Steinheuers „Zur Alten Post“ zählt zu den besten Restaurants Deutschlands. Küchenchef ist Christian Binder, der gemeinsam mit Patron und Schwiegervater Hans Stefan Steinheuer die Gäste auf höchstem kulinarischem Niveau verwöhnt. Wir haben mit Christian Binder über seine Freude am Kochen, seinen Abstecher nach Shanghai und über Hummer mit Kohlrabi gesprochen.

Mittagszeit in Heppingen: Das Gourmetrestaurant „Zur Alten Post“ ist geschlossen und öffnet abends für nur wenige Stunden. Coronazeit. Auf der Terrasse des Schwesterrestaurants „Landgasthof Poststuben“ läuft bei frühsommerlicher Wärme das Mittagsgeschäft – mit Abstand sowie Mund- und Nasenschutz. Die Gäste sind froh, dass der kulinarische Alltag allmählich wieder eingekehrt. Auch Christian Binder freut sich über die Treue seiner Stammgäste, aber er strahlt richtig, als er von frischem Hummer erzählt, von dem er eigentlich zu wenig bestellt hatte. Der Zulieferer konnte nachliefern. Ein Glücksmoment für den Koch. Das Telefon klingelt. Ein Jäger fragt an, ob und wann er das ganze Reh liefern könne. Binder ist in seinem Element: „Gerne sofort.“ Passt nicht. Man einigt sich auf den übernächsten Tag. Was passiert mit dem Reh? Der Rücken geht ins Gourmetrestaurant; aus der Keule werden für den Landgasthof Medaillons geschnitten und aus dem Rest wird Rehsauerbraten gemacht. Zeit für das Interview:

Sie hatten die Restaurants wegen Corona viele Woche geschlossen. Wie sind Sie im Hinblick auf das Geschäft mit der Krise umgegangen?
Ich habe gemeinsam mit einem Auszubildenden jeweils samstags und sonntags ein Außerhaus-Menü gekocht. Es gab immer drei Hauptgänge und drei Vorspeisen zur Auswahl. Außerdem haben wir noch ein Dessert und eine Suppe angeboten. Das wurde sehr gut angenommen. Wichtig ist: Auch wenn wir außer Haus verkaufen, gibt es bei uns immer nur die beste Qualität. Damit erzielen wir keine Gewinne, bleiben aber im Gespräch. Meine Schwiegereltern haben das Abholen wie ein kleines Event gestaltet und die Gäste begrüßt, haben mit ihnen geplaudert und die Gerichte übergeben.

Christian Binder
Küchenchef Christian Binder

Wird sich die Gastronomie nach Corona verändern?
Einige Betriebe werden sicherlich leider zumachen. Aktuell fahren wir mit 50 Prozent Auslastung, das ist natürlich ein Witz. Für die überlebenden Unternehmen glaube ich nicht, dass sich etwas verändert. Im Moment versuchen wir unsere Gäste wenigstens mittags so zu takten, dass wir im „Landgasthof Poststuben“ die Tische zweimal belegen können.

Weg von Corona: Warum sind Sie Koch geworden?
Ich wollte beinahe schon immer Koch werden. Mit 12, 13 Jahren war mein Berufswunsch klar. Ich habe aber erst mit 21 Jahren den Mut gefasst, eine Kochlehre zu machen. Meine damalige Freundin hatte den Gault-Millau aus der Bücherei ausgeliehen. Wir haben alle Restaurants rausgeschrieben, die in Deutschland mit 18 Punkten bewertet worden waren und Bewerbungen an sie verschickt.

„Jeden freien Tag koche ich zu Hause, aber dann sehr bodenständig und nie sehr aufwendig.“

Steinheuer's Restaurant

War Ihr Ziel von Beginn an die Spitzengastronomie?
Ja, das war so, dort wollte ich hin.

Wann haben Sie begonnen, selbst zu kochen?
Ich habe als Jugendlicher eigentlich jeden Tag gekocht. Nichts Aufwendiges, kein Rinderfilet und keinen Hummer und so, aber, wenn ich aus der Schule gekommen bin, musste ich für mich etwas zu essen machen. Am Wochenende hat meine Mutter gekocht. Meine Oma konnte auch richtig gut kochen.

Wo haben Sie gelernt?
Zunächst einmal habe ich Praktika absolviert und war zur Probe arbeiten. Ich war im Landhaus Stricker auf Sylt und bei Kolja Kleeberg im Vau in Berlin, das Restaurant gibt es ja schon nicht mehr. Gelernt habe ich im Margaux bei Michael Hoffmann, der auch bereits geschlossen hat.

