„Jeder Hund ist eine eigenständige Persönlichkeit“, sagt Martin Rütter. Er ist Deutschlands bekanntester Hundeprofi und Vorreiter für gewaltfreies und individuelles Hundetraining. Wir haben uns mit ihm über den besten Freund des Menschen, den Satz „Der tut nix“ und Martin Rütters zweite Karriere als Kabarettist unterhalten.

Interview: Susanne Rothe

Warum brauchen Tiere einen Psychologen?
Die Frage ist ja vielmehr: Wer braucht ihn eher? Mensch oder Hund? Mein Credo liefert auch gleichzeitig die Antwort: „Ich trainiere Hunde, aber vor allem ihre Menschen.“ Denn fast nie ist es der Hund, sondern der Mensch, der seine Einstellungen und Verhaltensweisen überdenken und ändern muss.

Sind Tiere die besseren Menschen?
Nein, das ist auch ein großer Unfug. Sie können nicht denken und handeln wie ein Mensch. Eine Katze wird immer eine Katze bleiben, und ein Hund ist und bleibt ein Hund. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein.

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Auf der Bühne. Martin Rütter öffnet die Türe zum bellenden Klassenzimmer.

Wie sieht eine authentische Beziehung zwischen Tier und Mensch aus?
Indem es ein Miteinander ist. Der Mensch muss die Bedürfnisse des Hundes respektieren, seine individuellen Charaktereigenschaften sowie seine Stärken und Schwächen.

Warum arbeiten Sie mit Hunden? Was fasziniert Sie an ihnen?
Hunde sind sehr treue, verlässliche und anpassungsfähige Partner. Jeder Hund ist ein Individuum und somit eine eigenständige Persönlichkeit. Diese Persönlichkeit kennenzulernen und herauszufinden, was sie ausmacht, ist das Faszinierende an Hunden.

Was haben Hunde, was Katzen nicht haben?
Generell war die Beziehung zwischen Mensch und Hund schon immer etwas ganz Besonderes, man findet sie so zwischen keinem anderen Tier und dem Menschen. Zum einen leben Hunde in einer ähnlichen Struktur wie wir Menschen. Es gibt einen engen Familienverbund, bei dem soziale Strukturen eine große Rolle spielen. Zum anderen akzeptiert der Hund den Menschen als vollwertigen Sozialpartner, er sucht aktiv die emotionale Nähe zum Menschen und zieht ihn manchmal sogar Artgenossen vor.

Was ist der größte Fehler in der Hundeerziehung?
Zu wenig Beschäftigung, mangelnde Konsequenz, und damit ist nicht Strenge oder Härte gemeint, und die überbordende Vermenschlichung.

Ihr wichtigster Tipp in der Hundehaltung?
Klare Regeln aufstellen, nur so gibt man dem Hund wertvolle Orientierungshilfen. Und nur so fasst der Hund Vertrauen. Heute hü und morgen hott, das verunsichert Hunde nur.

Wie findet man für sicher selbst den richtigen Hund?
Indem man sich bereits im Vorfeld sehr genau informiert. Leider werden die meisten Hunde ja nach wie vor nach optischen Kriterien oder aus emotionalen Gründen ausgesucht. Deshalb immer meine dringende Bitte, vorab eine Art Checkliste zu erstellen: Welcher Hund passt überhaupt zu mir? Sind seine Charaktereigenschaften und Bedürfnisse mit meinem Leben überhaupt vereinbar? Welche Bedürfnisse habe ich, welche Bedürfnisse hat der Hund? In jeder guten Hundeschule kann man sich vor der Anschaffung dahin gehend beraten lassen.

Gibt es typische Familien-, Frauen- und Männerhunde?
Ja, den gibt es, aber nur im Spielwarengeschäft, der hat einen Knopf im Ohr und eine Batterie im Hintern. Im Ernst: DEN perfekten Familienhund oder den Anfängerhund schlechthin gibt es nicht, denn selbst innerhalb eines Wurfes können unterschiedliche Charaktereigenschaften auftreten. Ich muss also immer individuell schauen. Generell eignen sich aber beispielsweise für Familien eher Hunde, die nicht sehr sensibel sind. Feinfühlige Hunde können nämlich insbesondere bei Familien mit Kindern zu einem Problem werden, denn Kinder sind im Umgang mit Hunden nicht gerade zimperlich.

