Rainer-Maria Halbedel hält seinen Michelin-Stern seit genau 36 Jahren. Kaum ein anderer deutscher Koch leuchtet schon so lange am gastronomischen Firmament. Gemeinsam mit seiner Frau Irmgard hat er in den vergangenen Jahrzehnten in Bad Godesberg ein kulinarisches Paradies geschaffen – ein elegantes, aber gemütliches Restaurant: „halbedel‘s Gasthaus“. Ein Name, der Programm ist.
„halbedel‘s Gasthaus“ befindet sich in einer stuckverzierten Jugendstilvilla, umgeben von einem gepflegten Garten mit akkurat geschnittenen Buchsbaumkugeln. Auf den Treppenstufen, die hoch zum Eingang führen, stehen zur Dekoration kleine Töpfe mit Rosmarin. Wir klingeln an der Türe und der Hausherr öffnet. Es ist 17 Uhr, das Restaurant hat noch geschlossen, aber Rainer-Maria Halbedel trägt schon seine Arbeitskleidung, die weiße Kochjacke. Der erste Eindruck vermittelt: Hier ist der Gast zuhause. Im holzgetäfelten Eingangsbereich steht auf einem Tisch eine große Schüssel, die randvoll mit grünen Äpfeln gefüllt ist. Schön poliert glänzen sie verlockend. Für die Innenausstattung zuständig ist Irmgard Halbedel, die ein feines Gespür dafür hat, eine stilvolle und zugleich anheimelnde Atmosphäre zu schaffen. Wir betreten den Gastraum. Die Tische sind für den Abend eingedeckt. Graue Tischdecken bilden in Verbindung mit den weißen Brottellern einen edlen Kontrast. Es ist mitten in der Woche und kein Tisch wird an diesem Abend leer bleiben.
Herr Halbedel, Sie haben in Bonn 1976 angefangen, zu kochen. Sind Sie es nicht manchmal leid, noch immer hinter dem Herd zu stehen?
Ich habe damals im Restaurant Chez Loup in der Oxfordstraße gearbeitet. Etwas später habe ich mich selbstständig gemacht. Das ist eine lange Zeit, aber mir macht Kochen heute sogar mehr Spaß als früher. Ich bin jetzt wesentlich gelassener. Für mich war Koch ein Neigungsberuf wie für andere Jungs Schornsteinfeger oder Feuerwehrmann. Ich wollte von klein auf Koch werden. Meine Eltern haben immer gedacht, „der Junge hat viel Phantasie, der spinnt“. Doch ich habe mich gegen den Willen meiner Lehrerfamilie durchgesetzt und meine Berufswahl nie bereut. Wie gesagt: Es macht mir heute mehr Spaß als je zuvor.
Was motiviert Sie?
Nun, dass ich den schönsten Beruf der Welt habe. Wenn Sie Zahnarzt sind, klopft Ihnen niemand auf die Schulter und sagt: „Das haben Sie gut gemacht.“ Wenn aber unsere Gäste abends mit glänzenden Augen nach Hause gehen und sagen „Das war toll“, dann ist das eine Riesenmotivation.
Sie kommen aus Steinfeld (Oldenburg). Wie halten Sie es als Norddeutscher im Rheinland aus, besonders in der Karnevalszeit, die gerade vorbei ist?
Karneval verbringe ich seit vierzig Jahren in Paris. Wir lieben dort die Mentalität der Menschen, die eine völlig andere als die deutsche ist. Wir gehen ein- oder zweimal schön essen. So waren wir in diesem Jahr im Restaurant Kei, das gerade den dritten Stern bekommen hat. Das Restaurant kenne ich noch aus der Zeit, als es keinen Stern hatte. Der Küchenchef ist ein blondierter Japaner, der eine französische Küche macht. Grandios. Es gibt in Paris außerdem tolle professionelle Küchenläden, die Dinge haben, die man hier so nicht kaufen kann. Die Champs-Élysées haben wir bestimmt seit zehn Jahren nicht mehr gesehen – in Paris gibt es so viele interessantere Ort.
Sie hatten für das „Chez Loup“ schon einen Stern erkocht und Ihr eigenes Restaurant hat einen seit 1984. Gerade heute ist der Stern von Michelin wieder bestätigt worden. Ist das für Sie noch etwas Besonderes?