Was fasziniert Sie an dem Beruf?
Man kann sich immer wieder neu erfinden. Es macht mir jeden Tag von Neuem Spaß, mit Lebensmitteln zu arbeiten. Das ist wirklich so. Heute beispielsweise brauche ich frischen Hummer. Gestern habe ich festgestellt, dass ich zu wenig habe, da ich nicht damit gerechnet hatte, dass wir so viele Reservierungen bekommen. Ich habe gestern Abend Hummer nachbestellt – allerdings mit der Befürchtung, dass ich diesen Gang eventuell doch noch streichen muss, da alle Zulieferer ihr Angebot wegen Corona heruntergefahren haben. Als heute morgen frischer Hummer geliefert wurde, habe ich mich richtig gefreut. Das war so ein besonderer Moment, den ich nicht vergesse.

Was machen Sie mit dem Hummer?
Das wird ein Gericht mir Kohlrabi.

Kohlrabi und Hummer?
Ja, das mache ich schon lange. Das ist ein Signature Dish von mir. Aus den Kohlrabis werden mit einem Spiralschneider Spaghetti geschnitten. Die werden in Sahne gekocht, die dann etwas angedickt und reduziert wird. Die Spaghetti werden in der Sauce à la minute wieder warm gemacht und auf einen Teller gegeben. Hinzu kommt etwas Tartare vom Hummer sowie ganz dünn aufgeschnittene Kohlrabi, die mit Kerbelöl und Essig
mariniert sind.

Ihre Augen leuchten gerade.
(lacht) Ja, das macht schon richtig Spaß.

Das heißt, Sie kochen nicht nur gerne, sondern Sie essen auch gerne …
Ich koche eigentlich nichts, was ich nicht auch esse. Von manchen Dingen, wie zum Beispiel Kalbsnierchen, bin ich kein Fan, aber ich mache sie trotzdem, weil wir Gäste haben, die sie gerne mögen.

Was ist Ihr persönliches Lieblingsgericht?
Das ist wirklich der Hummer mit Kohlrabi, den finde ich einfach super.

Was macht diese Kombination aus?
Das Herzhafte und die Erdigkeit von Kohlrabi und die Süße des Hummers. Dieses Zusammenspiel plus der Kräutergeschmack vom Kerbel, das finde ich einfach gut. Außerdem mag ich gerne Hummer mit Karotte. Dafür schneiden wir Karotten sehr dünn auf und trocknen sie. Dann werden sie in Karottensaft wieder weichgekocht. So eine Karotte haben Sie noch nie gegessen. Dazu gibt es Kakaosplitter, die eine gewisse Bitterkeit beisteuern.

Kochen Sie, wenn Sie frei haben, auch zu Hause?
Jeden freien Tag koche ich zu Hause, aber dann sehr bodenständig und nie sehr aufwendig. Dann gibt es Spagetti Carbonara, Schnitzel oder jetzt in der Spargelzeit Spargel.

Sie arbeiten seit 2015 gemeinsam mit Ihrem Schwiegervater, der zur Spitze der deutschen Top-Köche gehört. Macht das persönliche Verhältnis die Zusammenarbeit leichter und wie gestaltet sie sich?
Mein Schwiegervater und ich entwerfen gemeinsam die Gerichte für das Gourmetrestaurant und entwickeln ebenfalls gemeinsam die Teller. Für den Service am Abend sowie das Anrichten der Teller bin ich dann alleine zuständig, während mein Schwiegervater, um mir den Rücken freizuhalten, für die „Poststuben“ die gehobene Landhausküche zubereitet. Mein Schwiegervater hat als Patron des Hauses alles im Blick. Wir arbeiten gut zusammen und achten aufeinander, das ist sehr angenehm.

Gibt es irgendetwas, das Ihnen Ihr Schwiegervater mit auf den Weg gegeben hat und das Sie auf jeden Fall berücksichtigen?
Ich war das erste Mal direkt nach meiner Kochausbildung hier. Das heißt, ich bin von einem Ein-Sterne- in ein Zwei-Sterne-Restaurant gekommen. Das war für mich sehr lehrreich. Ich habe gelernt, was man alles aus einem Produkt herausholen kann.

