Die Corona-Krise hat auch die Bauwirtschaft erwischt. Für Unternehmer und private Bauherren stellen sich viele Fragen.

Bereits in der Ausgabe Herbst 2020 hatten wir über die Corona-Krise am Bau berichtet. Wir hatten die Problematik beleuchtet, wie sich beispielsweise die Erkrankung und die Quarantäne von Beschäftigten oder gar die behördlich angeordnete Schließung der Baustellen auf die bauvertraglichen Beziehungen und den Bauablauf auswirken. In jüngster Zeit führt die Corona-Krise zu weiteren Folgen für die Bauwirtschaft. Erhebliche Materialengpässe und explodierende Kosten stellen Bauunternehmen und Bauherren vor zunehmend große Probleme. Mandanten berichten: „Die Materialpreise steigen in einem rasanten Tempo und es kommt vermehrt zu Lieferengpässen und Bauverzögerungen.“ oder „Wir hatten zuletzt eine Situation, in der innerhalb von 24 Stunden Preissteigerungen von 20 % eingetreten sind.“ Knapp werden insbesondere Stahl, Fliesen, Holz, Gipskartonplatten, Dämmmaterial und Farben. Aufgrund dieser Situation stellen sich für die Parteien eines Bauvertrages zahlreiche Fragen.
Bereits geschlossene Bauverträge

Kommt es zu derart exorbitanten Preissteigerungen, ist zunächst einmal zu prüfen, ob der Vertrag hierzu eine Regelung vorsieht.

Vertragliche Regelung zur Kostensteigerung

Soweit die Parteien bereits Bauverträge geschlossen haben, beinhalten diese Verträge teilweise Preisgleitklauseln. Eine Preisgleitklausel ist eine Klausel, die bewirkt, dass der Auftragnehmer nicht an die ursprünglich vereinbarten Festpreise gebunden ist. Der Auftragnehmer hat mit diesem Instrument die Möglichkeit, sich vor im Voraus nicht absehbaren Kostenrisiken zu schützen, indem er beispielsweise neben Inflationsraten auch Lohn-, Geräte- und Materialpreissteigerungen – jedenfalls im Rahmen eines fest vereinbarten Änderungssatzes – an den Auftraggeber weiterreichen kann.

Keine vertragliche Regelung zur Kostensteigerung

In der Regel weisen Bauverträge jedoch fest vereinbarte Preise auf. Diese sind somit regelmäßig unveränderlich. Hat der Auftragnehmer dann erhebliche Mehrkosten für den Materialeinkauf aufzuwenden, stellt dieses Preisrisiko grundsätzlich das Risiko des Auftragnehmers als Unternehmer dar. Der Auftragnehmer übernimmt dieses Risiko bewusst aufgrund seines überlegenen Fachwissens und hat daher grundsätzlich auch für mögliche kalkulatorische Fehleinschätzungen einzustehen.

Mandanten stellen derzeit die Frage, ob die aktuell zu verzeichnenden exorbitanten Preissteigerungen als Folge der Corona-Krise einen Wegfall der Geschäftsgrundlage darstellten. Dies würde bedeuten, dass der Bauvertrag angepasst würde, weil sich nach dem Vertragsschluss unvorhergesehene Umstände ergeben hätten, welche – hätten die Parteien diese vorhergesehen – nicht zu diesem Vertrag geführt hätten. Die zugrunde liegende Vorschrift findet sich in § 313 BGB, der eine Ausnahmevorschrift darstellt. Einen solchen Wegfall der Geschäftsgrundlage nehmen die Gerichte nur bei extremen Veränderungen an. Auch urteilt der BGH in ständiger Rechtsprechung, dass die Kalkulation des Auftragnehmers grundsätzlich nicht Geschäftsgrundlage wird und es das Risiko des Auftragnehmers ist, den Preis eines Bauvorhabens auskömmlich zu kalkulieren. Ob die höchstrichterliche Rechtsprechung die Covid-19-Pandemie als schwerwiegende Veränderung und Geschäftsgrundlagenstörung qualifizieren wird und somit auch bei der Preiskalkulation Ausnahmen zulassen wird, ist noch nicht im Ansatz geklärt und bleibt abzuwarten. Dafür spricht, dass die Covid-19-Pandemie – ähnlich einer Natur- oder Umweltkatastrophe oder einem Kriegsereignis – flächendeckend und unerwartet eingetreten ist und erhebliche staatliche Maßnahmen zeitigt. Selbst wenn jedoch eine Störung der Geschäftsgrundlage bejaht würde, könnte diese eine Vertragsanpassung hinsichtlich der Preisregelungen nur dann bewirken, wenn dies zur Vermeidung untragbarer und mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht vereinbarer Härten für den von der Preissteigerung betroffenen Auftragnehmer erforderlich wäre. Im Zuge dieser Abwägung wären die vertragliche Risikoverteilung, das allgemeine Preisrisiko des Auftragnehmers sowie die genaue Ausgestaltung des Bauvertrages im Einzelfall entsprechend zu berücksichtigen.