Ja, auf jeden Fall. Es ist jedesmal etwas Besonderes. Dieses Niveau zu halten und noch zu verbessern, ist eine große Motivation. Dabei muss ich sebstverständlich im Auge behalten, dass man nicht nur gut kocht, sondern die finanzielle Seite muss auch stimmen.
Das bedeutet?
Das bedeutet, man ist nicht nur Koch, sondern auch Geschäftsmann, der Geld verdienen muss. Und ein Unternehmer, der nichts unternimmt, der ist ein Unterlasser. Viele Köche, denen das Unternehmerische nicht liegt, suchen sich Sponsoren, die sie großzügig unterstützen. Sie können dann plötzlich auf eine Kreativschmiede zugreifen, aus der die neuen Ideen nur so herauspurzeln. Sie müssen sie nur realisieren. Das ist sehr bequem.
Woher haben Sie Ihre Ideen?
Wir müssen uns da schon selbst Gedanken machen. Ich lese sehr viel, schaue mir vieles an und fahre auch mit meinen Mitarbeitern herum. Letztes Jahr waren wir beispielsweise alle gemeinsam in Paris und haben uns in der kulinarischen Szene umgeschaut.
Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
Derzeit nur vier. Felix Welle-Broßwitz und Silvio Broschas haben beide bei mir die Ausbildung gemacht. Silvio ist schon 25 Jahre da, er ist mein Patissier und Souschef. Felix ist seit acht Jahren bei uns. Dann habe ich einen Lehrling im dritten Lehrjahr, ihn habe ich vor zwei Jahren von der früheren Remise übernommen. Wir haben außerdem einen Auszubildenden im ersten Jahr. Es ist sehr übersichtlich bei uns, aber jeder weiß, was er zu tun hat. Die Ideen brüten wir gemeinsam aus und testen sie. Letztendlich entscheide allerdings ich, wie wir es machen. Bevor ein neues Gericht aus der Küche herausgeht, muss es perfekt sein. Das Schlimmste, was ein Koch machen kann, ist, seine Gäste als Versuchskaninchen zu benutzen.
„Dieses Niveau zu halten und noch zu verbessern, ist eine große Motivation.“
Spielt dabei eine Rolle, dass Sie selbst immer anwesend sind?
Ja, auf jeden Fall. Meine Gäste haben einen Anspruch, darauf, dass ich anwesend bin. Dafür bezahlen sie. Wenn jemand Beckenbauer bucht, möchte er nicht Schwarzenbeck sehen. So einfach ist das. Mir ist oft angeboten worden, ein zweites oder drittes Restaurant zu führen, aber ich denke, wenn man wirklich dahintersteht, kann man nur eins richtig gut machen. Meine Philosophie ist: Top-Leistungen zu bringen, selbst am Tisch die Speisen und ihre Zubereitung zu erklären, den Gästen für alle ihre Fragen zur Verfügung zu stehen. Somit bin ich immer da.
Es haben in letzter Zeit diverse Restaurants geschlossen, weil Sie kein geeignetes Personal gefunden hätten …
Das ist sicherlich ein Problem in der Gastronomie. Der Punkt ist allerdings, dass man selbst ausbilden muss. Ich bilde aus und kann mir daher auch die Rosinen herauspicken und behalte die fertigen Auszubildenden, die wirklich gut sind. Meine Lehrlinge gehören mit zu den besten Prüflingen und können weit mehr als das, was sie für die Prüfung wissen müssen. Sie bekommen bei uns mit, wie wir unser Brot selbst backen, die Pralinen in Handarbeit herstellen, dass wir überhaupt keine Fertigprodukte verwenden und einen eigenen Gemüsegarten haben, aus dem wir uns für die Küche bedienen.
Was bauen Sie alles an?
Wir haben alte Kartoffelsorten wie die Rote Emmalie und den Blauen Schweden. Wir pflanzen sehr viele asiatische Salate, für die wir von einem Freund die Samen erhalten. Wir haben violetten Rettich und vieles mehr, was man auf dem Markt nicht zu kaufen bekommt.
Sind Sie Ihr eigener Gärtner?
