Der Rhein fließt majestätisch, still und bedächtig. Ein lauer Sommerabend. Letzte Sonnenstrahlen spiegeln sich am Beueler Ufer, dort, wo früher die Züge ins Bröltal abdampften. Paare schieben sich in enger Umarmung über den Asphalt der Straße. Die Tänzer sind elegant gekleidet, die Gesichter wirken ernst, die Bewegungen fließend. Die Musik strahlt Schwermut aus und ist doch seltsam leichtfüßig. Es ist Tangoabend am Bahnhöfchen. Reminiszenz an Südamerika. Trend hierzulande.

Der argentinische Tango ist Gefühl, Emotion. Entstanden ist er vor mehr als hundert Jahren in Buenos Aires. Es heißt, die Schrittfolge wurde in Bordellen der argentinischen Hauptstadt erfunden, der Rhythmus stamme von Landarbeitern, die auf den Landgütern am Rio de la Plata schufteten. Ihre Enttäuschung über das Leben, unerfüllte Hoffnungen und geplatzte Träume gaben den Takt vor und die Melancholie der Musik. Eine Frau tritt auf. Ganz in Schwarz gekleidet. Elegant. Ihr Partner im Stil der Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Wange schmiegt sich an Wange. Der Tango ist wohl der erotischste aller Tänze. Seine Herkunft leugnet er nie, obwohl er sich im Laufe der Zeit der Moral anpasste und zum Gesellschaftstanz wurde. Die Quebradas, die Verzierungen, die meist von der Frau getanzt werden, wurden gesellschaftsfähig, um reiche Damen nicht in Kalamitäten zu bringen, die auch ihre Hüften im Takt wiegen wollten. Ein Mann holt eine Frau zum Tanz. Er legt den Arm um sie, sanft und doch bestimmt führt er sie, ihre hohen Absätze zeichnen auf dem Boden eine unsichtbare Acht. Dann stoppt er sie. Ihr Bein schiebt sich an seinem Bein entlang, streicht über die Hose, spielt. Er lässt ihr Zeit für die Quebradas, dann eine neue Schrittfolge.

Es ist Tanzabend am Bonner Rheinufer. Immer mehr Menschen treffen sich, um den Tango zu leben. Sie scheinen wie alte Bekannte. Sie kennen einander. Ganz besondere Momente aber erleben Partner, die einander fremd sind. Schon im ersten Tanz offenbart sich, ob man empfänglich ist für die Impulse des anderen, wie gut die Körper in der gemeinsamen Bewegung harmonieren. Tango ist Kult, ist in, ist Trend. Nicht nur in Bonn, sondern auch in Helsinki und Budapest, in Paris und Tokio. Ein allgemeiner Mangel an körperlichem Kontakt in der westlichen Kultur, so vermuten Argentinier, führe so viele Menschen in Europa zum Tanz. Er kann die Sehnsucht nach Nähe stillen, nach der Drei-Minuten-Beziehung des Tangos: intensiv, leidenschaftlich, sinnlich und ohne Nachspiel. Fast Food für die Seele.

Das Publikum ist bunt. Alte, Junge, Managerinnen und Verkäufer. Häufig sieht man auch Frauen miteinander tanzen. Zuweilen auch Männer, so wie in der Anfangszeit des Tangos. Damals herrschte Frauenmangel in den Städten Südamerikas. Die Männer übten ihre Schritte unter sich, auch um die raren Partnerinnen zu beeindrucken: Der Tanz wurde zum Wettbewerb um Eleganz, Kunstfertigkeit und um die Gunst der wenigen Frauen. Noch heute hat der Mann im Tango diese Rolle. Er muss sicher und bestimmt sein in der Führung und gleichzeitig die Frau für sich gewinnen durch seine Sanftheit und das einfühlsame Erspüren ihrer Wünsche.

Die Texte des Tangos handeln von Liebe, erfüllter und unerfüllter, und Verrat. Sie erzählen davon, dass sich Dinge niemals ändern. Es geht um Dinge, mit denen die Menschen zu kämpfen hatten und noch immer haben. Neue Tangos wurden geschrieben, etwa nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch in Argentinien vor wenigen Jahren. In mehreren Wellen kam der Tanz nach Europa. Schon vor dem Ersten Weltkrieg sah man ihn in Frankreich und Spanien. Besonders tangobegeistert sind heute Finnen und Japaner.

Der berühmteste Tango ist wohl „Por una Cabeza“, übersetzt: „Um den Kopf eines Pferdes“. Komponiert von Carlos Gardel, getextet von Alfredo Le Pera. Das Lied handelt von einem notorischen Spieler, der seine Spielsucht beim Pferderennen mit der Anziehungskraft einer Frau beschreibt. Was wenige wissen, das musikalische Motiv des Tangos stammt von Wolfgang Amadeus Mozart – aus dem Rondo für Violine und Orchester C-Dur mit der Nummer 373 im Köchel-Verzeichnis. Der „Schönste Tango der Welt“ hingegen ist ein Roman von Manuel Puig. Der darin das Leben seiner Heldinnen aus der argentinischen Provinzstadt Vallejos beschreibt, die aus ihrem hoffnungslosen, schäbigen Leben in die Fiktion der Telenovelas flüchten. Die Handlung spielt in den Dreißigerjahren: Man liebt, überschwänglich und doch halbherzig, eine unerreichbare Person, nimmt indessen unbedenklich, was sich anbietet; der oder die Unerreichbare verhält sich nicht anders.

Tangokurse und Informationen zur Tangoszene in Bonn gibt es auf folgenden Webseiten: www.bonntango.de und www.eltangobonn.de