Felix Kaspar und sein Bruder Lukas führen seit Oktober 2015 das „Kaspars“ in Bonn. Gastronomieluft haben sie seit ihrer Geburt geschnuppert, da ihre Eltern seit vielen Jahren den Biergarten „Schänzchen“ betreiben. Felix ist Küchenchef im Kaspar, während sein Bruder für den Service verantwortlich ist. Gemeinsam haben sie das „Kaspars“ zu einem der besten Bonner Restaurants gemacht – als Brüder und als Partner. Das Restaurant am Rheinufer hat mittlerweile einen Stern. Felix Kaspar erzählt uns von seinem Weg in die Spitzengastronomie und den Erfahrungen in einem Familienbetrieb.
Es ist Montagmittag. Wir sind mit Felix Kaspar an seinem freien Tag verabredet. Auf die Minute pünktlich kommt er in Jeans, Turnschuhen, weißem T-Shirt und grünem Parka die Straße zum Restaurant hinunter. Ein junger Mann, der in etwas mehr als einem Jahr einen Michelin-Stern für sein Restaurant erkocht hat. Wir setzen uns an einen der Tische. Abends sind sie aufwendig eingedeckt, jetzt sind sie abgeräumt und blank. Eine ernüchternde Atmosphäre, die nur erahnen lässt, wie schön und stimmungsvoll es bei Betrieb ist. Eine Flasche Mineralwasser und drei Gläser stehen bereits auf unserem Tisch. Felix Kaspar ist vorbereitet.
„Ich bin in der Gastronomie groß geworden, denn meine Eltern führen seit 27 Jahren den Biergarten ‚Schänzchen‘.“
Warum sind Sie Koch geworden?
Das war einfach. Ich bin in der Gastronomie groß geworden, denn meine Eltern führen seit 27 Jahren den Biergarten „Schänzchen“. Wichtig ist aber, dass ich von klein auf gelernt habe, was es heißt, selbstständig zu sein. Ich kenne das Risiko und weiß genau, wie viel man in der Gastronomie arbeiten muss. Das hat mich nicht abgeschreckt. Ich habe daher mein Schulpraktikum bei Hans Stefan Steinheuer (Anm. d. Red.: 2 Sterne für das Restaurant „Zur Alten Post“ in Bad Neuenahr-Ahrweiler) absolviert. Dort standen 16 Köche in der Küche und es wurde bis zu 16 Stunden am Tag gearbeitet. Bei Steinheuer sind Speisen auf den Teller gekommen, die hatte ich vorher noch nie gesehen. Seitdem bin ich infiziert. Meine Lehre habe ich dann auch bei Hans Stefan Steinheuer gemacht.
Wie ging es weiter?
Ich habe insgesamt neun Jahre in der Spitzengastronomie gearbeitet. Nach Steinheuer war ich unter anderem bei Christian Jürgens (Anm. d. Red.: 3 Sterne für das Restaurant „Überfahrt“ in Rottach-Egern). Zwischendurch habe ich immer mal wieder im Biergarten ausgeholfen und bin dann aber stets in die Spitzengastronomie zurückgekehrt. Dies ging bis zu dem Zeitpunkt, an dem hier der Pächter vor uns leider vorzeitig schließen musste.
Leider?
Ja, leider, weil sein Vertrag eigentlich zehn Jahre laufen sollte, und ich noch sechs Jahre gehabt hätte, bevor ich mich hier selbstständig gemacht hätte.
Bereuen Sie es?
Nein. Kein Stück.
Was wollten Sie in den sechs Jahren machen?
Als Koch ins Ausland gehen und herumreisen. Das wäre schon sehr schön gewesen. Aber die Selbstständigkeit zusammen mit meinem Bruder bereue ich nicht.
Ist es schwerer oder leichter, in einem Familienbetrieb zu arbeiten?
Auf jeden Fall leichter, obwohl man eher Konflikte eingeht – vor allem, wenn man, wie wir, gleichberechtigt ist. Jeder hat seine eigene Meinung. In den meisten Betrieben gibt es dann einen Chef, der sagt, wo es langgeht. Wir sind Partner und zwei Chefs, dadurch kommt es schneller zu Konflikten. Die können wir aber innerhalb der Familie leichter lösen.
Sind Ihre Aufgabengebiete klar getrennt?
