Freie Zeit ist kostbar – für viele zu kostbar, um sie für oft zeitraubende Trainingsmethoden zu verwenden. So auch der Grundgedanke hinter dem Fitnesstrend EMS! Um eine gesunde Fitness zu erreichen, müssen Trainierende lediglich 20 Minuten pro Woche in die elektrische Muskelstimulation investieren – Traumfigur aus der Steckdose? Ist das möglich? Ich habe den Selbstversuch gewagt und mich verkabeln lassen …

Von Sandy Niedobecki

Schon lange wissen wir, dass eine gesunde Muskulatur für einen fitten und vitalen Körper unabdingbar ist. Damit Muskeln jedoch wachsen können, müssen sie regelmäßig Reizen ausgesetzt werden. Für viele ein harter und vor allem zeitraubender Weg. Ein neuer Fitnesstrend verspricht Abhilfe: schlanker, definierter und fitter in nur 20 Minuten die Woche – dafür soll das sogenannte Elektrostimulationstraining, kurz EMS, sorgen. Doch wie funktioniert EMS? Die Trainingsmethode stammt ursprünglich aus der Physiotherapie und unterstützt mithilfe äußerer Impulse gezielt die natürlichen Kontraktionen der Muskulatur: „Die Muskelzellen werden beim EMS-Training durch kleine Stromstöße angeregt. Dadurch können bis zu 90 Prozent der Muskeln im Körper angesprochen werden! Beim klassischen Krafttraining dagegen erreichen auch erfahrene Sportler nur 40 bis 60 Prozent der Muskulatur“, erklärt mir Natalie, Leiterin der PERSONALSPEEDBOX im Visiolife Bonn. Sie steht mir bei meinem heutigen Training zur Seite. Bevor ich mit meinem ersten EMS-Workout loslegen kann, besprechen Natalie und ich meinen Gesundheits- und Fitnesszustand: „Grundsätzlich kann jeder ein EMS-Training ausüben, der auch ein herkömmliches Kraft- oder Gesundheitstraining betreiben kann. Es gibt ein paar Risikofaktoren wie Thrombose, Nierenleiden oder frische OPs, bei denen zuvor Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden sollte. Für Schwangere und Patienten mit Herzschrittmacher ist das Training nicht geeignet“, so Natalie. Da sich das EMS-Workout individuell zusammensetzt, ist es sowohl für Fitness-Anfänger als auch für erfahrene Sportler eine sehr gute Möglichkeit, Zeitersparnis mit effizienter Fitness zu verbinden. Vor und nach dem Training ist es wichtig, viel zu trinken: „Auch wenn es angesichts der kurzen Trainingsdauer nicht so aussieht, EMS ist ein sehr intensives Training. Der Körper verliert dabei viel Flüssigkeit!“ Außerdem leite der Strom so besser und sei besser verträglich. Ich bekomme ein Glas Wasser gereicht und begebe mich in die Umkleidekabine.

EMS TrainingÜber eine Art Skiwäsche ziehe ich eine Weste, die mit Impuls- Elektroden an Rücken, Brust und Bauch ausgestattet ist. Um ihre Leitfähigkeit zu erhöhen, hat Natalie sie zuvor leicht angefeuchtet. An Armen, Beinen und Po werden außerdem noch Impuls-Manschetten befestigt. Zugegeben, ich sehe in meinem verkabelten EMS-Anzug echt futuristisch aus! Alles sitzt, es kann losgehen: Über ein Kabel werde ich mit dem EMS-Gerät verbunden. Natalie dreht den Strom auf – ich spüre ein leichtes Kribbeln. Gemeinsam stimmen wir im ersten Teil der 20-minütigen Session die Intensität der Impulse ab: „Wir arbeiten beim EMS-Training mit einer subjektiven Skala von 1 bis 10. Eine 1 bedeutet: du spürst gar nichts. Eine 10 bedeutet: ganz stark“, weist Natalie mich an. „Die Kommunikation zwischen Trainierendem und Trainer ist bei EMS essenziell. Wir sind darauf angewiesen, dass der Trainierende eine ehrliche Rückmeldung über sein Empfinden gibt!“ In den ersten Minuten meines Trainings tasten wir uns erst einmal an das Gefühl heran und bestimmen die auf mich individuell passende Intensivität des Reizstroms. „Bei den ersten Trainingseinheiten ist es wichtig, dass der Körper sich an das Training gewöhnen kann. Wir arbeiten daher heute mit einer 4 oder 5 auf deiner persönlichen Skala. Nach etwa sechs bis zehn Trainingswochen werden wir die Intensität dann ganz langsam steigern“, so Natalie. Was mit einem leichten Kribbeln unter der Haut begann, ist nun merklich bis in die Fingerspitzen zu spüren. Mit zunehmender Intensität wird aus dem Kribbeln ein Wellengang. Das Gefühl ist sehr gewöhnungsbedürftig. Tut aber auch überraschend gut.

