Tumaini heißt auf Suaheli Hoffnung. Der Name ist für den Tumaini Waisenhaus Förderverein Programm. Ihm geht es darum, kenianischen Kindern, deren Eltern an Aids gestorben und die selbst HIV-positiv sind, Hoffnung auf ein „normales“ Leben zu schenken. Der Förderverein wird dieses Jahr zehn Jahre alt. Wir haben mit Beatrix Wiebe, Vorsitzende des Vereins, über das engagierte Projekt gesprochen.

Interview: Susanne Rothe

 

Beatrix Wiebe, Kinderärztin an der Asklepios Kinderklinik Sankt Augustin und Vorsitzende des Tumaini Waisenhaus Fördervereins

Beatrix Wiebe, Kinderärztin an der Asklepios Kinderklinik Sankt Augustin und Vorsitzende des Tumaini Waisenhaus Fördervereins

Beatrix Wiebe ist Kinderärztin und leitet an der Asklepios Kinderklinik Sankt Augustin die Abteilung Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin. Sie kennt die Geschichte jedes einzelnen Kindes, das im Tumaini Waisenhaus in der Nähe von Mombasa betreut wird, und wird regelmäßig über den gesundheitlichen Zustand der Kinder informiert. Gemeinsam mit den zehn anderen ehrenamtlichen Mitgliedern des anerkannt gemeinnützigen Vereins hält sie das Waisenhaus sowie eine Schule „am Laufen“. Die Verwaltungskosten tragen die Mitglieder selbst. Jede Spende kommt den Kindern zugute. Damit wird ein Stück Zukunft geschenkt.

Tumaini Waisenhaus Förderverein. Mittagspause in der Schule

Mittagspause in der Schule

Der Tumaini Waisenhaus Förderverein unterstützt seit zehn Jahren HIV-positive Kinder in Kenia. Was genau steckt hinter diesem Projekt?

Der Förderverein wurde 2007 von dem Kinderkardiologen Reinhard Esser und seiner Frau Gudrun gegründet. Ziel war und ist es, HIV-positiven Kindern, deren Eltern an Aids gestorben sind, eine langfristige Lebensperspektive zu bieten. Initiiert wurde das Projekt allerdings von einer pensionierten britischen Bewährungshelferin. Joan Smith ging nach ihrer Pensionierung nach Kenia und war von der Armut auf den Straßen Mombasas entsetzt. Sie hat zunächst sehr unbürokratisch Kinder in ihrem eigenen Haus aufgenommen. Zuhause hat sie dann ihr ganzes Vermögen verkauft und in der Nähe von Mombasa in ein Waisenhaus sowie eine Schule investiert. Dieses Projekt unterstützen wir.

Wie hat sich das Projekt in den vergangenen zehn Jahren entwickelt?

Mittlerweile steht etwa 30 Kilometer von Mombasa entfernt ein doppelstöckiges Haus, in dem 60 Kinder leben. Sieben Frauen aus der Umgebung arbeiten dort und betreuen, so ähnlich wie die „Mütter“ in den SOS-Kinderdörfern, die Kinder. Wir haben vier große Zimmer: kleine Mädchen, große Mädchen, kleine Jungen und große Jungen. Seit drei Jahren hat jedes Kind einen eigenen Schrank und ein eigenes Moskitonetz. Dann gibt es eine Küche, zwei Gemeinschaftsräume, einen Essraum und Verwaltungsräume. Wir haben in den Räumen des Waisenhauses auch eine Art Klinik eingerichtet, in der wir eine medizinische Basisversorgung anbieten. Außerdem gehört zu dem Projekt eine Ausbildungsschneiderei sowie eine Schule, die mittlerweile von 300 Schülern besucht wird.

Ist die Klinik nur für die Kinder des Waisenhauses zuständig?

Das war ursprünglich so geplant. Mittlerweile ist die Klinik für die umliegende Bevölkerung geöffnet und läuft sehr gut. Wir haben zum Beispiel eine Mutter-Kind-Sprechstunde. Wer sie in Anspruch nimmt, zahlt pro Konsultation 50 Cent. Außerdem betreuen wir mit Ausnahme der Entbindung Schwangere und Wöchnerinnen. Ganz neu und für kenianische Verhältnisse sehr ungewöhnlich ist die Familienplanung, die wir anbieten. Dazu gehört eine Kondomausgabe und zum Beispiel die Dreimonatsspritze zur Verhütung.