Ja, sind sie. Allerdings bieten wir ja ein Gesamtpaket an. Das heißt beispielsweise, wenn ich Vorstellungen von einem bestimmten Gericht habe, müssen wir uns trotzdem gemeinsam überlegen, wie wir es zum Gast bringen und wie der Service damit umgeht. Unsere Aufgabengebiete greifen ineinander und wir müssen eine Linie finden.
Felix Kaspar
Wer bestimmt die Menüzusammenstellung?
Das mache ich alleine. Sobald ein Menü fertig ist, fangen wir in der Küche an, bereits an dem nächsten zu arbeiten. Das kochen wir dann so lange zur Probe, bis mein Bruder und ich damit einverstanden sind. Wenn wir damit zufrieden sind, isst das Menü das ganze Team – vor allem auch der Service, damit er dem Gast vermitteln kann, was wir verkaufen. Ein Menü steht bei uns etwa sechs bis acht Wochen auf der Karte.
Wie gehen Sie an ein neues Menü heran? Woher bekommen Sie
Ihre Ideen?
Das ist recht simpel, weil es meistens saisonal vorgegeben ist. Ich gehe immer von einem Hauptprodukt aus, an dem sich alles orientiert.
Welches Hauptprodukt haben Sie gerade?
Das ist die Taube. Aber wir servieren unseren Gästen schon beim Lesen der Speisekarte einige Kleinigkeiten. Im Moment sind das unter anderem Saiblingstatar mit Meerettichmousse und Limettenmayonnaise und ein Schweinekrustenbraten mit eingewickeltem Krautsalat auf einem Graubrot mit Kümmeljus. Wie bei dem großen Menü hat man auch bei diesen Apéros einen Spannungsbogen von leicht zu kräftig. Das eigentliche Menü beginnt mit einem Amuse Gueule, das ist derzeit ein Räucheraal, mit Rote Bete, Mizo-Creme, Räucherfischfond und Schnittlauchöl.
Ich mag keine Taube, was könnte ich stattdessen essen?
Wir gehen auf alle Wünsche der Gäste ein. Wir rufen jeden Tag jeden, der bei uns reserviert hat, an und erkundigen uns nach Allergien, ob Vegetarier unter den Gästen sind oder ob jemand einfach nur irgendetwas nicht mag. So ist gewährleistet, dass wir nicht überrascht werden und auch in diesen Fällen auf dem gleich hohen Niveau etwas anderes kochen können.
Gibt es irgendetwas, was Sie von Steinheuer oder Jürgens für Ihre eigene Küche mitgenommen haben?
Ja natürlich. Ich bin jetzt noch sehr froh und dankbar, dass ich meine Lehre bei Hans Stefan Steinheuer machen konnte. Hinter ihm steht keine große Hotelkette, die alles finanziert. So habe ich gelernt, bevor ich etwas wegwerfe, darüber nachzudenken, ob ich davon noch etwas verwerten kann. Ich verwende heute möglichst alles. Außerdem bekocht man bei Steinheuer drei Betriebe aus einer Küche. Das Hotel mit Frühstück, die Poststuben (16 Punkte im Gault Millau) und das Gourmetrestaurant (zwei Michelin-Sterne und 19 im Gault Millau). Als Lehrling oder gerade Ausgelernter hat man für die Poststube oder das Hotel gekocht, direkt nebenan kochte aber der Verantwortliche für das Gourmetrestaurant. Ich habe die Grundlagen gelernt und konnte gleichzeitig sehen, wie ein Menü mit zwei Sternen aussieht.
Was hat Sie am meisten fasziniert?
Das sind die Anforderungen, die Hans Stefan Steinheuer an den Grundgeschmack stellt. Er hat in seinen Gerichten eine ungeheure Geschmacksintensität und legt sehr viel Wert darauf, dass es schmeckt. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Wenn Herr Steinheuer nicht 100 Prozent zufrieden war, verließ das Gericht nicht die Küche, egal wie schön es auf dem Teller angeordnet war.
Was ist der Unterschied zu Christian Jürgens?
Bei Christian Jürgens zählt nur das Beste vom Besten. Das fängt schon mit der Warenauswahl an. Es wurden beispielsweise zehn Fische geliefert und wenn nur drei seinen Ansprüchen gerecht wurden, wurden auch nur die verwertet. Das habe ich so bei Hans Stefan Steinheuer nicht gelernt und das war auch für mich keine Option. Bei drei Sternen geht es nicht mehr um Wirtschaftlichkeit, sondern da geht es um pure Perfektion. Ich habe bei Herrn Steinheuer erfahren, wie man beides miteinander verbinden kann.