Frühlingsgarten mit Kaninchen
Frühlingsgarten mit Kaninchen
Rochen in Nussbutter mit Kapern eingelegter Zitrone und Lauch
Rochen in Nussbutter mit Kapern eingelegter Zitrone und Lauch
Gänseleber mit Olive und Madeira
Gänseleber mit Olive und Madeira
Hummer und Karotten
Hummer und Karotten
Eifler Lammrücken und Bauch mit Artischocken, Bohnen, Chicoree und Senf
Eifler Lammrücken und Bauch mit Artischocken, Bohnen, Chicoree und Senf

Sie sind mit Ihrer Frau, Désirée Steinheuer, die in diesem Jahr von Falstaff zur Sommelière des Jahres gekürt wurde, viel herumgereist. Wie wichtig war das für Ihren Beruf?
Wir waren ein halbes Jahr in Shanghai. Die Kommunikation mit den einheimischen Kollegen war nicht einfach, weil nicht jeder Englisch gesprochen hat. Wir hatten nur einen Acht-Stunden-Tag, aber dafür an sechs Tagen in der Woche. Vom Kochen her hat mich der Aufenthalt nicht weitergebracht. Von China aus sind wir nach London gezogen und haben dort beide im Marcus at The Berkeley (zwei Sterne) gearbeitet. Dort habe ich sehr viel gelernt. Um sieben Uhr morgens ging es los, nachts um eins ist man nach Hause gegangen. Diese Zeit möchte ich nicht missen.

Bekochen Sie den „Landgasthof Poststuben“ und das Gourmetrestaurant aus einer Küche?
Früher gab es für beide nur einen Herdblock und ich bewundere meinen Schwiegervater sehr, wie er das mit seinem damaligen Küchenchef immer hinbekommen hat. Ein Gasherd für beide, das war schon manchmal kritisch und auch bewundernswert. Vor etwa vier Jahren haben wir eine räumliche Trennung vorgenommen. Alles, was warm ist, haben wir separiert. Wir haben jetzt zwei Herdblöcke und einen langen Pass, auf den man sicherlich bis zu 50 Teller hinstellen könnte.

Beschreiben Sie bitte Ihre Küche.
Sie ist vor allem produktorientiert. Was zählt, ist der Geschmack: Es muss lecker sein. Wir kochen nicht sehr modern, sondern eher klassisch. Bei uns spielt Butter eine große Rolle, die darf nicht fehlen. Wenn ein Gast etwas nicht verträgt, kann er uns das bei der Reservierung sagen, dann orientieren wir uns danach.

Sie gehören zu der jüngeren Generation der Top-Köche, was sind Ihre kulinarischen Ziele?
Natürlich den dritten Stern erreichen, das möchte jedes Zwei-Sterne-Restaurant. Das wäre das Nonplusultra. Das klingt jetzt komisch, aber dann wüsste ich, was ich wert bin. Die zwei Sterne hier hat mein Schwiegervater erkocht und wir halten sie seit Jahren. Ich zittere aber jedes Jahr aufs Neue, wenn die Bewertungen herauskommen. Ich bin in der Beziehung überhaupt nicht entspannt. Wenn wir hier drei Sterne bekommen würden, wäre das schon etwas ganz Besonderes.

Was benötigt man dafür?
Bei drei Sternen darf es an nichts „ruckeln“. Wir sind selbstständig und können nicht alles mitmachen, was man vielleicht muss. Wichtig ist langjähriges Personal, um die gleichbleibende Qualität liefern zu können, und das ist nicht einfach.

Welchen Stellenwert hat die gehobene Gastronomie in der heutigen Zeit?
Ich spreche jetzt mal von unseren Gästen. Darunter sind viele, denen etwas fehlt, wenn sie nicht gut essen gehen können. Das gehört einfach zu ihrem Leben dazu und sie reisen deswegen von Restaurant zu Restaurant.

Wohin gehen Sie selbst gerne essen?
Es gibt in den Niederlanden zwei Drei-Sterne-Köche, bei denen ich schon war und beide finde ich super. (Anm. d. Red.: Restaurant De Librije in Zwolle und Restaurant De Leest in Vaassen. Letzteres wurde Ende 2019 geschlossen.)

Wie gehen Sie mit Küchenpannen um?
Da muss man improvisieren. Hier zeigt sich ein guter Koch. Das sind die Augenblicke, die richtig nerven.

Was machen Sie, wenn Sie nicht kochen?
Ich habe einen kleinen Garten, dort baue ich ein bisschen Gemüse an, das wir hier verarbeiten. Das macht mir wirklich Spaß. Das meiste Obst und Gemüse bekommen wir allerdings hier aus Heppingen von Berthold Stüssgen (82), der einen große Garten bewirtschaftet. Das Tolle ist, er baut immer das an, was ich gerne hätte.

Haben Sie kochende Vorbilder?
Eigentlich nicht, aber ich bewundere meinem Schwiegervater dafür, wie er alles hier managt und am Laufen hält.
(Susanne Rothe)

Steinheuer's Restaurant

steinheuers.de

Fotos: Ingo Hilger (1) Peter Schulte für Tre Torri (Food)