Für seit dem 11. März 2020 geschlossene Verträge gilt zudem Folgendes: Am 11. März 2020 stufte die WHO den Covid-19-Virus als Pandemie ein. Spätestens seit diesem Zeitpunkt dürften die damit verbundenen Probleme und Herausforderungen der Corona-Krise den Vertragsparteien bekannt (gewesen) sein. Konsequenz ist, dass bei diesen Bauverträgen ein Kalkulationsirrtum bezüglich der vereinbarten Preise ausgeschlossen wäre und ein Wegfall der Geschäftsgrundlage ausscheiden dürfte. Jedenfalls dann trüge der Auftragnehmer das Preisrisiko bei Mehrkosten für den Materialeinkauf, falls keine abweichenden vertraglichen Regelungen getroffen worden sind.

Auswirkung auf Nachträge bei Bauverträgen

Wird im Rahmen eines laufenden Bauvorhabens ein Nachtrag erforderlich, was beispielsweise dann der Fall ist, wenn der Auftraggeber von dem Auftragnehmer zusätzliche Leistungen oder Mehrleistungen verlangt, stellt sich ebenfalls die Frage, zu welchen Preisen diese zusätzlichen Leistungen anzubieten sind.

Für den BGB-Bauvertrag ergibt sich seit dem Jahr 2018 aus § 650c BGB, dass die Vergütungsanpassung für Nachträge anhand der tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten zu berechnen ist. Für den VOB/B-Vertrag entschied der BGH im Jahr 2019 in Abkehr von der jahrzehntelangen gängigen Praxis, Nachträge durch Fortschreibung der Urkalkulation des Auftragnehmers zu berechnen, dass Preisanpassungen bei Mehrmengen anhand der tatsächlich erforderlichen Kosten zu berechnen seien. Das Kammergericht Berlin urteilte daraufhin, dass auch die Vergütung für geänderte und zusätzliche Leistungen ausgehend von den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Kosten zu ermitteln sei. Dieser Ansicht haben sich inzwischen viele Instanzgerichte angeschlossen, so auch das OLG Köln und das OLG Düsseldorf. Insofern ist wohl davon auszugehen, dass auch die höchstrichterliche Rechtsprechung so zu interpretieren ist, dass für die Bepreisung von Nachträgen die ortsüblichen und angemessenen und durch die Covid-19-Pandemie gestiegenen Lohn-, Geräte- und Materialpreise anzusetzen sind.

Fazit für bereits geschlossene Bauverträge

Ist keine Preisgleitklausel vereinbart, spricht viel dafür, dass die vereinbarten Preise – außer ggf. in exorbitanten Ausnahmefällen – Bestand haben, bei etwaigen Nachträgen allerdings die durch die Covid-19-Pandemie gestiegenen Lohn-, Geräte- und Materialpreise anzusetzen sind. Aufgrund der nicht in Gänze geklärten Rechtslage und der erheblichen Auswirkungen der Preissteigerungen – oder auch der Materialengpässe – ist den Parteien eines Bauvertrages zudem zu raten, bei Vertragsstörungen miteinander zu verhandeln und angemessene Lösungen zu finden.

Noch zu schließende Bauverträge

Sind in der jetzigen Phase Bauverträge zu schließen, so sollten die Parteien offen vereinbaren, wie sie mit Preissteigerungen umgehen wollen. Es ist natürlich rechtlich möglich, dass der Auftraggeber sein Angebot freibleibend abgibt und sich durch Klauseln vorbehält, jegliche Preissteigerung an den Auftragnehmer durchzureichen. Nicht jeder Auftragnehmer wird eine solche Vertragsgestaltung aber akzeptieren (können). Im Übrigen würde dies dem Prinzip, dass der Auftragnehmer das Preisrisiko trägt, zuwiderlaufen. Den Parteien ist also anzuraten, offen über die derzeitigen Preissteigerungen zu sprechen, mit dem Vertrag aktuell geltende Preise festzulegen und zudem sachgerechte und ausgewogene Preisgleitklauseln zu vereinbaren, die das Risiko von Preissteigerungen und auch die Chance auf etwaig wieder fallende Preise für beide Parteien geeignet abfedern.

Fotos: Busse & Miessen, istockphoto.com/Julia Senkevych

Unsere Gastautorin: Dr. Vanessa Palm

Dr. Vanessa Palm ist Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht. Sie berät und vertritt Bauherren, Investoren, Bauunternehmen, Architekten und Ingenieure. Spezialisiert ist sie sowohl auf die Vertragsgestaltung als auch auf prozessuale Auseinandersetzungen.

Die Kanzlei mit Büros in Bonn, Berlin und Leipzig bietet individuelle Rechtsberatung auf höchstem juristischen Niveau.

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Dr Vanessa Palm, Rechtsanwältin bei Busse & Miessen