
Was ist Ihr Lieblingsessen?
Spaghetti Bolognese und irgendetwas mit Erbsen und Möhrchen. Was mein eigenes Essen betrifft bin ich ganz bodenständig.
Sie haben heute frei, was gibt es bei Ihnen zu essen?
Wenn ich gleich produziere, brate ich mir wahrscheinlich eine Bratwurst. Zuhause in meinem Kühlschrank habe ich nur noch eingelegte Gurken.
Sie sind beide von sehr früh morgens bis abends nahezu durchgängig im Restaurant. Ist es nicht schwierig, wenn man so viele Stunde auch räumlich sehr eng zusammenarbeitet?
Wir gehen uns manchmal auf die Nerven, aber zum überwiegenden Teil funktioniert es sehr gut. Wir sind ein kleines Team und arbeiten ganz automatisch Hand in Hand, so als ob jeder mit dem Gehirn des anderen verbunden wäre. Ich könnte mir keinen besseren Geschäftspartner als Erik wünschen.
Pancakes mit frischen Früchten und Sauerrahm
Wie gehen Sie an ein neues Gericht heran?
Das Schöne ist, dass wir ja zu zweit sind. Einer hat immer eine Idee, die er dem anderen vorstellt. Mir kommen die Ideen meistens beim Staubsaugen. Dabei kann ich sehr gut meditativ nachdenken und das Ergebnis ist das eine oder andere Gericht. Im Gegensatz zu Erik bin ich eher ein Freestyle-Koch und vergesse auch schon einmal, die Rezepte zu meinen Gerichten aufzuschreiben. Erik ist bei uns der Rezeptekoch. Er findet es nicht so lustig, wenn ich mich nach zwei Wochen plötzlich nicht mehr genau an die Zusammenstellung erinnere. Dann muss ich eben noch einmal an die Rezeptur ran und schreibe danach das Rezept auf. In den nächsten Tagen werden wir wieder ein neues Gericht auf die Karte setzen.
Was wird das sein?
Büsumer Krabben mit Pfirsich und dem isländischen Joghurt Skyr. Außerdem wird es noch einen Fisch mit Erbsen und Fichte geben. Wir waren im Wald und haben selbst Fichtensprossen gesammelt.
Sie tragen gerne Cowboystiefel und Ihr Partner mag Pop-Art. Wie passt das zusammen?
Es verbindet uns unsere Vorliebe für Metal-Musik und unser Faible für Kunst. Außerdem sind wir beide Typen, die sich nichts gerne diktieren lassen. Das verbindet uns. Im Moment kann ich leider keine Cowboystiefel tragen, da ich nach 19 Stunden am Stück auf den Beinen nur in Turnschuhe passe.
Sie haben in Bonn in „Halbedel’s Gasthaus“ gelernt. Was ist davon geblieben?
Ich hatte eine harte Kochschule, aber sie hat mir sehr viel gebracht. Man wurde dort nach relativ kurzer Zeit ins kalte Wasser geworfen und musste eigenständig mitarbeiten. Das führte dazu, dass ich sehr schnell lernen musste, mich zu organisieren. Das hat mich sehr schnell sehr weit gebracht.
Mit welchen Gefühlen sehen Sie der nächsten Sternvergabe entgegen?
Eigentlich entspannt. Ich werde mich nicht in den Schlaf weinen, wenn kein Stern kommt. Auf der anderen Seite, wenn wir einen bekommen sollten, werde ich hier wahrscheinlich auf der Theke tanzen.
(Susanne Rothe)
Fotos: „NeoBiota“ (3)