 

Tumaini Waisenhaus Förderverein. Die Frauen von Shanzu

Die Frauen von Shanzu

 

Was sind das für Kinder, die im Waisenhaus leben?

Diese Kinder haben ihre Eltern durch Aids verloren und tragen zum größten Teil selbst den Virus in sich. Wichtig für sie ist, dass sie regelmäßig die von der WHO empfohlenen Medikamente einnehmen, die dafür sorgen, dass die Anzahl der Viren im Körper möglichst gering bleibt. HIV-positiv sind die Kinder ein Leben lang, doch wenn die Medikamente konsequent genommen werden, haben sie in der Regel eine normale Lebenserwartung und Lebensqualität. Wenn aber irgendetwas dazwischenkommt: Man bekommt die Medikamente nicht, Kinder leiden an Unterernährung oder kommen in die Pubertät, dann kann es passieren, dass Aids ausbricht. Die meisten Kinder werden bei ihrer Geburt mit HIV infiziert. Wenn sie keine Therapie erhalten, sterben 50 Prozent im ersten Lebensjahr und die anderen 50 Prozent bis zum fünften Lebensjahr. Viele Kinder sind zusätzlich an Tuberkulose erkrankt. In Kenia gibt es schätzungsweise eine Million von diesen HIV-Waisen.

Wie lange können die Kinder im Waisenhaus bleiben?

Die Kinder können nach kenianischem Gesetz bis zum 18. Geburtstag bei uns bleiben – es sei denn, sie gehen noch weiter zu Schule. 

 

 

„Grundsätzlich ist HIV in Kenia ein Tabuthema. Es herrscht die Einstellung, solange man nicht weiß, ob jemand positiv ist, geht man mit ihm ganz normal um.“

 

Was hat die Schule damit zu tun?

In Kenia gibt es eine achtjährige Schulpflicht. Danach kann man, wenn die Noten entsprechend sind, auf die High School gehen. Sie dauert noch einmal vier Jahre. Solange die Kinder die High School besuchen, können sie auch nach ihrem 18. Lebensjahr bei uns bleiben. Anderenfalls müssen wir schauen, ob es nicht doch noch eine Ursprungsfamilie gibt. Denn falls es keine gibt, dann sind wir die Familie und haben eine lebenslange Verpflichtung. Das macht es auch für uns so belastend, wenn wir das Gefühl haben, dass wir das notwendige Geld nicht zusammenbekommen. Wir können nicht erst Träume wecken und dann auf einmal sagen: „Geht nicht“.

Was kostet ein High-School-Platz?

Die High School ist in Kenia teuer. Eine gute gibt es fast immer nur auf Internatsbasis. Dafür müssen wir 1.200 Euro pro Kind im Jahr bezahlen.

 

 

„Der kenianische Staat gibt zwar die Medikamente für die Kinder kostenfrei ab, sorgt aber nicht dafür, dass sie sie auch erhalten.“

 

 

Wie gehen die Kinder mit dem Wissen um HIV um? Grundsätzlich ist HIV in Kenia ein Tabuthema. Es herrscht die Einstellung, solange man nicht weiß, ob jemand positiv ist, geht man mit ihm ganz normal um. Wenn man es weiß, wird der Betroffene gemieden. Zum Beispiel: 95 Prozent der Prostituierten sind HIV-positiv, aber solange darüber nicht gesprochen wird, geht man weiter zu ihnen. Zurück zu unseren Kindern: Sie leben in einem Waisenhaus für HIV-positive Kinder, da muss man zunächst nicht viel erklären. Solange die Kinder klein sind, ist das auch alles kein Problem. Wenn die Kinder älter werden, dann kommen eher gezielte Fragen: Woher komme ich? Warum bin ich hier?

Haben Sie einen Psychologen, der die Kinder betreut?

Nein, den können wir uns nicht leisten. Liebe und Fürsorge der „Mütter“ spielen eine große Rolle. Den Frauen ist es völlig egal, ob ein Kind HIV-positiv ist oder nicht. Sie werden alle liebevoll versorgt und dies unter viel schwereren Bedingungen als bei uns. HIV-positive Kinder sind sehr anfällig für andere Erkrankungen.

Tumaini Waisenhaus Förderverein. Der Kinderkardiologe Walter Wiebe sieht nicht nur nach dem Rechten, sondern ist auch für jeden Spaß zu haben.