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Live-Tour. Der „Dogfather“ der Hundeerziehung mit seinem Programm „nachSITZen“.

Wie gehe ich auf einen Hund zu, der mich nicht kennt?
Das kommt auf die jeweilige Situation an. Dazu muss ich die Körpersprache des jeweiligen Hundes sehr genau lesen, nur so kann ich den Hund richtig einschätzen.

Können Hunde menschliche Nähe ersetzen? Wenn ja, sollten sie das?
Ersatz ist vielleicht das falsche Wort, denn der soziale Kontakt zu Menschen ist mindestens genauso wichtig. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die den Großteil ihrer Zeit alleine verbringen bzw. notgedrungen alleine verbringen müssen, beispielsweise ältere Leute. Und in dieser Konstellation kann der Hund durchaus der primäre soziale Bezugspunkt sein, denn Hunde sind prima Begleiter und sehr loyale Partner, also eine tolle Lebensbereicherung.

Was sagt ein Hund über seinen Besitzer aus?
Ob er auf Erziehung Wert legt oder nicht (lacht). Wenn ein Hund von Weitem im Park alleine auf mich zugerast kommt und irgendwo aus der Ferne höre ich „Der tuuuuut nix“, dann sagt das alles.

„Der tut nix“ – was sagen Sie zu diesem Satz?
Dass das wahrscheinlich eine der ältesten Lügen aller Hundehalter ist, die in diesem Moment keinen Einfluss auf ihren Hund haben. Denn meistens heißt ja „Der tut nix“ nichts anderes als „Der tut nix von dem, was ich gerne hätte“.

Sie machen neben Ihren Fernsehshows auch Kabarett. Wie kommt man als Tierpsychologe auf eine solche Idee?
Ich halte schon seit über zehn Jahren Vorträge, und ich habe schon recht früh gespürt, dass in diesem Bereich jede Menge Potenzial schlummert. Ich war dabei schon immer jemand, der seine Botschaften und Inhalte nicht staubtrocken, sondern auf unterhaltsame Art und Weise vermittelt hat. Die Entwicklung, mit einer Live-Show auf Tournee zu gehen, zeichnete sich deshalb immer mehr ab. Angefangen hat es mal mit sieben Zuhörern, irgendwann hatten wir dann 300, später über 1.000. Inzwischen kommen teilweise über 10.000 Menschen in die Hallen. Wahnsinn. Der Unterhaltungsaspekt ist dabei kein Selbstzweck, sondern meine persönliche Art, Wissen zu transportieren. Ich glaube einfach, dass sich Wissen über Spaß besser vermitteln lässt als mit erhobenem Zeigefinger.

Sie schreiben außerdem noch Bücher. Wie schaffen Sie das alles?
Durch sehr gutes Zeit-Management. Und ein gut organisiertes Büro.

Was ist Ihr nächstes Projekt?
Zum einen natürlich meine aktuelle Live-Tour „nachSITZen“, die wir in der zweiten Jahreshälfte und in 2016 fortsetzen werden. Dazu drehen wir über den Sommer wieder neue Hundeprofi-Folgen für VOX. Zudem sind im April meine neuen Fachbücher „Jagdverhalten bei Hunden“ und „Welpentraining mit Martin Rütter“ erschienen.  

D.O.G.S.

Martin Rütter entwickelte das Traininigskonzept D.O.G.S. (Dog Orientated Guiding System), das unter Berücksichtigung des natürlichen Hundeverhaltens individuell auf jeden Hund und seinen Menschen abgestimmt wird. Angeboten wird ein abwechslungsreiches Programm aus Themenvorträgen, Seminaren, Kursen und Einzeltraining.

www.ruetters-dogs.de

Fotos: Klaus Grittner, Guido Engels (2)