Was haben Sie von Christian Jürgens für Ihre eigene Küche behalten?
Bei ihm habe ich Präsentieren und ein anderes Geschmacksbild gelernt. Er hat in seinen Gerichten extreme Geschmacksspitzen und fordert den Gast mehr. Bei Hans Stefan Steinheuer liegt immer eine absolute Harmonie zugrunde, es gibt keine Überraschungen, aber alles ist sehr, sehr wohlschmeckend.
Was ist Ihre Kochphilosophie?
Die Harmonie, es muss schmecken, dem Gast muss das Wasser im Mund zusammenlaufen. Gleichzeitig möchten wir den Gast zum Mitmachen anregen. Wir haben in unseren Gerichten immer ein extremes Element, was Säure, Schärfe, Süße oder Salz sein kann. Das kann ein kleiner Klecks auf dem Teller sein, sodass der Gast selbst wählen kann, ob er davon nimmt bzw. wie viel. Ich bringe meine Art des Kochens auf den Teller, der Gast kann aber immer noch ein bisschen mitmachen.
Was macht einen zu einem guten bzw. sehr guten Koch?
Kochen ist eigentlich Chemie. Wenn man Kochen verstehen und nicht nur Rezepte nachkochen möchte, dann muss man sich mit Chemie, Biologie und Physik beschäftigen. Daraus ergibt sich ein viel breiteres Feld, auf dem man sich als Koch bewegen kann. Meiner Meinung nach kann man nur dann ein guter Koch werden, wenn man versteht, was man macht. Es reicht nicht, sich aus seinem Erfahrungsschatz zu bedienen, denn dann bleibt man darauf begrenzt. Versteht man, warum und wie etwas funktioniert, kann man davon ableiten und seine eigenen Wege gehen.
Sie haben sehr schnell den Stern bekommen, war das von Anfang
an Ihr Plan?
Nein, am Anfang haben wir noch ganz anders gekocht. Nicht schlechter, aber wir haben das Restaurant nicht mit dieser Idee eröffnet. Wir wollten hier zunächst eine gute bürgerliche Küche machen, mit guten Produkten und ordentlich auf den Teller gebracht. Wir haben nicht bemerkt, dass wir uns damit schon in Richtung Fine Dining bewegt haben.
Wann sind Sie dann in die Spitzengastronomie eingestiegen?
Etwa drei Monate, nachdem wir eröffnet hatten, haben wir die Speisekarte von à la carte auf Menü umgestellt. Als das funktionierte, haben wir uns vorgenommen, mit jedem Menü besser zu werden. Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass wir im ersten Jahr von Michelin überhaupt getestet werden. Dann hat sich plötzlich im August nach dem Essen ein Herr als Testesser vorgestellt und ein paar Dinge bei uns abgefragt. Er hat gleichzeitig angekündigt, dass zwei weitere Testesser kämen, die sich aber nicht outen würden. Dass wir den Stern bekommen, habe ich an meinem freien Tag erfahren. Mein Bruder war der einzige, dem ich zu diesem Zeitpunkt etwas sagen durfte. Wir haben uns an den Rhein gesetzt und eine Flasche Champagner getrunken. Das war überwältigend, vor allem, wenn man bedenkt, dass wir uns mit erst 23 und 25 Jahren selbstständig gemacht haben.
Ist es jetzt schwerer den Stern zu behalten, als ihn zu erkochen?
Ehrlich gesagt, nein. Wir arbeiten jetzt nicht anders als vorher. Unser Vorsatz ist es weiterhin, mit jedem Menü besser zu werden, noch mehr ins Detail zugehen und uns den Aufwand zu erlauben. Wenn wir mit dieser Überzeugung weitermachen, müssen wir uns eigentlich keine
Sorgen machen.
Wie ist Ihre Küche?
Eigentlich ganz einfach. Wir suchen uns Produkte aus, um die wir das Menü herumbauen. Man hat mir einmal gesagt, ich koche eine Cross-over-Küche aus allen Bereichen.
Was halten Sie davon, dass einige Ihrer Kollegen „brutal regional“ sein möchten?
Es ist interessant, sich auf Produkte zu begrenzen, die in einem Umkreis von maximal 50 Kilometern angebaut werden. Ich hätte damit aber ein Problem. Ich möchte mich in dem, was ich mache, nicht begrenzen. Ich schaue, wo ich das beste Produkt herbekomme, und koche das, worauf ich Lust habe.
Gibt es Produkte, mit denen Sie besonders gerne kochen?