Der Kinderkardiologe Walter Wiebe sieht nicht nur nach dem Rechten, sondern ist auch für jeden Spaß zu haben.

Welche Rolle spielen die kenianischen Behörden?

Die glänzen entweder durch Abwesenheit oder sind korrupt. Der kenianische Staat gibt zwar die Medikamente für die Kinder kostenfrei ab, sorgt aber nicht dafür, dass sie sie auch erhalten. Das ist die Tragik daran.

Wie finanzieren Sie das Projekt?

In erster Linie durch Spenden. Das ganze Projekt inklusive der Schule können wir alleine allerdings nicht stemmen. Zum Glück werden wir von einigen Kenianern und Engländern unterstützt. Mit ihnen haben wir uns die Finanzierung aufgeteilt. Unser Förderverein ist für die medizinische Seite zuständig. Dafür benötigen wir ungefähr 10.000 Euro im Jahr, kommen Krankenhausaufenthalte hinzu, brauchen wir noch einmal 10.000 Euro. Wir zahlen außerdem 4.500 Euro im Monat für Lebenshaltungskosten. Die Kosten der High School sowie die der Ausbildungsschneiderei übernehmen wir ebenfalls. Die Schule trägt sich seit zwei Jahren durch das Schulgeld und wir können sogar 1.000 Euro im Monat an das Projekt zurückführen. Letztendlich benötigen wir pro Jahr 80.000 bis 100.000 Euro, davon sind 25.000 Euro durch Dauerspenden garantiert.

Das ist eine große Verantwortung.

Ich möchte es einmal so sagen: 75 Prozent solcher Institutionen, wie wir eine aufgebaut haben, gehen kaputt. Entweder ist das Geld langfristig nicht gesichert oder es wurden Leute angestellt, die sich selbst bereichern. Wir haben keine Verwaltungskosten und bezahlen auch das Porto der Briefe, die wir verschicken, selbst. Wenn wir nach Kenia fliegen, bezahlen wir selbstverständlich die Flüge aus eigener Tasche. Jede Zuwendung kommt daher ausschließlich den Betroffenen zu Gute.

Woher bekommen Sie die Spenden?

Als wir angefangen haben, haben wir bei Familie und Freunden nachgefragt. Sehr viele Kinderärzte aus dem Rhein-Sieg-Kreis haben mitgemacht und den Grundstock gelegt. Sie unterstützen uns weiterhin dauerhaft und planbar. Ansonsten funktioniert natürlich das Schneeballsystem: Einer hört von uns, erzählt es weiter …

Wer kümmert sich in Kenia um das Projekt, wenn Sie in Deutschland sind?

Wichtig ist, dass man nicht vergisst, dass es sich bei den Kindern um kenianische handelt und daher die Kenianer lernen müssen, für sie Verantwortung zu tragen. Am Anfang haben wir versucht, alles von Deutschland aus zu regeln. Aber das funktioniert nicht. Wir haben mittlerweile ein kenianisches Management, das sehr engagiert, ehrlich und ehrgeizig ist und ein europäisches Verständnis von Logistik hat. Es entscheidet in Rücksprache mit uns. Wir machen gemeinsam die Jahresplanung und besprechen außerordentliche Dinge. Jeden Monat erhalten wir aus dem Waisenhaus einen Report, der darüber berichtet, was in der Schule und im Haus passiert und wie es jedem Kind geht. In den ersten Jahren haben wir viel Lehrgeld gezahlt, zumal Kenianer oft eine komplett andere Mentalität haben als wir. Da wird zum Beispiel eine Packung Waschmittel nicht gekauft, weil sie die billigste, sondern weil sie am buntesten ist.

Tumaini Waisenhaus Förderverein

Die Kinder werden liebevoll von den „Müttern“ betreut. // Das Kuscheltier wartet schon auf seinen Mitbewohner.

Der Verein hat nur elf Mitglieder. Warum?

Wir können schneller agieren und sind schneller handlungsbereit.

Wie oft reisen Sie selbst nach Kenia?

Wir fliegen zweimal im Jahr nach Mombasa und besuchen das Waisenhaus.

Hat Ihr Beruf Einfluss auf Ihr Engagement?

Natürlich. Ich bin zwar mittlerweile Leitende Ärztin der Abteilung für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, aber mein Beruf ist Kinderärztin. Der Gedanke, Kinder vor Schaden zu bewahren, ist der grundlegende Sinn meines Berufes.