Sind die Impulsstärken einmal eingestellt, geht es ans Eingemachte: Meine Personaltrainerin geht mit mir Übung für Übung durch, korrigiert meine Haltung und motiviert mich. „Wir arbeiten in der PERSONALSPEEDBOX mit dynamischen Übungen, sprich mit mehreren Wiederholungen pro Satz. Dadurch wird gewährleistet, dass neben der Kraft auch die Koordination gefördert wird!“ Wie genau sich das Training aufbaut, richtet sich zum einen nach dem persönlichen Fitnesslevel und zum anderen nach dem Ziel des Trainierenden: „Ziel des EMS-Trainings ist es, grundsätzlich eine gesunde Ganzkörper-Fitness zu erreichen und Dysbalancen im Körper auszugleichen. Wir können mit dem Training aber auch gezielt innerhalb der Bereiche Muskelaufbau, Abnehmen, Haltung und Leistungssteigerung ansetzen“, so Natalie. Je nach Ziel stellen sich die ersten Erfolge schon nach einigen Wochen ein: „Schmerzen und Verspannungen, gerade im Rückenbereich, werden bereits nach den ersten zwei bis drei Trainingssessions weniger. Im Bereich Muskelaufbau und Fettabbau können die Trainierenden nach etwa zwölf Wochen nachweisbare Erfolge sehen. Natürlich spielt neben dem Training immer auch die passende Ernährung eine Rolle“, erklärt Natalie. Bunte Lämpchen wandern auf dem Gerät vor mir von links nach rechts, damit ich kurz vor den Stromimpulsen weiß, dass ich langsam in die Anfangsposition meiner Übung kommen und meine Muskulatur anspannen muss. Auf einen Impuls folgt immer eine kurze Entspannungsphase. Nach einigen Minuten spüre ich bereits eine erste Anstrengung in meinen Oberschenkeln. Die Muskeln sind merklich aktiviert. Die 20 Minuten Trainingszeit vergehen wie im Flug. Ich bin aus der Puste, jedoch kaum verschwitzt. Alle Trainingsdaten und Fortschritte werden auf einer persönlichen Trainingskarte aufgezeichnet, sodass sie auch für kommende Einheiten zur Verfügung stehen.

Das Beste an EMS-Training? Ganz klar die kurze Trainingsdauer. Doch reichen 20 Minuten Training pro Woche wirklich aus, um ein gutes Fitnesslevel zu erreichen? „Da wir mit dem EMS-Training die komplette Muskulatur ansprechen, ist die Belastung für den Körper bei jeder Session entsprechend hoch. Es handelt sich um ein hochintensives Intervalltraining während dem wir deutlich mehr Muskulatur als bei herkömmlichen Trainingsmethoden ansprechen. Der Körper benötigt dementsprechend mehr Zeit sich zu regenerieren. Studien haben belegt, dass ein 20-minütiges EMS-Training pro Woche maximale Erfolge bringt“, so Natalie. Doch wie sieht es begleitend mit Sport aus, ist zusätzliches Training komplett tabu? „Fitness-Neulingen raten wir davon ab. Wer jedoch schon länger Sport treibt, kann begleitend zum EMS-Training einmal die Woche ein klassisches Krafttraining absolvieren oder auch eine Runde joggen gehen – in Kombination ist EMS vor allem für Leistungssportler ein Thema.“ Wichtig sei jedoch, dass man es langsam angeht: „Man merkt anfangs nicht unbedingt, wie intensiv das EMS-Training für den Körper ist!“ Damit sich das Training besonders gut in den Alltag integrieren lässt, werden feste Termine vereinbart – keine Chance zu schwänzen. Ein weiterer Pluspunkt ist die persönliche Betreuung durch den Personaltrainer. So ist man sicher, die Übungen richtig auszuführen. Und auch die Gelenke werden beim EMS-Training nicht belastet: „Da wir ohne Gewichte trainieren, werden die Gelenke geschont. Daher spricht EMS eine relativ breite Zielgruppe an, von Jung bis Alt“, so Natalie. Das Training unter Strom boomt – jetzt verstehe ich auch warum!

Bei der PERSONALSPEEDBOX handelt es sich um ein deutschlandweit verbreitetes Shop-in-Shop-System, das im Gegensatz zu sogenannten EMS-Mikrostudios in ein Fitnessstudio integriert ist. Dadurch erhalten auch EMS Trainierende die Möglichkeit, vor und nach dem Training weitere Angebote wie den Wellnessbereich des Studios zu nutzen. In Bonn bietet der Lifestyle Club und Lösungsanbieter Visiolife die PERSONALSPEEDBOX an.

Fotos: P. M. J. Rothe (2)