Butter, ich koche unglaublich gerne mit Butter. Wenn ich ein Hauptprodukt nennen müsste, wäre das Kalbsbries. Wenn es ordentlich gekocht ist, bin ich von Kalbsbries begeistert. Im Übrigen möchten wir unseren Gästen Innereien wieder schmackhaft machen. Von der Taube, die im Moment auf der Karte steht, verwerten wir alles, was von dem Tier essbar ist: Herz, Leber, Brust und Keulen. Es wird viel zu viel weggeworfen, was essbar ist. Das Essverhalten hat sich verändert. Früher war es normal, solche Dinge zu essen – und wir bieten sie wieder an.
Was darf in Ihrer Küche nie fehlen?
Butter natürlich, Zwiebeln und vor allem Essig.
Essig?
Säure darf nicht fehlen.
Sie sind 25 und stehen fast jeden Abend am Herd. Fehlt Ihnen nichts?
Nein, nichts. Ich bin mit 16 Jahren in die Lehre gegangen und war nie der Partytyp. Ich bin an meinem freien Tag lieber in unserem Betrieb, als herumzuhängen.
Was machen Sie, um auch einmal Abstand zu bekommen?
(lacht) Für mich ist entspannend, wenn niemand etwas von mir möchte. Ich genieße es sehr, wenn ich einmal zwei, drei Stunden habe, in denen gar nichts ist. Ruhe ist für mich Gold wert.
Ihre Eltern sind erfahrene Gastronomen, geben Sie Ihnen Tipps?
Unsere Eltern lassen uns komplett unser Ding machen. Wir haben alles so aufgebaut, dass wir autark sind. Wir haben uns hier nicht auf Kosten unserer Eltern selbstständig gemacht. Wir arbeiten wirtschaftlich. Das hier ist keine Spielwiese, sondern ein Restaurant. So geben wir nur das Geld aus, was wir haben. Das heißt, wir mussten uns auch beschränken. Bei Christian Jürgens habe ich mit Geräten gearbeitet, die wir hier nicht haben, und für die wir einen bezahl- und brauchbaren Ersatz finden mussten. Da sind Ideen gefragt.
„Der erste Stern kam so schnell, wenn wir uns jetzt keine neuen Ziele setzen würden, wäre es schade.“
In Bonn hat sich gerade in den letzten anderthalb Jahren in der
Spitzengastronomie einiges getan.
Ja, und das finde ich sehr gut. Bonn ist eine wunderschöne Stadt, hat aber kulinarisch nicht so sehr viel zu bieten. Viele, die an Kulinarik interessiert sind, gehen in Köln aus. Die Spitzenköche, die es jetzt hier gibt, stören sich überhaupt nicht. Wir sind keine Konkurrenz, denn jeder von uns bietet etwas anderes an. Ich finde, dass wir Bonn nun ein Stück attraktiver machen und wir arbeiten daran, die Gäste, die es nach Köln gezogen hat, zurückzuerobern.
Wohin wird Sie Ihr Weg noch führen, sehen Sie sich in 30 Jahren immer noch hier bzw. wie wäre es mit einem zweiten Stern?
Ich habe Gastronomie nicht gewählt, um daraus auszusteigen. Der erste Stern kam so schnell, wenn wir uns jetzt keine neuen Ziele setzen würden, wäre es schade. Ich bin 25 Jahre alt und sehe noch nicht das Ende der Fahnenstange. Ich denke aber nicht, dass in den nächsten ein oder zwei Jahren der zweite Stern folgen muss. Wenn wir uns weiterentwickeln, ist es gut und, wenn das honoriert wird, freuen wir uns. Als Selbstständiger ist mir daran gelegen, dass wir wirtschaftlich arbeiten und nicht auf Teufel komm raus den zweiten Stern jagen.
Wo sehen Sie Ihre nächste Herausforderung?
Meine Bruder und ich werden den Biergarten unserer Eltern, das Schänzchen, übernehmen. Das bedeutet für uns noch mehr Arbeit und Verantwortung. Wir werden das Schänzchen nach unseren Vorstellungen nach und nach ausrichten und modernisieren. Ich kenne meinen Bruder und mich: Wenn wir das geschafft haben, kommt das nächste Projekt. Wir möchten nicht einfach nur die Zeit absitzen.
Ihr Bruder und Sie scheinen ein gutes Team zu sein.
(lacht) Meistens. Wir sind Familie.
(Susanne Rothe)
Fotos: Felix Kaspar (2), P. M. J. Rothe (4)