Der Verein wird jetzt zehn Jahre alt. Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?

Geld, um Bettwäsche in unserer Schneiderei selbst nähen zu können.

Was ist mit Sachspenden?

Die sind ein großes Problem, denn alles, was wir nach Kenia schicken, bleibt am Zoll stecken und wir müssen es teuer herauskaufen. Am besten ist es, wenn wir Geld bekommen: Dann kaufen wir vor Ort, was wir benötigen.

Erinnern Sie sich an ein besonders berührendes Erlebnis?

Da denke ich an ein kleines Mädchen, das 2009 im Alter von sieben Monaten zu uns gekommen ist. Sie wog weniger als vier Kilo, war schwer an Tuberkulose erkrankt und zu schwach, Nahrung oder Medikamente zu sich zu nehmen. Im Vergleich: Ein normales deutsches Neugeborenes wiegt bereits bei der Geburt dreieinhalb Kilo. Mit drei Monaten ist bei ihm dann das Geburtsgewicht verdoppelt. Die Mutter des Mädchens ist an Aids gestorben, die Großmutter kümmerte sich bereits um ein paar Kinder und hat das Mädchen, von dem sie ausgegangen ist, dass sie nicht mehr lange leben würde, bei uns abgegeben. Vergangenes Jahr ist die Großmutter plötzlich aufgetaucht und wollte wissen, wann ihre Enkelin gestorben sei. Sie war fassungslos, als sie erfuhr, dass es ihr gut geht. Die Kleine ist unser ganzer Stolz. 

 

Der Förderverein unterstützt zwei weitere Projekte:

Kikambala Feeding Project

Ausgehend von einer sonntäglichen Essensausgabe an 20 bis 30 Kinder aus den ärmsten Vorstädten/Dörfern von Mombasa entstand durch die Hindugemeinde von Mombasa das „Kikambala Feeding Project“. Heute – nach mehr als zehn Jahren – wird, rein durch private Spenden finanziert und auf ausschließlich ehrenamtlicher Grundlage, auf dem Grundstück einer Gärtnerei sonntags bis zu 2.000 Kindern eine warme Mahlzeit serviert. Die Kinder kommen oft von weit her – meist barfuß. Oftmals liegen Wege von mehr als fünf Kilometern hinter ihnen. Jedes Kind erhält 1 Brötchen, 1 großes Glas Limonade und 1 Banane. ½ Kilo Maismehl kann jedes Kind mit nach Hause nehmen. Ein Sonntag für 2.000 Kinder kostet 1.000 Euro, das sind 50 Cent für jedes Essen! Der Förderverein hilft mit 5.000 Euro im Jahr.

Shanzu Transitional Workshop for Disabled Yong Women 

Aufgabe des Workshops ist es, jungen Frauen mit vorwiegend körperlichen Behinderungen eine Ausbildung zu ermöglichen, sie zur Unabhängigkeit zu ermutigen und ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Ausbildungsrichtungen sind das Schneiderhandwerk, die Lederbearbeitung, die Perlenarbeit und das Erlernen von Batikfertigkeiten. Die Ausbildung dauert zwei Jahre, die offizielle Abschlussprüfung ist staatlich anerkannt (Trade Test Grade II National Exam). Nach erfolgreichem Examen können die Frauen im Produktionsbetrieb verschiedene Produkte selbst herstellen und in ihrem Namen verkaufen. Während der Ausbildungszeit leben die Frauen in einer Gemeinschaft zusammen. Kochen, Waschen und Verrichtungen des alltäglichen Lebens sind eigenverantwortlich organisiert. Nach dem Examen können sie in der Wohngemeinschaft verbleiben oder außerhalb der Werkstätten freiberuflich tätig werden. Mit der Unterstützung des Vereins und zweckgebundenen Einzelspenden wurde 2014 ein Physiotherapie-Raum eingerichtet. Die Kosten betrugen ca. 1.500 Euro. Auch die laufenden Therapiekosten werden vom Verein übernommen und betragen ca. 1.000 Euro pro Jahr. Der Förderverein erhielt für sein Engagement 2014 und 2015 den Förderpreis EURHOPE der Europäischen Zentralbank.

www.tumaini-waisenhaus.de

 

 

Fotos: P. M. J. Rothe, Beatrix Wiebe (6)
Titelbild: Die Schule in der Nähe des Tumaini Waisenhauses. Sie wird ebenfalls vom Förderverein unterstützt.