Meine Frau und ich teilen uns die Arbeit. Der Garten ist 10.000 Quadratmeter groß und befindet sich auf dem elterlichen Bauernhof meiner Frau in der Eifel. Sie war die jüngste Landwirtschaftsmeisterin in Rheinland-Pfalz und hat das also richtig gelernt. Meine Frau pflanzt das ganze Gemüse an, ich pflüge und ernte. Meine Frau hat aber noch einen zweiten Beruf gelernt und die Hotelfachschule am Tegernsee besucht. So ist sie dann in die Gastronomie hineingewachsen. Es war Glück und reiner Zufall, dass wir uns 1973 an einer Bushaltestelle in Berlin getroffen haben.
Woher nehmen Sie die Zeit, neben allem anderen einen so großen Garten zu bewirtschaften?
Wir haben montags Ruhetag. Im Sommer haben wir vier Wochen Urlaub, von denen wir immer eine Woche im Garten sind. Ansonsten muss man sich morgens die Zeit nehmen. Wir stehen früh auf, denn wir haben nicht nur den Garten. Wir haben eine große Wiese, auf der eine aussterbende Schafsrasse lebt, der Coburger Fuchs, sowie normannische Höckergänse, Graugänse, normale Gänse, chinesische Laufenten und 15 Hühner.
Schlachten Sie auch?
Die Tiere werden nicht geschlachtet, das könnte ich nicht. Sie sterben alle eines natürlichen Todes.
Beschreiben Sie bitte Ihre Küche.
Eine gesunde, kreative Küche mit Produkten, die zum großen Teil aus unserem Garten stammen.
Beschreiben Sie bitte Ihre Küche.
Eine gesunde, kreative Küche mit Produkten, die zum großen Teil aus unserem Garten stammen.
Was steht heute auf der Speisekarte, was aus Ihrem Garten ist, oder ist es noch zu früh im Jahr?
Der Blaue Schwede, die Belana, die Rote Emmalie, Endivie und Quitte. Das Gericht ist ein Steinbutt mit Kartoffelkruste, Endivie und Quitte. Ende der Woche schreibe ich das Menü um, denn dann sind die Kartoffeln, die Endivie und die Quitte alle weg.
Wie oft wechseln Sie das Menü?
Alle vier Wochen. Nur in diesem Monat ist es anders.
Was darf in Ihrer Küche nie fehlen?
Gute Produkte. Das ist das Wesentliche, denn davon leben wird. Darum bedauere ich es auch so, dass in Deutschland die bürgerliche Küche so gut wie gar nicht mehr existiert. Hier im Rheinland sagt jeder Koch, der, ohne sich ernsthaft zu verletzen, eine Dose aufmachen kann, „ich koche eine bürgerliche Küche“. Eine gute bürgerliche Küche wird aber mit frischen Zutaten zubereitet. Wir sind leider immer noch eine kulinarische Diaspora.
Gibt es jemanden, den Sie einmal besonders gerne bekochen möchten?
Ich hätte gerne für Nelson Mandela gekocht. Mick Jagger von den Stones wäre auch interessant. Aber ansonsten habe ich schon für viele bekannte Menschen gekocht. Hier haben bereits Harry Belafonte, Yehudi Menuhin, Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl mit seinem ganzen Kabinett gegessen. Willy Brandt kam jedes Jahr an seinem Geburtstag.
„Hier haben bereits Harry Belafonte, Yehudi Menuhin, Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl mit seinem ganzen Kabinett gegessen.“
Lastet, wenn Sie solche Gäste verköstigen, ein besonderer Druck auf Ihnen?
Nein, überhaupt nicht. Dabei spielt eine Rolle, dass ich völlig unabhängig bin. Mein Traum war immer, wenn ich selbstständig bin, der alleinige Entscheider zu sein. Ich habe mich niemals in eine Abhängigkeit begeben. Und damit sind wir sehr gut gefahren.
Sie sind gemeinsam mit Hans Stefan Steinheuer für die Veranstaltungsreihe BonnCulinAhr verantwortlich, die Bonn mit der Ahr verbindet: Was hat Sie bewogen, mitzumachen?
Ich fand die Idee einfach toll. Stefan Steinheuer und ich sind seit den 1980er Jahren miteinander befreundet, sodass wir auch etwas zusammen machen können. Wir sind keine Konkurrenten.
(Susanne Rothe)
Fotos: © halbedels‘s Gasthaus (8)